“Legal Operations ist bei uns wichtiger als die Digitalisierung”

„Zwei Hüte“ hat Julia Weber seit Dezember des vergangenen Jahres bei der Varta AG auf. Sie ist nun General Manager für die Bereiche Human Resources sowie Legal und Compliance. Den Ausschlag zur Zusammenlegung gab die Überlegung, Synergien zwischen den Bereichen zu heben. Unternehmensjuristinnen und -juristen bestärkt sie in der Rolle als aktive Gestalter mit Verständnis für das Geschäftsmodell.
vom 14. Januar 2023
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In-house Counsel: Wie kam es zur Zusammenlegung der beiden Bereiche?

 

Julia Weber: Synergien zu nutzen, heißt für uns, strategische Themen zusammenzulegen. Wir sind ein großer Konzern mit vielen Einzelgesellschaften. Wenn wir Entscheidungen zum Beispiel zu gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierungen treffen, hat das immer auch Konsequenzen für Geschäftsführer und Geschäftsführerinnen sowie Mitarbeitende. Vor der Zusammenlegung haben wir die Frage gestellt: Ist das ein rechtliches Thema oder ein HR-Thema? Jetzt laufen alle Informationen bei mir zusammen und ich kann diese viel leichter in die Bereiche hineingeben. Wir können Themen jetzt besser bündeln und auch die interne Kommunikation läuft besser.

 

In-house Counsel: Hat die Zusammenlegung mit dem Thema Fachkräftemangel in der Rechtsabteilung zu tun?

Julia Weber: Tatsächlich spüren wir diesen bei den In-house-Juristen nicht, auch wenn die nächste Universität ein Stück entfernt ist. Im September haben wir in der Rechtsabteilung einen neuen Mitarbeiter eingestellt, ein echter Glücksgriff. Das Recruiting funktioniert sehr gut, ebenso die Einbindung der Business Partner.

 

In-house Counsel: Was ist so reizvoll am Unternehmen Varta und an den Branchen, in denen das Unternehmen unterwegs ist?

Julia Weber: Es mag vielleicht pathetisch klingen, aber es Varta ist wie eine große Familie, es besteht eine große Verbundenheit, die auch in das Privatleben hineinreicht. Mich kennen viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch als Kind. Außerdem ist es ein Unternehmen, das nie stillsteht. In den letzten Jahren haben wir den Börsengang vollzogen, wir haben Zukäufe getätigt. Wir sind immer in Bewegung, es gibt immer wieder Herausforderungen, und das finde ich sehr spannend. Die meisten bringen mit uns die Haushaltsbatterien in Verbindung, aber Varta ist viel mehr: Bei uns gibt es sehr viel Entwicklung, sehr viel Technik. Wenn ich allein daran denke, wie viele Chemikerinnen und Chemiker wir beschäftigen! Ausschließlich in Ellwangen produzieren wir Hörgerätebatterien, ein Bereich, in dem wir eine führende Marktposition reklamieren und dabei unterstützen, die Lebensqualität von Menschen positiv zu beeinflussen. In Nördlingen stellen wir Energiespeicherlösungen für Solaranlagen her, zur Eigennutzung. Das ist ein enorm wichtiger Zukunftsmarkt.

 

In-house Counsel: Welche Aufgabenfelder ergeben sich daraus für die Rechtsabteilung und die Unternehmensjuristinnen und Unternehmensjuristen?

Julia Weber: Ein Schwerpunkt liegt bei Vertragsangelegenheiten: Verhandlung, Prüfung und Erstellung. Die Bereiche sind sehr unterschiedlich und fordern individuell zugeschnittene Lösungen. Die Lieblingsfrage von jemandem, der neu zu uns in den Vertrieb kommt: Wo bekomme ich das Standardtemplate für den Vertriebsvertrag? Den gibt es bei uns gar nicht. Es ist ein großer Unterschied, ob wir über den Verkauf von Haushaltsbatterien sprechen oder von speziellen für den Hörgeräteakustiker oder ganzen Batterie-Packs. Wir haben das Team deshalb auch in Spezialgebiete aufgeteilt. Wir arbeiten mit modularen Systemen, mit Bausteinen, die Verträge setzen wir modular nach dem Baukastensystem zusammen. Dort, wo es Sinn macht, also beispielsweise bei der Anpassung von AGB, bei Geheimhaltungsvereinbarungen oder der Standardisierung von Angeboten, versuchen wir übergreifende und einheitliche Lösungen zu finden.

