„Mit Corporate Venture Capital haben Industrieunternehmen ein Tool, das ihnen bei der Umsetzung ihrer Unternehmensstrategie und der Innovationsagenda hilft“, so bringt es Dr. Ulrich Thiem, Managing Director bei der vor rund sechs Jahren von der Konzernmutter eigens für Venture-Capital-Investitionen gegründeten Porsche Ventures auf den Punkt. „Es ist ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil des Venture-Capital-Ökosystems.“ Für größere Industrieunternehmen gehöre es fast schon zum guten Ton, einen CVC-Arm zu haben. Thiem berichtet von einer starken Präsenz von CVC-Einheiten in Deutschland und einer sich allmählich etablierenden Community, in der sich die wesentlichen Player kennen und austauschen. Die Branche scheint keine bedeutendere Rolle zu spielen, heute reichen Digitalisierungstendenzen, die Nutzung von Automatisierungstechnologien und Künstlicher Intelligenz in fast alle Zweige hinein. Was bei den einzelnen Betrieben den Unterschied ausmacht, sind der Reifegrad und die Ausrichtung. „Wir leben in einer Zeit, in der Transformation und Diversifikation für Industrieunternehmen wichtig sind“, sagt Thiem. Mit seiner Tochtergesellschaft kann der Autokonzern „einen klaren Blick auf praxistaugliche Zukunftstechnologien werfen.“ Eine ganz ähnliche Sicht hat Peter Bokelmann, Group General Counsel und Mitglied des Management Boards bei der Trumpf AG: „Wir können auf diese Weise frühzeitig erkennen, was es in unserem Kerngeschäft an disruptiven Technologien gibt. Wir investieren Kapital in eine Art verlängerte Entwicklungsabteilung.“ Mittelbar das Kerngeschäft betrifft die Absicht, zusätzlich neue Lieferanten und Zulieferer aufzubauen. „Grundvoraussetzung ist das richtige Mindset für diese Form der Wagnisinvestition“, sagt Dr. Rebekka Hye-Knudsen, Partnerin und Co-Head Corporate/M&A bei der Sozietät Dentons. „Überproportional häufig finden CVC-Investments in sehr frühen Stadien, also in Seed- und Series-A-Finanzierungsrunden, schon seltener in Series-B-Stages, statt.“ Und auf dieser frühen Entwicklungsstufe muss jedem klar sein, dass es größere Risiken gibt – dass eine Unternehmung scheitern kann oder das Start-up unterwegs in eine andere Richtung abbiegt, etwa weil sich die Marktsituation nicht so darstellt wie angenommen oder sich das Produkt noch einmal entscheidend verändert. Dann kann es passieren, dass es dem Kernbereich des investierenden Unternehmens nicht mehr so nahesteht wie in der früheren Phase und sich die Interesselage verschiebt. Wobei das für Ulrich Thiem gar nicht so ein großes Problem darstellt: „Es gibt keine Chancen ohne Risiken. Wenn eine Unternehmung sich verändert, das Produkt oder sogar das ganze Geschäftsmodell, ist es trotzdem gut möglich, dass wir die Investition beibehalten. Scheitert das Start-up gänzlich, kann das CVC als Art Auffangbahnhof fungieren – bevor das komplett zerfasert, kann es sich lohnen, für Know-how, Technologie oder Mitarbeitende zu zahlen und Teile zu integrieren.“ Einen interessanten Ansatz in diesem Zusammenhang verfolgt der Maschinenhersteller Trumpf: „Es ist eine Konstellation feststellbar, dass wir auf Lasertechnik setzen und eine Technologie favorisieren. Es kann aber sein, dass sich eine andere besser entwickelt oder durchsetzt. Deshalb investieren wir bewusst in ein Start-up, das sich in eine andere Richtung entwickelt“, berichtet Bokelmann. Trumpf interessiert neben dem Entwicklungs- auch das Entwicklerpotenzial. Es ist schon vorgekommen, dass jemand fünf bis zehn Jahre erfolgreich sein Start-up entwickelt hat und dann direkt bei Trumpf einsteigt.
„Wir können auf diese Weise frühzeitig erkennen, was es in unserem Kerngeschäft an disruptiven Technologien gibt.“
Peter Bokelmann, Gorup General Counsel und Mitglied Management Board, Trumpf AG.
