Beweglich bleiben

Beim Versuch, allen Vorschriften gerecht zu werden, kann es passieren, über das Ziel hinaus zu schießen. Die Rechtsabteilung nimmt hier eine zentrale Stellung ein, um zu verhindern, dass Unternehmen sich selbst blockieren.
vom 9. Mai 2025
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Bürokratie nervt. Deutsche Unternehmen ächzen unter der Masse an alten und neuen Berichtspflichten und Regeln. Eine Auswahl: Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz gilt seit dem 1. Januar 2023. Nur vier Tage später trat die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) in Kraft. Am 1. August 2024 kam die EU KI-Verordnung. Und auch dieses Jahr gibt es wieder neue Gesetze und Verordnungen. Ab dem 28. Juni dieses Jahres wird das Barrierefreiheitsstär­kungsgesetz zu beachten sein. Am 30. Dezember folgt die EU-Entwaldungsverordnung. Den Unternehmen bleibt kaum Luft zum Durchatmen. Jedes neue Gesetz hat Auswirkungen auf Abläufe und Prozesse im Unternehmen. Bürokratie wird als ein wichtiger Grund angeführt, weshalb es derzeit bei der Wirtschaft stockt. Das ist die eine Seite der Geschichte. Und dann gibt es die andere Seite: auch Unternehmen können bürokratisch sein. Etwa dann, wenn es darum geht, die regulatorischen Vorgaben intern umzusetzen – und dabei Wege beschritten werden, die umständlich oder ineffizient sind. Laut einer Umfrage der Luzerner Beratungsgesellschaft „Die Kontur“, an der 2.500 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland teilnahmen, empfinden 61,4 Prozent der Befragten ihr Unternehmen als bürokratisch. 62,2 Prozent führen die Bürokratie auf rechtliche Absicherung zurück. 21,4 Prozent schätzen die Bürokratie als „hausgemacht“ ein. Hier ist die Rechtsabteilung gefragt, Lösungen zu finden, die dabei helfen, dass Unternehmen trotz aller neuen und alten Regeln funktionieren. Dr. Bodo Antonić ist Geschäftsführer von „Die Kontur“ und als Berater und Interims-Manager tätig. Seine persönlichen Erlebnisse wurden von der Studie bestätigt. Überbordendes Berichtswesen, zeitraubende Meetings, rechtliche Absicherungsreflexe – sie sorgen häufig dafür, dass sich Unternehmen selbst blockieren. Immer wieder müssten Mitarbeitende Berichte abliefern, die weder gelesen noch zu weiteren Maßnahmen führen würden. „Es geht in der Regel um Rechtfertigungen. Für die Mitarbeiter ist das enorm frustrierend“, sagt Antonić. Nicht nur neue, sondern auch alte eingeschliffene bürokratische Abläufe können Unternehmen hemmen. Sinnvolle Veränderungen werden ausgeblendet. Zwar geben routinierte Abläufe Sicherheit, mit der Zeit können sie sich allerdings überlebt haben. Das Argument „das haben wir schon immer so gemacht“, kann in diesem Kontext nicht überzeugen. Natürlich gebe es rechtlichen Vorgaben, die eindeutig seien und von denen Unternehmen auch nicht abweichen könnten, sagt Bodo Antonić. Dann gebe es aber zusätzlich ein „Mindset“, das erst zufrieden sei, wenn etwas juristisch unangreifbar sei – wenn es also überhaupt keine Risiken mehr gebe. „Ich kann das zum Teil nachvollziehen“, sagt Antonić. „Wer ein Unternehmen zum Beispiel als GmbH-Geschäftsführer führt, will nicht persönlich haften. Doch die Gefahr besteht, über das Ziel hinauszuschießen. Unternehmensjuristinnen und Juristen könnten hier eine Schlüsselrolle übernehmen und sich strategisch einbringen, empfiehlt Antonić: „Die Aufgabe ist es, genau herauszuarbeiten: Was muss wirklich getan werden? Was wäre ein Add-on? Wie können wir den rechtlichen Rahmen so gestalten, dass das Unternehmen möglichst beweglich bleibt?“ Über allem stehe die zentrale Frage: „Warum tun wir das eigentlich?“ 

Katja Thümmler

„Es ist schon so, dass wir unter der Vielfalt der Regulatorik ächzen.“

Katja Thümmler
Vice President Corporate Law und Deputy General Counsel,
KION Group