 

In-house Counsel: Wenn wir einmal bei der Arbeit der Rechtsabteilung bleiben: Wie sehr stellen Sie fest, dass sich deren Rolle verändert?

Julia Weber: Es gibt definitiv Veränderungen. Wie gesagt, die Zeiten, in denen In-house-Juristen Verträge mit Mustervorlagen erstellt haben, sind lange vorbei. Wir bei Varta leben ein Business-Partner-Modell. Die In-house Counsel dürfen nicht nur die Juristenbrille aufhaben, sie sind immer auch kaufmännisch ausgebildet und bei wirtschaftlichen Fragestellungen involviert. Sie sind sogar dazu angehalten, selbst für Herausforderungen zu sorgen: Macht eine bestimmte Ausgestaltung noch Sinn oder muss sie veränderten Gegebenheiten angepasst werden? Sehr wichtig ist mir der gestalterische Aspekt der Tätigkeit. Wir verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz und auch die Juristen sollen gemeinsam mit anderen Abteilungen dafür sorgen, dass wir bestmögliche Produkte entwickeln. Wir schätzen Menschen, die das Geschäftsmodell verinnerlichen und die Bedürfnisse der Business-Units bedienen können. Deswegen sehe ich es sehr gerne, wenn etwa bei Vertriebsmeetings der dem Bereich zugeordnete Legal Counsel mit am Tisch sitzt. Wenn ich Antworten auf sehr spezielle Fragestellungen brauche, arbeite ich mit externen Partnern zusammen. Insgesamt ist die Rolle der In-house-Juristen sehr aktiv, sehr strategisch.

 

In-house Counsel: Wie schätzen Sie zukünftige Herausforderungen ein, was kommt auf Sie zu?

Julia Weber: Sehr wichtig ist für mich das gesamte Thema Legal Operations, das hat starken Einfluss auf unser Business-Partner-Modell. Ich bin gerade damit beschäftigt, Ansatzpunkte für mich quasi zu übersetzen und weitere wirtschaftliche Aspekte für die Rechtsabteilung zu identifizieren. Das bleibt eine spannende Aufgabe. Legal Operations hat bei uns einen hohen Priorisierungsgrad und liegt etwa deutlich vor der Digitalisierung. Da wir wie geschildert einen geringeren Standardisierungsgrad haben, bestehen für digitale Lösungen, die gerade da ihre Stärken haben, weniger Möglichkeiten. Ich möchte auch keine schlüsselfertigen Lösungen einkaufen und dem System überstülpen. Es muss schon sehr genau zu unseren Anforderungen passen. Ansonsten sind die üblichen Themen wichtig: Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, Compliance, ESG, Reportingpflichten und die Nachhaltigkeitsberichterstattung. Aufgabenbereiche verschieben sich auch: Wir haben zum Beispiel eine eigene Abteilung Nachhaltigkeit gegründet, die letzteres jetzt übernimmt. Im Bereich der Compliance entwickeln wir gerade ein standortübergreifendes Compliance-Marketing-Konzept. Auch da muss der Ansatz maßgeschneidert sein. Ist er das nicht, wird Compliance im Konzern nicht gelebt, sondern bleibt eine reine Vorgabe.

 

In-house Counsel: Zum Abschluss noch die Frage: Was ist für Sie Erfolg?

Julia Weber: Das hat für mich wenig mit Macht oder monetären Dingen zu tun. Erfolg bedeutet zweierlei: gemeinsam mit dem Team erfolgreich zu arbeiten und die Aufgaben zufriedenstellend zu erfüllen.

 

EINBLICKE …

Persönliches

 

In-house Counsel: Wenn man Sie nicht bei der Arbeit trifft, wo dann? Was machen Sie gerne in Ihrer Freizeit?

