Die ersten beiden Monate des neuen Jahres zeichneten sich vor allem durch eine Vielzahl von unvorhersehbaren Veränderungen aus. In den USA begnadigte Donald Trump noch am Tag seiner Amtseinführung alle Häftlinge, die aufgrund ihrer Beteiligung am Capitol-Sturm am 6. Januar 2020 im Gefängnis saßen. Ein chinesisches Start-up stellte mit DeepSeek-R1 einen stromsparenden KI-Assistenten vor und erschreckte damit die großen Tech-Konzerne. Neben den Schocks gibt es jedoch auch gleichbleibende Entwicklungen. Dazu zählt der Fachkräftemangel in vielen Professionen, auch bei den Juristen. In der nahen Zukunft werden mehr Rechtsanwälte in den Unternehmen und externen Kanzleien in den Ruhestand gehen, als Berufsanfänger ihren ersten Karriereschritt machen. Denn es gibt zu wenig Hochschulabsolventen. Von 2007 bis 2022 ist die Zahl der Studierenden im Fach Rechtswissenschaften um ein Fünftel zurückgegangen. Und der jetzt schon spürbare Fachkräftemangel wird bis 2030 weiter zunehmen. Ein Grund dafür ist das in die Jahre gekommene Studiensystem, mit dem nicht nur Studierende und Professoren, sondern auch Referendare, Rechtsanwälte und Richter hadern. Das geht aus der 2022 vom Bündnis zur Reform der juristischen Ausbildung durchgeführten iur.reform-Studie mit fast 12.000 Teilnehmern deutlich hervor. Umso erstaunlicher war der Beschluss auf der 95. Justizministerkonferenz im vergangenen Jahr, wonach kein Veränderungsbedarf bei der juristischen Ausbildung gesehen wird. Den Preis für diesen Reformstau werden am Ende Gerichte, Kanzleien und die Unternehmen bezahlen. Denn je mehr Nachwuchskräfte fehlen, desto schwieriger und teurer wird es, junge Juristen für die Rechtsabteilungen zu gewinnen. Neben der Rekrutierung wird deshalb auch eine zweite Aufgabe an Bedeutung gewinnen, und das ist die Bindung der bereits vorhandenen Unternehmensjuristen. Schließlich müssen nicht nur die altersbedingten Abgänge ersetzt werden, sondern auch diejenigen Kollegen, die das Team fluktuationsbedingt verlassen. Je weniger das tun, umso besser für die General Counsel. Darum stehen sie bei der Mitarbeiterbindung in der Verantwortung, noch vor der Personalabteilung, denn sie haben den engsten Kontakt zu ihren Leuten und wissen, was für diese am Arbeitsplatz zählt. „Ich halte den Purpose für einen wichtigen Arbeitsfaktor. Die Kollegen können ihre Aufgaben am besten bearbeiten und haben auch die meiste Freude daran, wenn sie wissen, warum ihre Tätigkeit für das Unternehmen wichtig ist“, sagt Dr. Christian Wiegelmann, General Counsel und Chief Compliance Officer bei der PERI Group. „Den Mehrwert der konkreten Tätigkeit für das Unternehmen herauszuarbeiten und gut zu vermitteln, ist eine Aufgabe der Führungskräfte“, weiß der Fachanwalt für Arbeitsrecht. Diesen Satz würde jeder Personalberater sofort unterschreiben. „Das beste Mittel, um Abwerbeversuche abzuwehren, sind zufriedene Fach- und Führungskräfte, die sich mit ihrer Tätigkeit und dem Unternehmen identifizieren“, bestätigt Volker Schulz, Partner und Director bei Mercuri Urval, einem internationalen Beratungsunternehmen für Executive Search und Leadership Management. „Das ist immer dort der Fall, wo sie ihre individuellen Stärken in die Projekte einbringen können.“

„Die Weiterbildung unserer Mitarbeiter in der Rechtsabteilung ist eine wichtige Aufgabe, die wir im Rahmen der Jahresziele aktiv angehen und mit ihnen gemeinsam besprechen.“
Dr. Christian Wiegelmann
General Counsel und CCO,
PERI Group
In der Rechtsabteilung der PERI Group, eines internationalen Herstellers von Schalungs- und Gerüstsystemen, arbeiten in der Zentrale in Weißenhorn zehn Juristen und Fachkräfte mit juristischem Background. Der General Counsel setzt bei der Führung der Mitarbeiter auf klare Verantwortlichkeiten und gewährt viel Eigenständigkeit bei der Erfüllung der Aufgaben. „Mit Freiheit kommt Verantwortung“, weiß Wiegelmann. Bei ihm hat jeder Mitarbeiter sein eigenes Referat und ist Ansprechpartner im Unternehmen für bestimmte Rechtsgebiete wie Handelsrecht, Gesellschaftsrecht, Datenschutz, Compliance, Marken- oder Patentrecht. Wenn die Bereichs- und Abteilungsleiter also Fachfragen zu bestimmten Themen haben, dann wenden sie sich direkt an die Referatszuständigen. Das sorgt für eine hohe Identifikation mit den Aufgaben, selbst