Raus aus der Krise

Deutschland hat gewählt. Was erwarten Unternehmensjuristen von der neuen Bundesregierung. Welche Themen müssen jetzt angepackt werden?
vom 7. März 2025
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Messen sind oft ein guter Seismograf für die wirtschaftliche Stimmung im Lande. „Eine Messegesellschaft ist ein Marketinginstrument für eine Vielzahl von Branchen“, sagt Dr. Tobias Hemler, Zentralbereichsleiter Recht und Gremien bei der Koelnmesse GmbH. „Derzeit spüren wir daher massiv, dass Deutschland in einer die gesamte Wirtschaft erfassenden Rezession steckt, die längste seit dem 2. Weltkrieg. Hier erwarte ich von der neuen Bundesregierung Sofortmaßnahmen, die mit der Agenda 2010 vergleichbar sind.“ Deutschland hat gewählt. Und die neue Bundesregierung steht vor gewaltigen Herausforderungen. Die Energiewende muss vorangetrieben werden, um Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit zu gewährleisten. Gleichzeitig drängt der technologische Fortschritt, insbesondere im Bereich Künstliche Intelligenz, auf eine klare regulatorische Strategie, die Innovation fördert, aber Risiken begrenzt. Die Migrationspolitik erfordert tragfähige Lösungen, um Fachkräfteengpässe zu lindern, ohne gesellschaftliche Spannungen zu verschärfen. Der Klimawandel zwingt zu entschlossenen Maßnahmen, die ökologische Notwendigkeiten mit wirtschaftlicher Tragfähigkeit in Einklang bringen. Und nicht zuletzt stellt der demographische Wandel die Sozialsysteme vor eine Zerreißprobe – Renten-, Gesundheits- und Pflegesysteme müssen zukunftsfest gemacht werden. Und vor allem: Die deutsche Wirtschaft muss wieder in Schwung gebracht werden. In den Rechtsabteilungen wächst die Unruhe darüber, dass Wirtschaftswachstum in Deutschland derzeit kein Selbstläufer ist. „Wirtschaftspolitik darf nicht mit Subventionspolitik verwechselt werden“, sagt Dr. Hemler. „Wir brauchen verlässliche und realistische Rahmenbedingungen, die künftig die richtigen Impulse geben, damit deutsche Unternehmen auch langfristige Entscheidungen im internationalen Wettbewerb verlässlich treffen können.“ Es gebe ein Effizienzproblem in großen Teilen der Verwaltung. Diese sei in den letzten Jahren um drei Prozent pro Jahr gewachsen, die Wirtschaft hingegen nicht. „Ein weiteres Thema ist die zunehmend marode Infrastruktur“, stellt Dr. Hemler fest. „Als Messegesellschaft sehen wir, mit welcher Verwunderung ausländische Messebesucher unsere Infrastrukturdefizite zu Kenntnis nehmen.“ Das schade der Wettbewerbsfähigkeit des weltweit führenden Messestandorts Deutschland. Weitere Hemmnisse sind aus Sicht des Unternehmensjuristen eine zunehmende Bürokratie und Berichtspflichten. „Die Koelnmesse investiert in die Realisierung nachhaltiger Geschäftsprozesse und zeigt damit, dass ihr das Thema wichtig ist“, sagt der General Counsel. „Wir haben erst kürzlich die größte innerstädtische Solaranlage Kölns auf unseren Hallen installiert und setzen gerade ein hochinnovatives Energiekonzept mit einem Partner um.“ Die Ausgaben für die neuen CSRD-Berichtspflichten, die künftig zu erfüllen seien, machten das Unternehmen hingegen nicht nachhaltiger. „Unser Geschäftsbericht wird künftig aufgrund der CSRD-Richtlinie um über 100 Prozent aufgebläht“, kritisiert Dr. Hemler. „Dazu brauchen wir zusätzliche interne Mitarbeiter und werden externe Zusatzkosten bei der Jahresabschlussprüfung haben.“ 

Tobias Hemler

„Wir brauchen verlässliche und realistische Rahmenbedingungen, die künftig die richtigen Impulse geben, damit deutsche Unternehmen auch langfristige Entscheidungen im internationalen Wettbewerb verlässlich treffen können.“

Dr. Tobias Hemler

Zentralbereichsleiter Recht und Gremien, 

Koelnmesse GmbH

Eine neue Agenda 2010?

