Als es Ende April 2024 vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zur zweiten Halbzeit der Verlängerung der rechtlichen Auseinandersetzung zwischen der Freien Hansestadt Bremen und der DFL kam, führte Bremen 2:1. Da es in der Juristerei kein Elfmeterschießen gibt, liegt es nun an den Richtern in Karlsruhe zu entscheiden, ob sich die Bundesliga-Vereine künftig an den höheren Polizeikosten für den Einsatz der Sicherheitskräfte bei Hochrisikospielen beteiligen müssen. Das sind Spiele zwischen Vereinen mit über die Jahre gewachsener Fanrivalität, beispielsweise Partien zwischen dem SV Werder Bremen und dem Hamburger Sport-Verein, Borussia Dortmund gegen Schalke 04 oder das Stadtderby des HSV gegen St. Pauli. Doch es gibt noch weitere Aufeinandertreffen von Fußballklubs, die den Großeinsatz der Polizei erfordern. Allein in der Saison 2022/23 fielen bei den 612 Partien der Bundesliga und 2. Bundesliga bei der Polizei mehr als 1,6 Millionen Arbeitsstunden an, um die Sicherheit in und um die Stadien zu gewährleisten. Vor dem Bundesverfassungsgericht geht es jedoch nicht um die kompletten Kosten für die rund um Bundesligaspiele stattfindende Polizeieinsätze, sondern nur um den zusätzlichen Aufwand für Hochrisikospiele, bei denen mehr Polizisten als üblich eingesetzt werden. Um der DFL, dem Zusammenschluss der Vereine der ersten und zweiten Bundesliga sowie den Inhabern von deren Vermarktungsrechten diese Mehrkosten in Rechnung zu stellen, hat die Freie Hansestadt Bremen 2014 den Paragraph 4 Abs. 4 des Bremischen Gebühren- und Beitragsgesetzes (BremGebBeitrG) geschaffen. Diese Regelung ist jedoch nicht auf Bundesligaspiele begrenzt, sondern gilt grundsätzlich für gewinnorientierte und erfahrungsgemäß gewaltgeneigte Großveranstaltungen mit mehr als 5.000 Besuchern. Auf dieser Grundlage erhob die Polizei Bremen erstmals für das Heimspiel des SV Werder Bremen gegen den HSV am 19. April 2015 bei der DFL eine Veranstaltungsgebühr von exakt 425.718 Euro und 11 Cent. Das sollte den höheren Aufwand bei diesem Hochrisikospiel decken. Weil die DFL diese Kosten nicht übernehmen wollte, landete der Fall vor Gericht. Das Verwaltungsgericht Bremen gab der DFL in erster Instanz Recht und erklärte die Kostenbeteiligung im Mai 2017 für rechtswidrig – damit stand es 1:0 für die DFL. Dem widersprach jedoch das Oberverwaltungsgericht Bremen bei der Berufungsverhandlung im Februar 2018 und entschied, dass die DFL 415.000 Euro zahlen müsse. So erzielte Bremen den Ausgleichstreffer. Dieses Urteil wurde in der Revision vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig im März 2019 bestätigt – folglich ging die Freie Hansestadt mit 2:1 in Führung. Bis Ende 2019 musste der SV Werder Bremen auf Beschluss der übrigen in der DFL vertretenen Vereine die ausgelegten Polizeikosten von rund 1,17 Millionen Euro an die DFL erstatten. Doch um das Bremer Gesetz als Präzedenzfall für die übrigen Bundesländer zu verhindern, reichte die DFL eine Verfassungsbeschwerde gegen die Urteile des Oberverwaltungs- und Bundesverwaltungsgerichts sowie gegen den Paragraphen 4 des Bremischen Gebühren- und Beitragsgesetzes ein. „Der DFB verfolgt das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht mit großer Aufmerksamkeit und hat als sachverständiger Dritter auch an der mündlichen Verhandlung teilgenommen“, sagt Dr. Jörg Englisch, Direktor des DFB-Justiziariats. Und: Der DFB unterstütze die Rechtsposition der DFL, er halte die Gebührenregelung für rechtswidrig.