wenn es bei vielen parallelen Anfragen zeitweise zu einer höheren Arbeitsbelastung führen kann. Ein Dauerzustand sollte das aber nicht sein, deswegen haben die Referatszuständigen bei Bedarf die Möglichkeit, die Auslastung durch die Vergabe von Mandaten an externe Kanzleien zu steuern. Das sollte in Abstimmung mit dem jeweiligen Fachbreich geschehen“, empfiehlt Wiegelmann. Er selbst steht seinem Team zudem immer als erfahrener Sparringspartner und Coach zur Seite. Gegenseitiges Vertrauen und eine respektvolle Zusammenarbeit sind für den General Counsel der PERI Group essentiell. Ein weiterer nicht zu unterschätzender Faktor bei der Personalbindung in der Rechtsabteilung sind die angestrebten und angebotenen Karrierewege. Auch Veränderungen im privaten Umfeld können zur Fluktuation bei Mitarbeitern führen. Wenn der Partner oder die Partnerin eines Beschäftigten ein interessantes oder lukratives Jobangebot in einer weiter entfernten Stadt annimmt, bleibt dem anderen meist keine andere Wahl, als ebenfalls den Arbeitgeber zu wechseln. Für Juristen ist das meist relativ einfach, denn gesucht werden sie fast überall.
Gewiss: Das Gehalt spielt bei der Mitarbeiterbindung eine wichtige Rolle. Aber darüber hinaus gibt es für Unternehmen eine ganze Reihe nicht-finanzieller Benefits, die die Beschäftigten an das Unternehmen binden. Dabei können die Wünsche sehr unterschiedlich ausfallen, sie reichen von Homeoffice über Teilzeit und Jobsharing bis hin zur Weiterbildung während der Dienststunden. Angesichts der immer kürzer werdenden Halbwertzeit des vor und während der Karriere aufgenommenen Wissens gewinnt der Aufbau von neuen Qualifikationen weiter an Bedeutung. So sollten sich Juristen beispielsweise mit den neuesten technischen Entwicklungen in ihrer Branche beschäftigen, auch wenn sie selbst nicht gleich zu Legal Tech-Experten werden müssen. „Die Weiterbildung unserer Mitarbeiter und Teamkollegen in der Rechtsabteilung ist eine wichtige Aufgabe, die wir im Rahmen der Jahresziele aktiv angehen und mit ihnen gemeinsam besprechen“, sagt Wiegelmann. Der General Counsel legt Wert darauf, dass sich seine Mitarbeiter selbst überlegen, wo sie ihren Weiterbildungsbedarf sehen. „Dann muss man natürlich gemeinsam abklären, inwieweit sich das mit den Vorstellungen des Unternehmens deckt“, räumt Wiegelmann ein. Grundsätzlich ist es jedoch wichtig, dass die Rechtsabteilung über ein ausreichendes Budget für Weiterbildungsmaßnahmen verfügt. Nur so kann sie den Mitarbeitern die Möglichkeit bieten, sich an die rasch wandelnden Bedingungen auf dem Rechtsmarkt anzupassen und neue Qualifikationen zu gewinnen. Für Volker Schulz gehört das zur Karriereplanung. „Dabei geht es nicht immer um den Aufstieg zur Führungskraft, sondern auch um die Fachkarriere als Spezialist. Menschen zu führen ist nicht jedermanns Sache – und daher streben es auch nicht alle gleichermaßen an“, erläutert der Personalberater. „Zum Ausbau der eigenen Expertise gehört das Lernen von Peers oder Kollegen aus anderen Geschäftsbereichen“, sagt Schulz. Das kann beispielsweise in Workshops organisiert werden, um sich über Themen wie das Erreichen von Zielen im Team oder die Closing-Phase von Geschäften im Vertrieb auszutauschen. Flexible Teilzeitangebote auch für Unternehmensjuristen sind ein weiteres Angebot, das Unternehmen auf Wunsch machen können. Bei der PERI Group hat man hiermit gute Erfahrungen sowohl beim Recruiting als auch bei der Bindung gesammelt. Auch Jobsharing hält Wiegelmann für eine Lösung, die Unternehmen öfter anbieten sollten, insbesondere dann, wenn sich aufgrund der Arbeitsbelastung eine Vollzeit- nicht in eine Teilzeitstelle reduzieren lässt. „Das klassische Beispiel sind zwei Kollegen, die sich eine Vollzeitstelle teilen“, erläutert der General Counsel. Das erfordere zwar etwas mehr Organisation und Kommunikation, könne aber helfen, Lücken in der Rechtsabteilung zu schließen. Gleiches gilt natürlich auch für die Arbeit im Homeoffice, die von immer mehr Mitarbeitern zumindest teilweise erwartet wird. Hier kommt es darauf an, die Wünsche der Beschäftigten mit den geschäftlichen Notwendigkeiten in Einklang zu bringen. In der Rechtsabteilung der PERI Group gilt grundsätzlich die 60:40-Regel, das heißt, drei Tage Präsenz im Büro, zwei Tage Homeoffice.