Der Wunsch nach einem großen Wurf, mit dem sich Deutschland aus seiner Schockstarre befreit, ist stark. Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte mit der Agenda 2010 wesentliche Reformen eingeleitet und wichtige Impulse für den Standort Deutschland gesetzt. Die Reformen, insbesondere die Einführung von Hartz IV, führten allerdings auch zu Neuwahlen, die Schröder nicht mehr für sich entscheiden konnte. Ob sich die neue Regierung einen solchen Wurf zutraut? „Die Bundesregierung muss Maßnahmen ergreifen, um Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit gezielt zu fördern, zum Beispiel durch Schaffung besserer Rahmenbedingungen für die Wirtschaft“, sagt Dr. Richard Backhaus, Head of Legal bei der Drägerwerk AG & Co. KGaA. „Insgesamt greifen rechtliche Einzelwünsche aber zu kurz, um die wirtschaftliche Stagnation und die noch depressivere Stimmung wirklich zu verändern.“ Zu Rahmenbedingungen, die reformiert werden sollten, zählt Dr. Backhaus etwa das Arbeitsrecht. Dieses sei noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen. „Ein Beispiel sind die Regelungen zur Arbeitszeit und Ruhezeiten, die der veränderten, flexiblen Arbeitswelt schwerlich gerecht werden“, sagt Dr. Backhaus. „Die strikten Regelungen für Fremdpersonal und Arbeitnehmerüberlassung bremsen Digitalisierungsprojekte erheblich.“ Die eingesetzten Mitarbeiter von Beratungsunternehmen seien selten besonders schutzbedürftig, sondern hochbezahlte, sozialversicherte Experten. „Und trotzdem muss unternehmensseitig darauf geachtet werden, dass sie nicht integriert werden, um nicht gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zu verstoßen“, stellt Dr. Backhaus fest. „Dies verursacht bei agilen Projekten erhebliche rechtliche Risiken und im europäischen Vergleich klare Standortnachteile.“ Schon die Ampelkoalition hatte das Thema Bürokratie erkannt und das Bürokratieentlastungsgesetz IV verabschiedet, das im Januar 2025 in Kraft getreten ist. Dieses sieht unter anderem die Verkürzung der Aufbewahrungsfristen für Buchungsbelege von zehn auf acht Jahre vor und schafft die Hotelmeldepflicht für deutsche Staatsangehörige ab. Eine der wesentlichen Neuerungen betrifft auch das Nachweisgesetz (NachwG). Bisher mussten die wesentlichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses in Schriftform mit der eigenhändigen Unterschrift festgehalten und in Papierform übergeben werden. Nun braucht es unter bestimmten Bedingungen nur noch die Textform, also eine lesbare Erklärung auf einem dauerhaften Datenträger, die den Erklärenden eindeutig erkennen lässt. Insgesamt hatte die alte Regierung 60 Bereiche definiert, bei denen auf die eine oder andere Weise Erleichterungen geschaffen werden sollten. Doch wer sich bei Unternehmensjuristen umhört, erkennt den Wunsch, dass es dabei nicht bleiben sollte. 

Backhaus-Richard

„Die Bundesregierung muss Maßnahmen ergreifen, um Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit gezielt zu fördern, zum Beispiel durch Schaffung besserer Rahmenbedingungen für die Wirtschaft.“ 