„Eine Gebühr darf nur für eine abgrenzbare und dem Veranstalter zurechenbare Leistung erhoben werden. Dafür muss ein entsprechender Sondervorteil vorliegen.“
Dr. Jörg Englisch
Direktor,
DFB-Justiziariats
Blick nach England
Gelingt der DFL in letzter Minute noch der Ausgleich zum 2:2, weil das Bundesverfassungsgericht ihr Recht gibt, dann müsste Bremen die bisher erhaltenen Polizeikosten erstatten und künftig wieder allein tragen. Entscheiden sich die Karlsruher Richter dagegen zugunsten der Freien Hansestadt, dann dürfte die Polizei künftig auch in anderen Bundesländern dazu übergehen, die Mehrkosten von Hochrisikospielen den dortigen Bundesligavereinen in Rechnung zu stellen. „Dazu muss man wissen, dass die Vereine bereits heute die Kosten für sämtliche Sicherheitsmaßnahmen auf dem Stadiongelände tragen“, erklärt Dr. Englisch. „Bei der Gebühr geht es um Kosten, die durch Polizeieinsätze außerhalb des Stadions entstehen, etwa in der Innenstadt oder am Bahnhof.“ In England, dem Mutterland des Fußballs, hat sich die Politik gegen diese Möglichkeit entschieden. In der Premier League kann die Polizei die Clubs zwar tatsächlich für Einsätze zur Kasse bitten. Aber nur wenn sie neben den von den Vereinen organisierten und bezahlten Sicherheitskräften im Stadiongelände aktiv werden muss. Alles, was außerhalb der Stadien geschieht, ist allein Aufgabe des Staates. In Deutschland wird die Sicherheit innerhalb der Fußballstadien ebenfalls von den Vereinen organisiert und bezahlt. Für die Gewährleistung der Sicherheit an Spieltagen setzten die Clubs nach DFL-Angaben bei den Spielen in der Bundesliga und 2. Bundesliga in der Saison 2022/23 mehr als 330.000 Ordner ein. Für sichere Stadionerlebnisse leisten die Vereine und die DFL durch Fanarbeit, Sicherheitsdienste und Investitionen in die Stadion-Infrastruktur zudem seit Jahren erhebliche finanzielle und personelle Beiträge und arbeiten über die sogenannten Stadionallianzen eng mit Polizei und Behörden zusammen. Entsprechend betonte Marc Lenz, Geschäftsführer der DFL, nach der Verhandlung in Karlsruhe: „Die DFL hinterfragt zwar die Verfassungsmäßigkeit der Gebührenregelungen, sie stellt aber in keiner Weise in Frage, wie wichtig der Einsatz und das Zusammenwirken von Polizei und Netzwerkpartnern sind. Im Kern gilt, dass Vereine, Länder und Behörden gemeinsam durch präventive und reaktive Maßnahmen wie bisher ein sicheres und stimmungsvolles Erlebnis rund um die Spiele unserer Ligen sicherstellen und dabei auch eine Reduktion von Polizeieinsatzstunden ermöglichen.“ Die DFL weist zudem darauf hin, dass die 36 Clubs in den vergangenen zehn Jahren rund 12,6 Milliarden Euro an Steuern und Abgaben entrichtet haben. Juristisch argumentierten Lenz und die DFL-Anwälte in Karlsruhe, dass die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit außerhalb der Stadien eine staatliche Kernaufgabe sei, die aus dem Gewaltmonopol des Staates folge und die grundsätzlich aus Steuermitteln und nicht über Gebühren zu finanzieren sei. Das Bundesverfassungsgericht muss genau diese Grundsatzfrage entscheiden. Sein Urteil dürfte daher nicht nur die Vertreter der 36 Vereine der ersten und zweiten Bundesliga, sondern die zahlreichen Fußballinteressierten und Steuerzahler im Land interessieren.
Missbrauch von Pyrotechnik
Ganz anders sieht es bei Fanausschreitungen aus, die innerhalb der Stadiongelände geschehen. Das gilt insbesondere für den Missbrauch von Pyrotechnik durch Zuschauer, das Zeigen von Protestbannern vor und während der Spiele sowie den Wurf von Getränkebechern auf Schieds- oder Linienrichter. Während es bei der Pyrotechnik vor allem um die Verletzungsgefahr für Zuschauer geht, drohen den Vereinen Nachteile durch die Protestbanner der Fans wie zuletzt durch den Abbruch der Verhandlungen der DFL mit Bundesliga-Investoren. Und der Wurf von Getränkebechern hat schön öfter zum Spielabbruch sowie zur Niederlage am Grünen Tisch für den gastgebenden Verein geführt. „Sowohl gewalttätige Handlungen als auch der Missbrauch von Pyrotechnik durch Zuschauer stellen Verstöße gegen Verbandsnormen dar“, erklärt Dr. Englisch. Kommt es trotz aller Präventionsarbeit zu solchem Zuschauerfehlverhalten, ist dieses gemäß den verbandsrechtlichen Bestimmungen sportgerichtlich zu sanktionieren. Während der vergangenen Saison kam es oft bis zu 80 DFB-Sportgerichtsurteilen pro Monat, die neben den Vereinen aus den beiden höchsten Ligen auch solche aus der 3. Liga sowie den Regionalligen betreffen. „Entweder aufgrund einer schuldhaften Pflichtverletzung, zum Beispiel bezüglich des Ordnungsdienstes, oder im Rahmen der Strict Liability, deren Rechtmäßigkeit der Bundesgerichtshof anerkannt hat“, berichtet der Direktor des Verbands-Justiziariats. Gemäß des „Strict-Liability“-Prinzips sind Vereine immer verantwortlich, wenn in ihren Stadien gegen die Verbandsnormen verstoßen wird. Auf dieser Grundlage hat der DFB allein im Jahr 2023 von den Vereinen über seine Sportgerichtsbarkeit Ordnungsgelder in Höhe von fast neun Millionen Euro verhängt. Davon konnten die Clubs ein Drittel, also fast drei Millionen Euro, für Präventionsmaßnahmen verwenden. „Sofern die Rechtsorgane des Deutschen Fußball-Bundes an ihn zu zahlende Geldstrafen verhängen, werden diese gemäß Paragraph 34 der DFB-Rechts- und Verfahrensordnung für gemeinnützige Zwecke oder seiner Mitgliedsverbände verwendet“, erläutert Dr. Englisch. Abzüglich der Steuern entsprach das 2023 einem Gesamtvolumen von rund 4,2 Millionen Euro. Die Hälfte davon floss an die DFL-Stiftung, weitere 1,5 Millionen Euro an die DFB-Stiftung Egidius Braun und eine halbe Million Euro an die Kulturstiftung des Deutschen Fußball-Bundes. Weitere Beträge gingen an die Stiftung der Nationalmannschaft sowie Stiftungen ehemaliger Fußballtrainer und -stars.