5 Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung
# 1: Mitarbeiter richtig einsetzen. Es ist eine wichtige Führungsaufgabe, das Potenzial einzelner Kollegen zu sehen, zu fördern und richtig einzusetzen.
# 2: Persönliche Führung sichern. Die vermehrte Arbeit im Homeoffice verlangt von Team-, Abteilungs- oder Bereichsleitern die passgenaue Kommunikation und Führung ihrer Mitarbeiter.
# 3: Mitarbeiter weiterentwickeln. Gute und ambitionierte Beschäftigte wollen sich fachlich und persönlich verbessern. Mit ihnen individuelle Karrierewege zu planen, fördert ihren Verbleib im Unternehmen.
# 4: Leistung würdigen. Mitarbeiter, die sich persönlich wahrgenommen und in ihrer Tätigkeit wertgeschätzt fühlen, tendieren seltener zu einem Wechsel als andere.
#5: Teamspirit aufbauen. Der Zusammenhalt unter den Kollegen wächst nicht von allein, sondern wenn Führungskräfte ihn durch geeignete Maßnahmen fördern.
Unter Personalchefs gibt es ein Bonmot: Mitarbeiter kommen wegen des Jobs, bleiben wegen der Aufgabe und gehen wegen des Chefs. Diese etwas zugespitzte Formulierung wird immer wieder durch Umfragen bestätigt, bei denen die Beschäftigten nach dem Grund für die Unzufriedenheit mit ihrer Arbeit und einen möglichen Wechsel befragt werden. Die Förderung von Mitarbeitern durch Weiterbildung, die klare Aufgabenverteilung und gegenseitiges Vertrauen liegen dabei in der Hand der Führungskräfte. Christian Wiegelmann sieht für General Counsel im Aufbau und der Förderung des Team Spirits noch eine weitere wichtige Aufgabe. „Das kollegiale Miteinander im Team und die gegenseitige Unterstützung bei Aufgaben ist ein hohes Gut, das sich im Arbeitsalltag vor allem durch Freude an der Arbeit, Leistungsbereitschaft und Zufriedenheit der Mitarbeiter auszahlt“, weiß der Jurist. Allerdings macht die vermehrte Arbeit im Homeoffice die Zusammenarbeit in Teams, deren Zusammenhalt sowie das Führen von einzelnen Mitarbeitern nicht einfacher. „Diese drei Aufgaben dürfen Abteilungs- oder Bereichsleiter jedoch nicht dem Tagesgeschäft opfern“, warnt Volker Schulz. Sachthemen seien professionell zu managen und zu moderieren, um Spannungen in der Gruppe zu vermeiden. Darüber hinaus sei es wichtig, die individuelle Beziehung zu den Mitarbeitern zu pflegen und das Teambuilding zu fördern. „Ersteres geht über Gespräche, in denen Feedback zur Arbeit gegeben und Wünsche und Anregungen für die künftige Tätigkeit aufgenommen werden. Letzteres gelingt durch das Schaffen von Formaten, in denen man gemeinsam Ideen entwickelt, sowie durch Events außerhalb der Arbeitszeit“, erklärt der Personalexperte. Deshalb sollten die Führungskräfte Zeit und Ressourcen investieren, um durch Team-Events die persönlichen Beziehungen im Kollegenkreis zu stärken. Wenn die Mitarbeiter dank solcher Veranstaltungen ihre Soft Skills verbessern und nebenbei auch noch Spaß an der Sache haben, ist das gerade in Zeiten rascher Veränderungen eine Investition in deren Bindung an das Unternehmen.
■ Christoph Neuschäffer