Spielräume für Integration 

Laut einer Studie des ifo Instituts verbringen deutsche Büroangestellte durchschnittlich mehr als ein Fünftel ihrer Arbeitszeit mit bürokratischen Aufgaben. Geht man davon aus, dass ein Fünftel der Bürokratie hausgemacht ist, sind das bezogen auf eine Vollzeitstelle etwas mehr als 1,5 Stunden in der Woche. Potenzial, um Unternehmen effizienter – und auch schneller – zu machen. „Standardaufgaben im Bereich Legal und Compliance sollten möglichst wenig Ressourcen binden, um genug Zeit für die strategisch und wirtschaftlich bedeutsamen Tätigkeiten zu haben“, sagt Dr. Matthias Schwenke, Partner bei PwC Legal und Spezialist für die Transformation von Rechtsabteilungen. „Darin liegt auch die Herausforderung.“ Ein Lösungsansatz sei die Digitalisierung. Viele Prozesse ließen sich durch Automatisierung effizienter gestalten – allerdings gebe es nicht das eine Tool, das alle Probleme löst. Er plädiert zudem für Augenmaß: „Es gibt den schönen Spruch: Ein kluges Pferd springt nicht höher als es muss.“ Tatsächlich eröffnen viele regulatorische Vorgaben Spielräume für Interpretation. Wer diese Spielräume klug nutzt, kann Aufwand und auch Komplexität reduzieren. „Es ist wichtig, hier mit den Branchenverbänden, aber auch mit den Behörden im Austausch zu stehen, um herauszufinden, was wirklich verlangt wird“, betont Schwenke. Gefordert sei von der Rechtsabteilung ein proaktiver Beratungsstil. Gute Rechtsabteilungen schaffen aus seiner Sicht Klarheit und zeigen gangbare Wege auf. „Anstelle von theoretischen Ausführungen sollten konkrete Handlungsvorschläge kommen – idealerweise zusammengefasst in kurzen, präzisen Punkten“, sagt Schwenke. Dabei könne KI helfen und bürokratische Sprache in verständlichere Sprache umschreiben. Legal Operations hat in Unternehmen unter anderem die Aufgabe, rechtliche Prozesse effizienter zu gestalten. In der Regel wird hier auf ein Bündel von Maßnahmen gesetzt: Neue Abläufe, bessere Vernetzung von Akteuren – aber auch Digitalisierung und Automatisierung. Elisabeth Kuhn ist als Manager Legal Tech & Operations bei Hubert Burda Media mit diesen Veränderungsprozessen vertraut.Dezentralität gilt in vielen Konzernen als Erfolgsmodell – auch bei Hubert Burda Media. Sie ermöglicht operativen Einheiten schnelles Handeln und eigenverantwortliches Arbeiten. Doch die Kehrseite zeigt sich bei übergreifenden Prüf- und Freigabeprozessen. „Das Prinzip der Dezentralität hat sich bei Burda über Jahre bewährt“, sagt Elisabeth Kuhn, Manager Legal Tech & Operations. „Bei bestimmten rechtlichen Abläufen hat sie sich allerdings auch als ineffizient erwiesen.“ Ein wichtiger Punkt ist die Vertragsprüfung. Hier müssen nicht nur Legal, sondern unter Umständen auch Data Privacy, Information Security, Compliance, Tax und Procurement eingebunden werden – mit entsprechend langen Wartezeiten und vielen Rückkopplungsschleifen.Um dem zu begegnen, setzt das Unternehmen zukünftig auf strukturierte Prüfprozesse. Ein zentrales Instrument sind dabei die sogenannten Vertrags-Playbooks. Sie bündeln die Anforderungen der verschiedenen Fachbereiche in einem standardisierten Prüfraster pro Vertragsart. So wird ein Vertrag nicht mehr nur aus rechtlicher Sicht bewertet, sondern zum Beispiel auch unter Compliance- oder Steueraspekten.

Jörg Viebranz

„Es gilt der Grundsatz: Compliance ist nicht verhandelbar. Wir müssen mit den vorhandenen Gesetzen compliant sein.“

Dr. Jörg Viebranz
Senior Director Compliance Governance and Regulatory Affairs,
KION Group

