Immer größer sind die Anforderungen an Rechtsabteilungen. Deutlich stärker als früher werden schnellere, aber ebenso versierte Antworten von den Unternehmensjuristen erwartet. Hinzu kommt die zunehmende Dynamik in der Regulatorik. Um dem zu begegnen, gewinnt die Zusammenarbeit zwischen den Rechtsabteilungen und anderen Abteilungen ebenso wie verschiedener Konzernrechtsabteilungen weiter an Bedeutung. Dafür, wie das am besten gelingt, gibt es jedoch keine einheitliche Lösung. Aufgrund der Vielfalt der Organisationsstruktur der Unternehmen selbst und dementsprechend der Aufstellung der Rechtsabteilung können ganz unterschiedliche Ansätze zielführend sein. Ein Beispiel ist Hottinger Brüel & Kjær (HBK) mit Sitz in Darmstadt, bei dem Nina Rosen als General Counsel und Head of Compliance ist und Verantwortung für die rund 20 Mitarbeiter trägt. HBK verfügt über Produktionsstätten in Deutschland, Dänemark, USA, China und Portugal, ist in über 80 Ländern weltweit vertreten und regional sehr unterschiedlich aufgestellt. Der Hersteller von hochpräziser Messtechnik gehört zur britischen Spectris Gruppe. Um die unterschiedlichen Anforderungen unter einen Hut zu bringen, ist ein Spagat gefragt: „Mit unserer überschaubar großen Rechts- und Complianceabteilung wollen wir Geschäft fördern und nicht verhindern. Zugleich wollen wir strategischer Partner sein, lean- und kostenbewusst agieren und erfolgreich Krisen verhindern“, erläutert Rosen. Nach mehreren Transformationen habe man sich grundsätzlich gefragt, wie die Rechtsabteilung wahrgenommen wird. „Vor nicht allzu langer Zeit haben wir als kleines Silo agiert, das sich um die saubere rechtliche Anwendung kümmerte.“ Inzwischen gehe es aber um deutlich mehr. So werden beispielsweise die Systeme global vereinheitlicht. Ebenso spiele Legal Tech eine immer wichtigere Rolle und die Abteilung kooperiert, beispielsweise mit „Digital“ oder „Procurement“, um die neueren rechtlichen Anforderungen integriert umzusetzen. Hilfreich seien auch Workflow-Anwendungen in Standard-Software, mit dem etwa ein internes Tool für NDAs (Non-Disclosure Agreements) erstellt wurde. „Die Kollegen können zwischen vier Sprachen wählen, bekommen diese dann vorbefüllt per E-Mail und können diese gleich weiterschicken. Uns müssen sie nur bei Rückfragen und in Spezialfällen kontaktieren.“ Wichtig sei überdies, die Teams zusammenzubringen und die Diversität dort zu nutzen. „Wir binden beispielsweise stärker als früher Kollegen im außereuropäischen Ausland ein“, so Rosen. In Bezug auf Compliance gilt dies etwa für das chinesische Neujahrsfest: „Es ist in China nach wie vor üblich, auch Kollegen zu diesem Anlass rote Briefumschläge mit Geld zu schenken. Warum dies problematisch ist, wird besser verstanden, wenn es ein Kollege aus Singapur auf Mandarin erklärt.“ Dazu gibt es etwa Regional Councils, die sich regional untereinander austauschen, und Sessions für Experten, um von dem unterschiedlichen rechtlichen Fachwissen zu profitieren, etwa der Due Diligence für die Supply Chain. „Außerdem arbeiten wir inzwischen sehr durchlässig zusammen, um eine gemeinsame Entwicklungspipeline zu haben“, so die General Counsel. Auch interne Wechsel zwischen Abteilungen und Geschäftsbereichen können Silos abbauen.
