Ein Kulturkreis sorgt für Mitwirkung

Ursprünglich war die Möglichkeit, eine „Societas Europaea“ zu gründen, für Großkonzerne gedacht. Wie die Praxis zeigt, nimmt die Option hierzulande hauptsächlich der Mittelstand in Form der Umwandlung von AG in SE wahr. Treiber ist häufig die Mitbestimmung – oder besser deren Vermeidung. Das muss aber nicht zwingend so sein. Was das mit Unternehmenskultur zu tun hat, zeigt ein Beispiel aus der Praxis.
vom 1. Januar 2022
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Die Umwandlung einer deutschen Aktiengesellschaft in eine europäische SE erfolgt in vielen, vielleicht sogar den meisten Fällen, um die drohende Mitbestimmung seitens der Belegschaft „einzufrieren“. Im deutschen Recht orientiert sich diese an der Mitarbeiterzahl. Grundsätzlich muss der Aufsichtsrat ab 500 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu einem Drittel mit Arbeitnehmervertretern besetzt sein, ab 2.000 Mitarbeitenden folgt die paritätische Mitbestimmung. „Bei neun von zehn mittelständischen Gesellschaften ist der Grund für die Umwandlung von der Aktiengesellschaft in die SE die Vermeidung dieser paritätischen Mitbestimmung“, vermutet Frank Weigelt, Head of Legal der Mercateo Gruppe. Das Unternehmen betreibt eine Plattform für Geschäftskunden und firmiert künftig unter dem Namen „Unite“. Bei dem E-Procurement-Anbieter der ersten Stunde stand bereits seit vier, fünf Jahren der Gedanke im Raum, die Mercateo Beteiligungsholding AG und die operativ tätige Unite Network AG jeweils in eine SE zu überführen. Aus dem Dienstleister mit klarem deutschen Ursprung ist über die Jahre ein internationales Geflecht entstanden. In 14 Ländern agieren regionale Handelsgesellschaften als Treiber. „Dieser internationalen Ausrichtung wollten wir nun auch durch eine supranationale Rechtsform, der SE, Geltung verschaffen“, so Weigelt. „Im Fokus der Überlegungen stand die Ablösung der deutschen AG als Vertragspartner für das immer internationaler werdende Netzwerkgeschäft durch die international agierende SE.“ Eine Entwicklung, die mit der internen Ankündigung der Geschäftsleitung im Dezember des vergangenen Jahres ihren Anfang nahm und ein knappes Jahr später ihren Abschluss fand.

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„Im Fokus der Überlegungen stand die Ablösung der deutschen AG als Vertragspartner für das immer internationaler werdende Netzwerkgeschäft durch die international agierende SE.“

Frank Weigelt, Head of Legal, Mercateo

EINE SANFTE FORM DER BETEILIGUNG

 

Das Thema Mitbestimmung schwingt in derartigen Prozessen zwangsläufig immer mit. Und da kommt ein Aspekt mit ins Spiel, der eng mit dem Thema verwoben ist: die Unternehmenskultur und die damit zusammenhängende Frage, wie wichtig der oder die Einzelne ist, wie ernst die Geschäftsleitung dessen oder deren Meinung nimmt – ohne dass dies normiert sein muss. Weigelt spricht in diesem Zusammenhang vom Mitarbeitenden als „Teil der Wertschätzungskette“. Was heißt das? „Es existiert ein niedergeschriebenes Wertesystem. Die Unternehmenskultur basiert auf gegenseitiger Anerkennung und sieht nicht vor, alles in starre Regeln zu gießen sondern nur da, wo wirklich erforderlich, Sanktions- oder Eskalationsmechanismen vorzusehen“, berichtet Dr. Juliane Voigtmann, Legal Counsel bei Mercateo/Unite. Die Umwandlung von AG in SE führt dazu, dass es statt weniger sogar ein Mehr an Beteiligung geben kann. Sie ist im konkreten Fall wie die Umstellung des Geschäftsmodells ebenfalls von einem Vernetzungsgedanken getrieben. Diese geht allerdings nicht so weit, dass es sich um eine echte Mitbestimmung handelt: „Entscheidungsrechte beziehungsweise Rechte, dem Vorstand oder Aufsichtsrat Vorgaben zu machen, gibt es nicht“, erläutert Voigtmann. Konstituiert hat sich als Gremium, das zur Firmenkultur passen soll, ein so genannter „Kulturkreis“. Diesem gehören nach einem Schlüssel aufgeteilt Delegierte aus allen Ländern an, in denen Unite operativ tätig ist. Wahlberechtigt sind unterschiedslos alle der rund 600 abhängig Beschäftigten. Der Kulturkreis hat in erster Linie Anhörungs- und Beratungsfunktionen. Er konsolidiert und institutionalisiert damit Ansätze und Bestrebungen, die zuvor verstreut schon vorhanden, aber nicht oder allenfalls auf lokaler Ebene als effiziente Partizipation anzusehen waren. Zweimal im Jahr ist das Minimum für die Konsultationen, die der Vorstand mit dem Kulturkreis führen muss. „Die Geschäftsleitung ist verpflichtet, Vorhaben und mögliche Entscheidungen zu teilen und die Meinung des Gremiums einzuholen“, beschreibt Voigtmann. „Das betrifft auch strategische und weichenstellende Überlegungen, ohne dass allerdings eine Bindungswirkung eintritt.“ Umgekehrt ist der Kulturkreis Appell an die Beschäftigten. Er soll bei der Leitung Themen adressieren, die sie bewegen, dabei helfen, die Sinne für die Perspektive der Mitarbeitenden zu schärfen. Die Vereinbarung über den Kulturkreis war Bestandteil der erforderlichen Unterlagen zur Eintragung der SE in das Handelsregister. Bei Unite sind die Verantwortlichen zuversichtlich, dass Beteiligung in Form des Kulturkreises in die richtige Form gegossen ist: „Das Konstrukt basiert im Wesentlichen auf Vertrauen. Die Vergangenheit, die Gespräche zwischen Vorstand und Beschäftigten im Rahmen des Umwandlungsverfahrens haben gezeigt, dass das in beide Richtungen funktioniert“, so Voigtmann.