Dr. Richard Backhaus
Head of Legal, 

Drägerwerk AG & Co. KGaA

Bürokratieentlastung – ein Dauerbrenner

Manuel Sternisa, General Counsel bei der Büchl Gruppe, findet, dass die neue Regierung zuerst bei den Berichtspflichten beginnen und diese auf den Prüfstand stellen sollte. Der erste Schritt solle eine Konsolidierung und Vereinfachung sein mit dem Fokus auf einer stärkeren Digitalisierung, um redundante Prozesse abzuschaffen. „Insbesondere mittelständische Unternehmen leiden unter den enormen administrativen Lasten, die wertvolle Ressourcen binden, die stattdessen für die eigentliche Geschäftstätigkeit genutzt werden könnten.“ Darüber hinaus bestehe aus seiner Sicht beim Umweltrecht und Recht der Abfallwirtschaft dringender Handlungsbedarf. „Es braucht klarere, europaweit abgestimmte Regelungen, um die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft effizienter zu gestalten“, sagt Sternisa. Ein weiterer wichtiger Punkt sei dabei die Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Recht. „Hier sollte die neue Bundesregierung darauf achten, dass die in den Richtlinien aufgestellten Regelungen nicht noch enger umgesetzt werden“, findet Sternisa. Auf diese Weise ein Vorreiter sein zu wollen, sei aus seiner Sicht ein Eigentor. „Eine übermäßig strenge Umsetzung führt häufig zu Wettbewerbsnachteilen für nationale Unternehmen und erschwert durch unklare Regelungen die Handlungsspielräume für die zuständigen Behörden bei Genehmigungsverfahren.“ Zusätzlich sei die Digitalisierung staatlicher Prozesse, etwa bei Genehmigungsverfahren, dringend erforderlich. Auch das Steuerrecht solle dringend reformiert werden, um die Belastung für Unternehmen zu reduzieren. Außerdem sei es sinnvoll, das Arbeitsrecht zu modernisieren, um flexiblere Arbeitsmodelle und eine zeitgemäße Regelung der Homeoffice-Praxis zu ermöglichen. Zentral für den Standort Deutschland ist die deutsche Energiewirtschaft. Diese steht vor erheblichen Herausforderungen. Der Ausbau erneuerbarer Energien schreitet voran, jedoch verzögern langwierige Genehmigungsverfahren und infrastrukturelle Engpässe die Integration dieser Energiequellen. Aktuell wird intensiv über die Notwendigkeit zusätzlicher Investitionen in die Netzinfrastruktur sowie die Schaffung verlässlicher Rahmenbedingungen für Unternehmen diskutiert, um die Energiewende erfolgreich und wirtschaftlich tragfähig zu gestalten. „Ich tue mich mit der Frage nach den Erwartungen einer Rechtsabteilung etwas schwer“, sagt Dr. Bernd-Michael Zinow, General Counsel bei der EnBW Energie Baden-Württemberg AG. Die Erwartungen seien mehr durch die Lage des jeweiligen Unternehmens oder der betroffenen Branche bestimmt. „Die Rechtsabteilung ist vor allen anderen Dingen der Umsetzer des Business. Deshalb betreffen unsere Wünsche an die Regierung den Energiesektor.“ Natürlich gebe es auch „lästige“ Themen wie die neue CS3D-Richtlinie. „Die sind aber in ihrer ökonomischen Bedeutung überhaupt nicht vergleichbar“, sagt Dr. Zinow. „Unabhängig davon können wir auch positive Dinge wahrnehmen, die sich schon jetzt verbessert haben.“ Positiv zu vermerken sei, dass die getroffenen Neuregelungen zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren im Energiebereich tatsächlich wirkten. Die entsprechenden Verfahren dauerten im Mittel nur noch knapp halb so lange. „Hier darf nicht nachgelassen werden“, betont Dr. Zinow. „Für EnBW AG, beziehungsweise die Energiewirtschaft, wäre das wichtigste Thema, die eigentlich noch in der jetzigen Legislatur vorgesehene gesetzliche Regelung für künftige Reservekraftwerke und einen Kapazitätsmarkt dringendst umzusetzen“, sagt Dr. Zinow. Außerdem müsse die neue Regierung sich um die Kosteneffizienz beim Netzausbau kümmern. „Würden die Stromautobahnen nicht unterirdisch, sondern als Freileitungen gebaut, könnte man rund ein Drittel der Kosten sparen und dadurch auch den Steuerzahler entlasten. 

Wann Regulierung sinnvoll ist – und wann nicht

Dr. Richard Backhaus von der Drägerwerk AG & Co. KGaA wünscht sich, dass die nächste Bundesregierung grundsätzlicher über das Thema Regulierung nachdenkt. Reicht es vielleicht manchmal aus, ein Ziel zu formulieren und den Weg dahin den Wirtschaftsakteuren zu überlassen? „Es gibt Bereiche, zum Beispiel die Herstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten, wo die Frage einfach zu verneinen ist“, sagt Dr. Backhaus. „Die Regelung des „Wie“ sollte aber ein begründungsbedürftiger Ausnahmefall sein. Sie nimmt nämlich dadurch Freiheit und Innovationspotenzial.“ Zudem sei ein breiter Blick auf die Gesamtrechtsordnung gefragt, um eine Art „Regulierungsverhältnismäßigkeitsprüfung“ durchzuführen. „Brauche ich bei Überlappungen oder bereits existierenden Sanktionen überhaupt die neue Regelung oder kann diese minimalinvasiv in bestehende Regulierungen integriert werden?“ Das dürfe die Bundesregierung auch am Tisch der Mitgliedsstaaten in Brüssel nicht vergessen. „Manchmal braucht es auch keine umfängliche Reform, wenn sich die Praxis mit der Regulierung und Behördenpraxis arrangiert hat“, sagt Backhaus. „Hier reichen punktuelle Modernisierungen.“ Bei Berichtspflichten stelle sich immer die Frage nach ihrer Wirkung. Ist diese überhaupt in ausreichender Form feststellbar, um die Belastung der Unternehmen zu rechtfertigen? „Das Böse und Unglückliche der Welt kann jedenfalls nicht allein wegberichtet werden“, fasst Dr. Backhaus zusammen.

Henning Zander

Beitrag von Alexander Pradka

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