Längst lassen Markenartikler, Medikamentenhersteller und Möbeldiscounter nicht mehr im eigenen Land fertigen. Apple, Nike, Merck, H&M und Ikea denken höchstens noch darüber nach, an welchen Lieferanten in welchem Teil der Erde sie zu welchen Bedingungen ihre Aufträge herausgeben. Die Global Player beschränken sich auf Innovation, Design, Logistik, Marketing und das Management der Lieferkette. Das geht schon seit Jahrzehnten so und folgt mikroökonomischen Zielen: Um die Produktionskosten im Griff zu halten, um Wechselkursdifferenzen auszunutzen, um neue Märkte zu erschließen, um einen (vorübergehenden) Auftragsüberhang abzufedern, um Zugang zu besonderen Fertigungskapazitäten oder Rohstoffquellen zu gewinnen. „Betriebswirtschaftlich liegen der Entscheidung ‚Make or Buy‘ meist einer von zwei Sachverhalten zugrunde“, bringt Dr. Dorothee Timmermann Struktur in die lange Aufzählung. Sie ist General Counsel und Group Compliance Officer beim Verbindungs- und Präzisionsteilehersteller Kamax in Homberg/Ohm. „Entweder handelt es sich um ein neues Produkt, bei dem das Unternehmen einen oder mehrere Produktionsschritte aufgrund fehlender Ressourcen nicht leisten kann. Oder man gibt die Herstellung nach außen, weil man Geld sparen will. Weil ein anderes Unternehmen günstiger produziert als man selbst.“ Nun erzeugen Rechtsabteilungen weder Pastillen noch Steckverbindungen, sondern Ergebnisse verschärften Nachdenkens auf der Basis des kumulierten Fachwissens von Juristinnen, Juristen und weiteren Mitarbeitern in den Legal Offices. Zudem sind ihre Aufgaben häufig singulärer und hochkomplexer Natur. Anders als in der Massenproduktion, sind hier kaum Losgrößenvorteile zu erzielen. Das setzt dem Outsourcing dieser Stabsabteilungen enge Grenzen. Mit Gewinn an menschliche oder IT-Dienstleister auslagern lassen sich fast nur Standardaufgaben, die Verwaltung von geistigem Eigentum, das Vertragsmanagement, Dokumentenprüfungen oder Übersetzungen. Doch sobald spezielles juristisches Wissen oder länderspezifisches Anwalts-Know-how benötigt wird, um die internen Kunden kompetent beraten zu können, spielt die Höhe der Kostennote eine Nebenrolle. General Counsel wissen, dass die Aufwendungen für betriebsfremde Anwälte stets über den Kosten für die eigenen Leute liegen. „Sinnvollerweise holt man deshalb externe Kollegen nur dann, wenn man das notwendige Fachwissen für ein Rechtsgebiet nicht hat, kurzfristig viele Ressourcen benötigt, zum Beispiel für M&A-Projekte, oder vor Gericht nicht selbst agieren darf“, bestätigt Rudolf von Moreau, General Counsel und Executive Vice President bei Infineon Technologies in Neubiberg bei München. Auch langfristig sei es immer von Vorteil, wenn statt externer Rechtsexperten die eigenen Juristen eingesetzt werden. Denn deren Expertise werde mit jedem Vorgang umfassender und bliebe trotzdem vergleichsweise günstiger. Außerdem profitierten davon ja nicht nur die unmittelbar an einer bestimmten Aufgabe beteiligten Experten, sondern – in der Theorie jedenfalls – durch das Teilen von Wissen und Know-how die gesamte Rechtsabteilung. Dieser Gedankengang sollte in jede „Make or Buy“-Überlegung einfließen, ob es sich um Formteile oder Rechtsdienstleistungen handelt. „Es geht nicht nur darum, ob die externe Produktion günstiger ist“, sagt Dorothee Timmermann. „Im Rahmen einer langfristigen Strategie sollten die Kosten allein nicht die Hauptrolle spielen.“