Chance auf Etablierung erhöht sich
Einer der wesentlichen Vorteile der Investitionen via CVC liegt für den Geldgeber darin, dass sich ein anderes Unternehmen um die Entwicklung kümmert, das dabei eine wesentlich höhere Geschwindigkeit an den Tag legt und sich voll auf diese konzentrieren kann. In dieser Position ist möglicherweise auch mehr „try and error“ möglich. Auch der Ausstieg fällt bei der externen Lösung leichter, als wenn intern Ressourcen aufgebaut worden sind und die Verantwortlichen mitten am Weg feststellen, dass sie in eine falsche Richtung unterwegs sind. „Den meisten CVC ist es wichtig, dass eine gewisse Distanz erhalten bleibt“, bestätigt Rebekka Hye-Knudsen von Dentons. „Das Start-up hat für die Umsetzung häufig mehr Zeit zur Verfügung, was sich in den Verträgen so auch widerspiegelt.“ Ein entscheidender Vorteil für das jeweilige Target, der weit über die finanzielle Unterstützung hinausgeht: Es bekommt eine echte und realistische Chance, dass es nicht bei der guten Idee bleibt, sondern ein Produkt oder eine Dienstleistung tatsächlich am Markt reüssiert. „In der Regel ist es so, dass ein CVC einen längeren Atem hat, als das bei klassischen Venture-Capital-Investitionen zu beobachten ist“, bestätigt Ulrich Thiem von Porsche Ventures. Und: Start- und Scale-ups erhalten in Geldwert gar nicht messbare Zugänge zu großen Firmennetzwerken und bekommen in wirtschaftlicher wie in technologischer Hinsicht einen wertvollen Beistand. Porsche Ventures verschafft einen Zugang zur Mutter, wo es möglicherweise ein erstes Proof of Concept gibt oder auch erste Testsimulationen oder Modellentwicklungen. Je nach Stadium wird versucht, einen Business-Owner, also einen Vertreter aus dem Fachbereich bei Porsche, auf das die Geschäftsidee einmal einzahlen könnte, als Branchenkenner und Sparringspartner mit dabeizuhaben. Im Übrigen sollen aber nur sogenannte „Observer Seats“ besetzt und Gastrechte wahrgenommen werden. Das ist ein weiterer Vorteil für das Target: Die Entscheidungsfindung bleibt unabhängig. Außerdem existiert das „Executive Champions Program“, der vor allem Gelegenheit für den Austausch mit einem der sieben Porsche-Vorstände einräumt. „Auf der einen Seite profitieren die Start-ups von der Erfahrung, auf der anderen Seite erhöht das die Sichtbarkeit unserer Investitionen“, so Thiem. Häufig in den Boards des Targets vertreten sind Abgesandte von Trumpf, wobei der Maschinenhersteller anders als Porsche den Einstieg zu einem späteren Zeitpunkt bevorzugt und klar die strategische Komponente beim CVC unterstreicht. „Wir nehmen eine sehr aktive Rolle ein, verschaffen Zugang zu Kunden und anderen Start-ups, vermitteln Kontakte zu Hochschulen und Wissenschaftlern und geben Industrialisierungs-Know-how weiter. Wir verstehen uns als Berater, ohne ein Angel zu sein.“
Wichtige Voraussetzungen auf beiden Seiten
Das Unternehmen, das den Weg eines CVC-Investments gehen möchte, sollte den Aufwand dafür nicht unterschätzen. Zum angesprochenen richtigen Mindset gehört eine völlig andere Erwartungshaltung bei Verhandlungen und Due-Diligence-Prüfungen. „In der Regel existiert im Target keine Rechtsabteilung und es gibt keinen Ansprechpartner, der sich mit rechtlichen Fragen gut auskennt“, meint Rebekka Hye-Knudsen. „Auch das zur Verfügung gestellte Material lässt sich in punkto Qualität und Umfang in keiner Weise etwa mit dem vergleichen, was bei M&A-Prüfungsprozessen üblicherweise vorhanden ist.“ Der eigens für diese Form der Beteiligung gegründete „CVC-Arm“ ist kein Muss, aber bei vielen größeren Konzernen – wie auch bei Porsche – Usus. „Eine Corporate würde viel schwerfälliger agieren, wir spüren bei Porsche Ventures eine gewisse Leichtfüßigkeit.“ Als Konzern an ein Start-up heranzutreten, könnte außerdem mit Konzernpolitik- und zielen abschreckende Wirkung haben. „Der Venture-Arm kann schlanker und weniger furchteinflößend auftreten“, so Hye-Knudsen. Und welche Voraussetzungen muss das Start- oder Scale-up erfüllen, damit ein CVC ein Wagnis eingeht? Bei Trumpf gibt es eine klare Prämisse: „Anfang und Ende sind das Team, deshalb schauen wir uns das sehr genau an“, sagt Bokelmann. „Es muss ein unternehmerisch denkendes und agierendes Team sein, das harmoniert und bei dem wir das Gefühl haben, dass es auch bei Rückschlägen oder notwendigen Veränderungen flexibel bleibt und rational reagiert.