„Wir binden beispielsweise stärker als früher Kollegen im
außereuropäischen Ausland ein.“
Nina Rosen
General Counsel und Head of Compliance,
Hottinger Brüel & Kjær in Darmstadt
Dezentrale Aufstellung
Eine weitere Maßnahme war, sich als Rechtsabteilung tiefer mit der Unternehmensstrategie zu beschäftigen, und die Value Chain zur berücksichtigen und darüber nachzudenken, wie Legal und Compliance zur Beschleunigung der Entwicklungszyklen beitragen können. „Wir haben uns daher gefragt, wie wir als interner Servicedienstleister die Strategie des Unternehmens voranbringen können“, berichtet Rosen. „Dafür haben wir zum Beispiel intensiv mit unseren Tools zur Strategieimplementierung, dem Hoshin Kanri-aus dem Lean-Management beschäftigt, um die Umsetzung der Unternehmensstrategie auch in unserer Abteilung sicherzustellen und Kennzahlen für die Messbarkeit der Arbeit der Rechtsabteilung in der Zusammenarbeit mit anderen Unternehmensbereichen sinnvoll zu messen und die globalen Ressourcen vernünftig zu nutzen.“ Der Versicherungskonzern Talanx mit rund 28.000 Mitarbeitenden in mehr als 175 Ländern ist insgesamt sehr dezentral aufgestellt. „Mit unseren 27 Mitarbeitern in der Konzernrechtsabteilung kümmern wir uns um Themen, die in Deutschland regelmäßig hochskalieren, also Insolvenzrecht, Aufsichtsrecht, M&A und Gesellschaftskapitalmarktrecht und Strafrecht“, erläutert Group General Counsel Henning Kuschewitz, Zudem gibt es diverse spezialisierte Rechtsabteilungen, etwa für Arbeitsrecht, Steuerrecht, Produkt- und Vertriebsrecht. „Diese arbeiten sehr autark, es gibt zwar einen gewissen Austausch, aber nicht regelmäßig. Das gilt ebenso für das lokale Recht, das vor Ort verantwortet wird.“ Organisatorisch sind die Bereiche Compliance und Datenschutz, die eine Kollegin verantwortet, und das Aufsichtsrats- und Betriebsrecht, Kapitalanlagerecht sowie das Corporate Commercial M&A-Team unter Leitung des Group General Counsels zwar getrennt. Da beide zeitgleich 2022 im Konzern anfingen, entschieden sie sich jedoch, bei übergreifenden komplexen Zukunftsthemen eng zusammenarbeiten. Gestartet wurde mit zwei crossfunktionalen Praxisgruppen, eine zum Thema ESG und eine zum Thema Digitalisierung und KI, die übergreifend viele Rechtsbereiche berühren. „Diese Themen haben wir daher aus unserer disziplinarischen Verantwortung herausgenommen und Potenzialträger für die fachliche Führung eingesetzt, die in dem jeweiligen Gebiet bereits über vertiefte Fachkenntnisse verfügen“, erläutert Kuschewitz. „In de ESG-Gruppe sind wir neun Kollegen, Spezialisten aus allen betroffenen Rechtsgebieten ebenso wie aus der Compliance-Abteilung“, berichtet Katrin Birkhofer, Senior Legal Counsel Investment and Asset Management Law, die hier die Leitung übernommen hat. Der Arbeitsanteil, der für die Tätigkeit im Rahmen der Praxisgruppe eingebracht wird, variiert dabei stark. „Für die Zusammenarbeit nutzen wir all das, was uns die agile Toolbox zur Verfügung stellt“, erläutert die Juristin. „Wichtig dabei ist das Mindset, mit dem man zusammenarbeitet, also Engagement, Transparency und Collaboration“, unterstreicht Kuschewitz. „Dadurch soll das Silodenken abgebaut werden“, ergänzt Birkhofer. „Wir wollen Zusammenarbeit und Transparenz darüber, was die anderen tun und wo man sich mit dem vorhandenen Wissen unterstützen kann.“ Wichtig sei, dass beispielsweise nicht der Gesellschaftsrechtler die Compliance-Richtlinien umschreibt, sondern sich jeder mit seiner konkreten Rolle und Expertise einbringt.
