Der Mitarbeiter und seine Erlebnisse im Fokus

Ein neuer Wind weht durch die Personalabteilungen. Nach „Human Resources“ und „Human Capital“ kommt das „Human Experience Management“. Positive Mitarbeitererlebnisse sollen im Mittelpunkt der Personalpolitik stehen. Denn unmotivierte Kollegen und Kolleginnen kosten Geld.
vom 1. Januar 2022
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Alle Jahre wieder wird er veröffentlicht, der „Gallup Engagement Index“. Er gibt Auskunft über Zugehörigkeitsgefühl und Engagement der Mitarbeiter in Firmen. Die letzte repräsentative Befragung von 1.000 Beschäftigten der internationalen Managementberatung wurde im März 2021 veröffentlicht. 17 Prozent der Befragten gaben an, „hochemotional“ an ihr Unternehmen gebunden zu sein. Rund 68 Prozent machen nur „Dienst nach Vorschrift“. Die Zahl derjenigen „ohne jede innere Zugehörigkeit“ lag bei 15 Prozent. Das zeichnet ein eher düsteres Bild in einer Zeit, in der der Mangel an hochqualifizierten Mitarbeitern ein bestimmendes Thema ist. Nicht verwunderlich also, dass „Human Experience Management“ (HXM) als neuer Ansatz im Personalwesen viel an Aufmerksamkeit gewinnt.

HXM – ALTER WEIN ODER NEUER CHAMPAGNER?

 

Hinter dem Kürzel steht eine neue Denkweise. Es geht nicht mehr nur um die Sicht des Unternehmens, sondern um die „Employee Experience“. Die Arbeitgeber sollen ihren Beschäftigten motivierende Arbeitserlebnisse bieten, die zur Identifikation beitragen. Das beginnt bei der Bewerbung, reicht über die Einarbeitung und die gesamte berufliche Laufbahn bis hin zum Ausscheiden. Eine positive und wertschätzende Unternehmenskultur und Arbeitsatmosphäre, so die These, erhöhen das Engagement, wovon auch der Arbeitgeber profitiert. Gallup schätzt, dass sich heute die volkswirtschaftlichen Kosten aufgrund innerer Kündigung hierzulande auf zwischen 96,1 und 113,9 Milliarden Euro jährlich belaufen. Aber wissen Firmen, was ihre Mitarbeiter wollen und wie sich Erfahrungen im Job auf die Arbeit auswirken? Um das herauszufinden, sind regelmäßige Erhebungen von Erlebnis- und Erfahrungsdaten und das systematische Sammeln von Rückmeldungen der Beschäftigten ein Mittel des HXM. Aber: „Befragungen etwa nach dem Onboarding können problematisch sein, weil die Anonymität nicht wirklich gewahrt werden kann“, sagt Corina Müller, Junior Legal Counsel bei einem Kölner E-Commerce-Unternehmen. Solche Umfragen gibt es zwar auch in ihrer Firma, aber nicht als regelmäßiges Instrument der Personalpolitik.

VERTRAUEN UND ANERKENNUNG

 

„Wichtiger als eine institutionalisierte Befragung ist für mich eine Kultur des Vertrauens und der Wertschätzung“, sagt die 30-jährige Wirtschaftsjuristin, die in ihrer ersten festen Anstellung tätig ist. „Ich schätze es, dass ich mich bei allen Problemen oder Fragen immer unmittelbar an meinen direkten Vorgesetzten wenden kann, der eine Art Mentor für mich ist.“ Flache Hierarchien, Sport- und Gesundheitsangebote – damit werben viele Firmen um junge Talente. „Für mich viel interessanter war aber ein abwechslungsreiches Aufgabengebiet“, sagt die technikaffine Kölnerin mit Arbeitsschwerpunkt Medienrecht. Noch zwei andere Punkte sind für sie von Bedeutung: die richtige Balance zwischen Arbeit und Leben und die Wertschätzung durch das Management. 