“ Da Trumpf selbst stark im Technologiebereich unterwegs ist, wird intensiv die Patentsituation und -absicherung geprüft. Ulrich Thiem nennt drei wesentliche inhaltliche Aspekte. Punkt eins: „Der Markt, den das Start-up erobern will, muss erkennbares und nachprüfbares Potenzial haben.“ Im zweiten Schritt wird geschaut, wie sich das Target perspektivisch in diesem Markt positioniert. Unterstützung bietet ein Wettbewerbschart, wo auf X- und Y-Achse bestimmte Key Performance Indikatoren abgearbeitet werden. „Wir fragen: Wo ist im Vergleich zum Wettbewerb der Unique Selling Point, wo ist die Value Proposition? Warum kann gerade das Zielunternehmen der Gamechanger sein?“ Dritter Punkt auch hier: das Management. Im Gründerteam müssen Leute sein, die Vision, Leadership und unternehmerischen Mut mitbringen. Im Anschluss folgt generell die Due-Diligence-Phase. Rebekka Hye-Knudsen rät, zusätzlich zu den klassischen Fragestellungen auch einen Blick auf die Mitarbeiterbeteiligungsprogramme und deren Struktur zu werfen sowie auf Allgemeine Geschäftsbedingungen von Kunden und Lieferanten, die das Start-up möglicherweise bereits akzeptiert hat. Wichtig sind Governance-Aspekte und die Klärung von Informationsrechten. Nicht zuletzt müssen Garantien auf den Prüfstand. „Zu einer Beteiligung kommt es dann, wenn die Due Diligence keine kritischen Ergebnisse hervorgebracht hat und wir in den Beteiligungsverträgen die Rechte vereinbart haben, die wir typischerweise mit einer solchen Investition verbinden“, bringt es Thiem auf den Punkt. Bei Porsche Ventures sind das aber in erster Linie Einsichts- und Beteiligungsrechte, keine Steuerungselemente. Grundsätzlich denkbar ist in einem CVC, dass auch Wettbewerber gemeinsam in ein Target investieren. Dann ist an die Vermeidung von Wettbewerbsbeschränkungen zu denken.
„Grundvoraussetzung ist das richtige Mindset für diese Form der Wagnisinvestition.“
Dr. Rebekka Hye-Knudsen, Partnerin und Co-Head Corporate/M&A, Dentons.
Scouting und Suchfelder
Wo sich vieles um Zukunftstechnologien dreht, befinden sich Teilnehmer gegebenenfalls im Bereich Forschung & Entwicklung, mit den dort herrschenden Regelungen und Ausnahmetatbeständen. „Kartellrecht muss man im Auge behalten, wenn es um Exklusivität geht, um Alleinverpflichtungen“, sagt Peter Bokelmann von Trumpf. Ulrich Thiem berichtet, dass bei Porsche Ventures alle Mitarbeitenden kartellrechtlich geschult sind, vor allem im Hinblick auf den Austausch und mögliche gemeinsame Marktinformationssysteme, es gibt Checklisten mit Dos and Don‘ts. Er nennt eine zweite mögliche Konstellation, die zwischen CVC und Start-up, hier kann es unter Umständen auch zu einer Wettbewerbssituation kommen. „Dann wird die chinesische Mauer hochgezogen und wir nehmen auch den Business-Owner heraus. Wir sind sehr sensibilisiert und nehmen das auch sehr ernst“, versichert Thiem. Gemeinsame Aktivitäten mit dem Wettbewerb klassifizieren sowohl Bokelmann als auch Thiem als absolute Ausnahmefälle, wobei es eigentlich nicht kategorisch ausgeschlossen ist. Die Vereinbarungen von Call-Optionen und Vorkaufsrechten kann eine Option sein. Allerdings muss ein CVC in Kauf nehmen, dass es an Attraktivität verliert. Warum sollte viel Aufwand in etwas gesteckt werden, wenn am Ende einer das Ganze übernimmt? Trumpf definiert Suchfelder, die in der Nähe des Kerngeschäfts liegen – auf der einen Seite Maschinenbau, auf der anderen Lasertechnologie. „Im Übrigen positionieren wir uns offen“, berichtet Bokelmann, „und möchten für möglichst viele Targets interessant sein.“ Zwischen 5 und 15 Prozent liegt die typische Beteiligung. In den letzten fünf Jahren hat man rund zwölf Venture-Capital-Investments getätigt. Pro Jahr fließt ein Betrag in Höhe von 10 und 20 Millionen Euro in dieses Segment. Porsche Ventures hat vier Investitionsfelder definiert und diese mit weiteren Subfeldern hinterlegt. Drei davon lassen sich unter dem Oberbegriff „Core Plus“ zusammenfassen, weil sie sich im Umfeld von Porsches Kerngeschäft bewegen: Das erste, „Car & Mobility“, spricht für sich selbst, das zweite, „Intelligent Enterprises“, beschäftigt sich mit B2B-Modellen, die klassische Industrieunternehmen „smarter“ machen. Das dritte Feld ist „Nachhaltigkeit“. Außerhalb dieses Rahmens gibt es den Bereich „Beyond“, in dem Porsche sich freier, aber auch vorsichtiger – das heißt auch mit weniger Geld – bewegt. „Da schauen wir mit Themen wir Smart City oder Metaverse ganz weit in die Zukunft“, so Ulrich Thiem. Das Portfolio umfasst aktuell rund 40 Beteiligungen, die einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag ausmachen.
Alexander Pradka