Mehr Effizienz mit Contract-Lifecycle-Management

Parallel dazu führt das Team ein Contract-Lifecycle-Management-System ein. „Im Augenblick ist das entscheidende Tool bei der Vertragsprüfung noch Outlook“, so Kuhn. „Wir wollen nun allerdings eine Plattform nutzen, über die die Verträge abgelegt und bearbeitet werden können.“ Das neue System soll es erlauben, bestimmte Kriterien festzulegen, um automatisch die relevanten Abteilungen in den Freigabeprozess einzubeziehen. Alerts sorgen dafür, dass keine Instanz übersehen wird. Das Ziel: weniger Reibungsverluste und eine bessere Zusammenarbeit über Fachgrenzen hinweg. „Damit das gelingt, dürfen wir nicht nur auf uns als Rechtsabteilung sehen, sondern müssen den gesamten Prozess und die Anforderungen der Stakeholder im Blick haben“, betont Kuhn. Der Nutzen sei für alle Beteiligten sichtbar. Hinzu kommt ein wirtschaftliches Argument: „Wenn eine relevante Abteilung nicht eingebunden wurde, kann es unter Umständen sein, dass durch eine falsche Vertragsgestaltung zu viel Geld bezahlt werden muss. Auf der anderen Seite profitieren alle auch von der schnelleren Prüfung unkritischer Verträge.“ Die KION Group mit Sitz in Frankfurt am Main hat rund 42.000 Mitarbeiter und ist zum Ende des Geschäftsjahres 2024 mit 26 Tochtergesellschaften in Deutschland und 104 Tochtergesellschaften im Ausland vertreten. „Die zunehmende Dichte an Regulatorik stellt eine Belastung dar“, sagt Katja Thümmler, Vice President Corporate Law und Deputy General Counsel. „Es ist schon so, dass wir unter der Vielfalt der Regulatorik ächzen“, sagt sie. Größere, länderübergreifende Fragestellungen werden auf Konzernebene behandelt. Kleine, abteilungsübergreifende Teams versuchen dann alle relevanten Perspektiven zu berücksichtigen. Zu Beginn nimmt das Team eine Gap-Analyse vor. Dabei wird zunächst ermittelt, wo das Unternehmen steht und welche Maßnahmen zur rechtskonformen Umsetzung neuer Anforderungen erforderlich sind. Die anschließende Priorisierung der Maßnahmen erfolgt risikobasiert, insbesondere bei engem Zeitrahmen. „Wir fangen dort an, wo die größten Risiken bestehen. Und es gibt auch Low hanging fruits, Dinge, die sich schnell umsetzen lassen“, so Thümmler. Wichtig sei eine pragmatische und für die Praxis taugliche Umsetzung. Bestehende Prozesse sollten genutzt und wenn möglich standardisiert werden. Im Unternehmen kämen verschiedene Dashboards und Datenbanken zum Einsatz. Ziel ist es, die Zahl der genutzten Tools zu begrenzen und vorhandene Strukturen zusammenzuführen. „Um Prozesse schlank zu halten, soll es möglichst wenig IT-Tools geben. Das bedeutet, man muss Kompromisse eingehen und möglicherweise auch Abstriche machen“, sagt Jörg Viebranz, Senior Director Compliance Governance and Regulatory Affairs bei der KION Group in Frankfurt am Main. 

Feedback von den operativen Einheiten

In der Praxis führen etwa mehrere zentrale Abteilungen eigene Risikoanalysen durch – mit jeweils anderem Fokus. So untersucht die Compliance Themen wie Korruption oder Geldwäsche, die Personalabteilung hingegen achtet auf das Thema Menschenrechte. Auch die Steuerabteilung führt eigene Prüfungen durch. „Da kann es passieren, dass man aus den operativen Einheiten zurückgemeldet bekommt, dass sie vor zwei Wochen schon einmal so etwas Ähnliches ausgefüllt haben“, sagt Viebranz. Dieses Feedback sei wichtig, um Verbesserungen zu erzielen. So könnte es beispielsweise sinnvoll sein, anstelle mehrerer Einzelmaßnahmen eine zentrale Risikoanalyse pro Jahr durchzuführen – mit einem umfassenderen Fragebogen. Gleichzeitig müssen aber auch Schnittstellen zu anderen Bereichen, etwa dem Jahresreporting, berücksichtigt werden. Auf die dafür erforderlichen Daten könne man nicht verzichten, sie müssten zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügbar und zugänglich sein, sagt Jörg Viebranz. Er betont die Prioritäten bei der Umsetzung regulatorischer Anforderungen. „Es gilt der Grundsatz: Compliance ist nicht verhandelbar. Wir müssen mit den vorhandenen Gesetzen compliant sein“, sagt Viebranz. „Aber wir müssen uns auch fokussieren: Wo können wir welchen Effekt erzielen?“ Regulierung lässt sich nicht vermeiden – aber gestalten. Unternehmen, die interne Abläufe kritisch prüfen, Spielräume nutzen und klare Prioritäten setzen, können bürokratischen Aufwand deutlich reduzieren. Effizienz und Rechtskonformität schließen sich dabei nicht aus. Entscheidend ist ein pragmatischer Umgang mit Anforderungen, der rechtliche Sicherheit schafft, ohne Prozesse unnötig zu verkomplizieren. So lassen sich Risiken steuern, ohne sich selbst im Weg zu stehen. ■
Henning Zander

Beitrag von Alexander Pradka

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