„Für die Gewährleistung der Sicherheit an Spieltagen setzten die Clubs allein bei den Spielen in der Bundesliga und 2. Bundesliga in der Saison 2022/23 mehr als 330.000 Ordner ein.“
Dr. Marc Lenz
Geschäftsführer,
DFL
Identifizierung der Verursacher
Doch die Vereine sind nicht länger chancenlos, wenn es darum geht, die vom DFB verhängten Strafen auf die Täter abzuwälzen. Vorausgesetzt, diese können beispielsweise durch Videoüberwachung klar identifiziert und vor Gericht gestellt werden. Genau so war es im Fall des am 18. März 2022 in der 68. Spielminute abgebrochenen Bundesligaspiels zwischen dem VfL Bochum und Borussia Mönchengladbach. Der Gastverein führte mit 2:0, als der Schiedsrichter-Assistent Christian Gittelmann aus dem Zuschauerbereich einen gefüllten Getränkebecher an den Kopf bekam. Der Werfer wurde zwei Tage später überführt. „Gemäß der für alle Vereine geltenden Rechts- und Verfahrensordnung des DFB ist das Spiel für den VfL Bochum mit 0:2 als verloren zu werten, da der Verein für seine Zuschauer verantwortlich ist und das Verschulden der Zuschauer dem Verein zuzurechnen ist“, gab Stephan Oberholz, der Vorsitzende des DFB-Sportgerichts, in einer Mitteilung des DFB nur wenige Tage später bekannt. „Die Spielumwertung ist in Paragraph 18, Nummer 4, als Rechtsfolge zwingend und alternativlos vorgeschrieben. Ein Wiederholungsspiel oder ein Nachspielen der letzten gut 20 Minuten ist daher nicht möglich“, erklärte Oberholz. Das wiederum hatte der VfL Bochum in einer ersten Stellungnahme verlangt. Doch es kam noch schlimmer für den Verein, obwohl er bei der Täterermittlung aktiv mitwirkte und der überführte Zuschauer Dennis S. von der Staatsanwaltschaft Bochum eine Anklage wegen Körperverletzung erhielt. Vier Wochen später verurteilte der DFB den VfL Bochum zu einer Geldstrafe in Höhe von 100.000 Euro, von denen 33.000 Euro für sicherheitstechnische und gewaltpräventive Maßnahmen verwendet werden konnten, und einen Zuschauerteilausschluss auf Bewährung. Ein gutes Jahr später verurteilte das Amtsgericht Bochum den Täter Dennis S. zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen à 40 Euro sowie 800 Euro Schmerzensgeld. Da der Becherwerfer keinen Einspruch erhob, gilt er als rechtskräftig verurteilt. Damit steht dem VfL Bochum der Weg zu einem weiteren Schadensersatz offen, den er dem Vernehmen nach vom Täter verlangt. Auf eine Anfrage des In-house Counsel antwortete der Verein nicht. „Der Zuschauervertrag ermöglicht es den Clubs, hinsichtlich der ihnen auferlegten Geldstrafen die betreffenden Zuschauer in Regress zu nehmen“, bestätigt Dr. Englisch. Ob Becherwürfe oder Pyrotechnik – der BGH hat längst festgestellt, dass jeder Fan mit dem Ticketkauf den Zuschauervertrag und damit auch die Stadionordnung anerkennt. Neben Geldstrafen droht ihnen bei härteren Verstößen auch ein Stadionverbot.
■ Christoph Neuschäffer