 

Julia Weber: Immer wenn es die Zeit erlaubt, treffen Sie mich in der Vertikalen, ich bin ein großer Bergfan. Dort gehe ich meiner Leidenschaft für das Wandern, Bergsteigen und Klettern nach. Ich war gerade wieder für zwei Tage dort, um Luft zu holen und ein wenig Abstand zu bekommen. Im letzten Winter habe ich mich am Skilanglauf versucht, das werde ich dieses Jahr wiederholen.

 

In-house Counsel: Welche Musik hören Sie gerne?

Julia Weber: Meine letzten Konzerte waren von „The Cure“ und „Placebo“. Gerade „The Cure“ trifft ziemlich genau meinen Geschmack. Auch wenn das ein bisschen düster klingt (lacht). Ich höre gerne Brit-Pop und Alternative Music.

 

In-house Counsel: Welches Buch lesen Sie gerade?

Julia Weber: Ich lese gerade das Buch „Der Distelfink“ von Donna Tartt, in dem es um einen Jungen geht, der bei einem Attentat in einem New Yorker Museum seine Mutter verliert. Im Affekt lässt er das Gemälde „Der Distelfink“ mitgehen und versucht das nun zu verbergen. Außerdem lese ich einen Reiseführer über Skandinavien, dort soll nach Möglichkeit der nächste Urlaub hingehen. In der Region würde ich sehr gerne mehrere Länder bereisen.

 

In-house Counsel: Wie wir wissen, gibt es den perfekten Tag nicht. Wie sieht ein nahezu perfekter Tag für Sie aus?

Julia Weber: Im Arbeitsleben freue ich mich über einen Kalender, den ich gut überblicken kann und bei dem ich Zeit habe, mich auf die einzelnen Agendapunkte einzulassen und diese gut zu bewältigen. Es ist schön, abends nach Hause zu kommen und zu wissen, den Arbeitstag abhaken zu können. In der Freizeit finde ich es schön, wenn ich nach dem Aufstehen Muße habe, in Ruhe eine große Tasse Kaffee zu trinken. Dann kann gar nicht mehr so viel passieren, das den Tag schädigt. Und wie bereits gesagt: Ich bin gerne draußen.

 

Julia Weber

 

Um die 4.300 Mitarbeiter zählt die Varta AG weltweit. Julia Weber leitet seit Anfang Dezember 2022 die beiden Bereiche Human Resources sowie Legal & Compliance. Zehn Personen sind ihr zum direkten Report verpflichtet, darunter steht eine starke Business-Partner-Struktur. Sie schätzt an ihrem Arbeitgeber dessen tiefen Wurzeln in den umliegenden Regionen. Es gibt viele Familien, die eng mit Varta verbunden sind. Daraus wächst der Zusammenhalt, der zwischen den Mitarbeitenden herrscht, und die Loyalität, die der Firma entgegengebracht wird. Die Fluktuation ist gering, auch in der HR- und in der Rechtsabteilung, deshalb kann sie über einen Fachkräftemangel nicht viel berichten. Dazu nennt sie als Stärken die Entwicklungsmöglichkeiten für die Mitarbeitenden und das technische Know-how, das die Marke weltweit berühmt gemacht hat. Essenziell ist für sie die gute Kommunikation, eine gute Abstimmung zwischen den Abteilungen – und dass die Mitarbeitenden in den Bereichen Recht und Personal das Geschäftsmodell verinnerlichen und eine aktive Rolle einnehmen. Seit gut zwölf Jahren ist Julia Weber jetzt schon für das Unternehmen mit Sitz in Ellwangen tätig. Zuvor hat sie nach dem Studium an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg als Personalreferentin bei einem Automobilzulieferer gearbeitet. Sie wollte von jeher direkt in die Industrie, die Kombination aus Theorie und Praxis fasziniert sie. Die rein beratende Funktion in einer Sozietät reizte sie hingegen nie.

 

Das Gespräch führte Alexander Pradka

Beitrag von Alexander Pradka

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