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„Die Unternehmenskultur basiert auf gegenseitiger Anerkennung und darauf, nicht alles in starre Regeln zu gießen, sondern nur da, wo wirklich erforderlich, Sanktions- oder Eskalationsmechanismen vorzusehen.“

Dr. Juliane Voigtmann, Legal Counsel, Mercateo

HERAUSFORDERUNG AKZEPTANZ

 

Das ist auch der Grund für Weigelt und Voigtmann, warum das Umwandlungsverfahren zügig zum Abschluss gekommen ist. Nachdem im Januar und Februar die gesellschaftsrechtlichen Vorbereitungen in die Wege geleitet wurden, startete Anfang März schon das Mitarbeiterbeteiligungsverfahren. Die eigentlichen Verhandlungen ließen sich binnen sechs Wochen erfolgreich durchführen. Eigentlich „dauert das mehrere Monate“, so Voigtmann. „Die größten Herausforderungen stecken dennoch in der Kommunikation und darin, die notwendige Akzeptanz zu erreichen“, sagt Weigelt. „Letzteres ist gerade dann der Fall, wenn ein Unternehmen sich mehr auf Werte und Vertrauen stützt als auf Arbeitsrichtlinien und Regularien. Dann ist ein stark formalisiertes Verfahren zunächst einmal befremdlich und verunsichert den ein oder anderen.“ Externe Unterstützung ist in jedem Fall ratsam, um ein solches Projekt zu stemmen. In diesem Fall stammte sie in punkto Kapitaldeckungsprüfung von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Warth & Klein Grant Thornton. Die anwaltliche Beratung übernahm YPOG, in Zusammenarbeit mit den Arbeitsrechtsspezialisten von Pusch Wahlig. 

 

Die Vorgabe einer erfolgreichen Internationalisierung scheint aufzugehen: „Wir merken schon jetzt am Markt, dass der neue Ansatz viel besser angenommen wird“, bestätigt Weigelt. Die Akzeptanz der Unite-Network-Bedingungen wird den Playern auf der Plattform leichter fallen. „Der französische Anbieter und sein französischer Einkäufer reagierten bisweilen verwirrt oder sogar verstört, wenn Geschäftsbedingungen einer deutschen AG als Grundlage dienen sollten. Das ist über die SE jetzt anders.“ Die Country Manager vor Ort seien von Anfang an sehr angetan von der Idee der Umwandlung gewesen. Der Schritt zu einer umfassenden Transaktions- und Vernetzungsplattform, zu einem Modell, das nicht mehr nur lokal auf Handelsbeziehungen beschränkt ist, sondern sich europaweit erstreckt, ist gemacht. Dieser Strategiewechsel mit größeren Internationalisierungsmöglichkeiten lässt die neue europäische Rechtsform als logischen Schluss erscheinen.

Alexander Pradka

Beitrag von Alexander Pradka

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