„Das Ganze ist eingebettet in eine offene Unternehmenskultur, die das auch trägt“, unterstreicht Birkhofer. Auch eine gute Fehlerkultur ist hier unerlässlich: „Wir arbeiten daran, dass es zum Beispiel kein Fingerpointing gibt“, berichtet Kuschewitz. „Außerdem gibt es auch viele Vorteile, wie Arbeitserleichterung, und es bringt natürlich auch viel mehr Spaß in Teams zur arbeiten.“
„Manchmal sind es weniger juristische Probleme als projekttaktische Erwägungen, die man dann zusammen entwickelt.“
Laura Lißner-Hölschermann
General Counsel und Chief Compliance Officer,
OHB in Bremen
Schnittstellenfunktion
Unerlässlich ist eine Evaluierung, etwa durch Retrospektiven, in denen Sorgen und Nöte ebenso besprochen werden wie die positiven Aspekte dieser Art der Zusammenarbeit. „Da es sich um neue Themen handelt, bringen viele Kollegen bereits eine gewisse Offenheit mit“, berichtet Kuschewitz. Zudem hätten sich die Praxisgruppen freiwillig gebildet. Und auch für die Mitglieder der Praxisgruppen ergeben sich Vorteile: Sie werden im Unternehmen als besonders kompetente Ansprechpartner wahrgenommen und noch gezielter angesprochen. Beim europäischen Raumfahrt- und Technologieunternehmen OHB mit knapp 3.000 Mitarbeitern weltweit und 1.500 in Bremen ist Laura Lißner-Hölschermann zugleich General Counsel und Chief Compliance Officer – beide Bereiche sind in der Holding des Konzerns angesiedelt. „Wir verstehen uns als Schnittstellenfunktion für die Tochtergesellschaften und den Vorstand“, erläutert sie. Bei der Organisation der Rechtsabteilung gibt es eine organisatorische Besonderheit: „Wir verteilen unsere Aufgaben nicht nach Rechtsgebieten, wie es in großen Konzernen oft praktiziert wird, sondern nach unseren drei selbstständigen Business Units Space Systems, Digital und Aerospace, zu denen jeweils sechs bis acht Gesellschaften gehören“, erläutert Lißner-Hölschermann. „Dabei verstehen wir uns als Generalisten und sind Ansprechpartner für alle juristischen Belange, außer dem Arbeits- und Steuerrecht, was von einer gesonderten Abteilung betreut wird.“ Alle anderen juristischen Fragestellungen laufen erst einmal in der der Abteilung des General Counsels auf. „Nur bei den größeren Gesellschaften gibt es zum Teil Projektkaufleute und Projektjuristen, die sich vor Ort um Projektthemen kümmern“, so Lißner-Hölschermann. In erster Linie verantwortet ihre Abteilung Themen rund um das Gesellschaftsrecht, das M&A-Geschäft, das allgemeine Zivilrecht, für kleinere Gesellschaften zusätzlich Projektgeschäftsthemen.“ Entsprechend groß ist die Vielfalt der Themen. „Und wenn wir das vom Umfang oder von der Expertise nicht schaffen, bedienen wir uns externer Kanzleien, mit denen wir dann zusammenarbeiten“, erläutert sie. „Da haben wir ein relativ großes Portfolio und für bestimmte Rechtsgebiete spezialisierte Anwälte.“ Ein großer Vorteil der Struktur sei das große Vertrauen, das sie dadurch in den Gesellschaften aufbauen könnten, und dass die Gesellschaften nicht zehn unterschiedliche Ansprechpartner für ihre Fachthemen hätten. Stattdessen gebe es einen Ansprechpartner, der das Thema gegebenenfalls auch mitnimmt und koordiniert. Überdies sei die Praxisnähe groß: „Manchmal sind es weniger juristische Probleme als projekttaktische Erwägungen, die man dann zusammen entwickelt. Und wir achten aufgrund dieser Aufstellung vielleicht auch stärker auf das große Ganze, etwa auf die kommerziellen Themen, können zum Beispiel gegebenenfalls auch das Controlling, das Business Development und die Steuerabteilung einbinden.“ Ein weiterer Vorteil sei, dass man mit dieser Struktur im Vergleich zu größeren Konzernen agiler und schneller Deals mit sehr großen Konzernen verhandeln könne. Während diese bestimmte Prozesse und Strukturen benötigen, um etwa Gremienbeschlüsse einzuholen, sind die Wege in Bremen auch aufgrund der flachen Hierarchien deutlich kürzer: „Ich kann einfach bei unserem Vorstand ins Büro gehen und sagen, dass wir einen Aufsichtsratsbeschluss brauchen oder eine Aufsichtsratssitzung, und organisiere mir die dann“, so die Syndikusrechtsanwältin. „Das ist in anderen Konzernstrukturen viel schwieriger.“ Überdies führe der größere Verantwortungsreich ebenfalls zu schnelleren Entscheidungen. „Der Nachteil ist, das wir uns als Juristen nicht auf eine Materie spezialisieren können und da dann irgendwann als Experte fungieren können, sondern dass wir sehr breit aufgestellt sind.“ Dennoch werde man natürlich auch bei einer generalistischen Aufstellung mit der Zeit auch zum Spezialisten für bestimmte Themen, die etwa in einer Business Unit oft nachgefragt werden.
■ Claudia Behrend