 

„Ich arbeite viel mit internationalen Kollegen zusammen, also auch abends. Eine gute Gleitzeit- oder Arbeitszeitregelung ist mir wichtig, um einen Ausgleich schaffen zu können“, stellt sie fest. Und genau die vermisst sie derzeit. Ebenso wie Wertschätzung seitens ihres Managements. „Es muss kein ständiges Lob sein“, stellt sie klar. „Aber eine Anerkennung von Leistung etwa nach Abschluss von großen und langwierigen Projekten trägt ganz sicher zur Motivation im Alltag und zur Identifikation bei.“ Fehlende Würdigung ihrer Leistung, wenig flexible Arbeitszeitlösungen, mangelnde Transparenz in der Kommunikation der Firmenleitung – alles Gründe, warum Corina Müller einen Stellenwechsel plant. Damit ist sie nicht allein. Laut Gallup beabsichtigen nur 61 Prozent der Arbeitnehmer, in einem Jahr noch bei ihrer derzeitigen Firma zu sein.

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„Unternehmen sollten immer verinnerlichen, dass Mitarbeiter mehr als nur Humankapital sind.“

Mirco Dahling, Legal Counsel

„Ich arbeite viel mit internationalen Kollegen zusammen, also auch abends. Eine gute Gleitzeitoder Arbeitszeitregelung ist mir wichtig, um einen Ausgleich schaffen zu können.“

Corina Müller, Junior Legal Counsel

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MOMENTE, DIE MOTIVIEREN

 

„Das Gehalt mag der Grund sein, warum man kommt – der Spaß an der Tätigkeit und die weiteren Umstände entscheiden jedoch, ob man bleibt“. So bringt Mirco Dahling, Legal Counsel eines internationalen Touristikkonzerns, es auf den Punkt. Seine Haltung gegenüber einem Arbeitgeber formuliert Dahling so: „Ich erwarte, dass er mich zu gleichen Teilen fordert und fördert. Das Ziel sollte es sein, dass man gemeinsam wächst und sich entwickelt.“ Wachsen und Entwickeln – damit haben auch zwei bedeutende Momente in Mirco Dahlings Berufsleben zu tun. Der 28-Jährige ist heute an einer Hochschule als Dozent für Besonderes Wirtschaftsrecht tätig. Bei der Bewerbung um eine Ausbildungsstelle wurde ihm einmal mit den Worten zugesagt: „Werden Sie ein Teil unserer Familie.“ Das sagt für den Juristen viel über das unternehmerische Selbstverständnis und die Wertschätzung der Mitarbeiter als Familienmitglieder aus. Das liegt Jahre zurück, hat aber bleibenden Eindruck hinterlassen. „Einen anderen solchen Moment erlebte ich, als mein Vorgesetzter mir anbot, ein berufsbegleitendes LL.M.-Studium zu absolvieren“, erinnert sich der Frankfurter. Beeindruckt hat ihn aber nicht nur die Zusage finanzieller Unterstützung. „Es war viel mehr der Satz: ‚Mach dir keine Sorgen. Ich unterstütze dich und halte dir für die Studien den Rücken frei, egal was kommt‘“. Für Mirco Dahling ist diese Sicherheit während seines Studiums einer der Gründe für dauerhafte Loyalität und emotionale Bindung an seinen Arbeitgeber. Junge Unternehmensjuristen – und nicht nur sie – haben, so scheint es, andere Prioritäten als ihre Vorgängergenerationen und das unabhängig vom „Etikett“ ob HR, HC oder HXM. „Unternehmen sollten immer verinnerlichen, dass Mitarbeiter mehr als nur Humankapital sind“, so Mirco Dahling. „Individuell auf den Beschäftigten abgestimmte Lösungen sind aufwendig. Die positiven Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis in Form von emotionaler Bindung, Leistungsbereitschaft und Loyalität sollten aber nicht unterschätzt werden.“

Gabriele Müller

Beitrag von Alexander Pradka

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