„Es geht nicht nur darum, ob die externe Produktion günstiger ist. Im Rahmen einer langfristigen Strategie sollten die Kosten allein nicht die Hauptrolle spielen.“
Dr. Dorothee Timmermann
Vice President Legal & Compliance sowie General Counsel/Group Compliance Officer,
Kamax Holding
Entscheidung der Frage ‚Make or Buy‘
In der Gesamtkalkulation sind die Kosten freilich nicht außer Acht zu lassen. So verfolgt die Rechtsabteilung Legal & Patents des Halbleiterherstellers Infineon durchaus eine Strategie, die auch auf die Steigerung der Effizienz zielt. „Rechtliche Routineaufgaben bündeln wir an Standorten, wo die Lohnkosten geringer sind als in Deutschland, den USA, Singapur oder Japan“, erklärt Rudolf von Moreau. So gibt es in Portugal ein Shared Service Center mit mehr als zehn Juristen, und aktuell wird in Mexiko ein weiteres Service Center errichtet. Infineon hat sich darüber hinaus mit Legal Outsourcing Providern in Indien beschäftigt. Dies wurde aber verworfen, weil es nicht möglich sei, auf die Mitarbeiter direkt zuzugreifen, bedauert der Syndikusrechtsanwalt. Um auf der sicheren Seite zu stehen, baut Infineon Legal & Patents in Portugal und bald auch in Mexiko eigene Teams mit juristisch geschultem Personal auf und will ihnen on the Job das unternehmensspezifische Rechtswissen vermitteln. Das Aufgabenspektrum der im Ausland eingesetzten Juristen ist breit. Besonders häufig eingesetzt werden sie bei vertragsrechtlichen Vereinbarungen zur Qualität, Logistik, Geheimhaltung, Kunden- und Lieferantenverträgen sowie Softwarelizenzen. „Das zeigt bereits, dass es vor allem um Dinge geht, die ein gewisses Volumen haben und im Rahmen von definierten Prozessen gelöst werden können“, sagt von Moreau. „Unsere Rechtsabteilung in Deutschland fokussiert sich unterdessen auf Fälle, die nicht den gängigen Routinen folgen.“ Vor diesem Hintergrund kann auch Kamax-Justiziarin Dorothee Timmermann dem Outsourcing von Personal in Shared Service Center – entweder auf das Gesamtunternehmen oder nur dessen interne Rechtsdienstleistungen bezogen – einiges abgewinnen. Das freilich sei im Rahmen der Fragestellung ‚Make or Buy?‘ ein größeres und vielschichtiges Thema.
„Sinnvollerweise holt man externe Kollegen nur dann, wenn man das notwendige Fachwissen für ein Rechtsgebiet nicht hat oder kurzfristig viele Ressourcen benötigt.“
Rudolf von Moreau
General Counsel und Executive VP,
Infineon Technologies AG
Risikominimierung bei der Beauftragung einer externen Kanzlei
Etwa jede fünfte Rechtsabteilung in Deutschland arbeitet mit fünf oder weniger handverlesenen Kanzleien zusammen. Das hat KPMG für seinen Rechtsabteilungsreport 2023/24 ermittelt. Mit 25 Prozent etwas mehr beschäftigen zwischen 26 und 50 Anwaltsbüros. Auf der Longlist von neun Prozent stehen sogar mehr als 50 Kanzleinamen; die Shortlist dürfte indes deutlich schmaler sein. Üblicherweise herangezogen werden die Helfershelfer für allgemeine Rechtsberatung, bei kniffligen Rechtsfragen im Arbeits-, Vertrags-, Bau-, Miet-, Gesellschafts- und Zwangsvollstreckungsrecht oder in kleinen Rechtsgebieten, bei denen sich die Vorhaltung eigener Fachjuristen nicht lohnt. In Streitfällen übernehmen außenstehende Anwälte die Prozessführung und vertreten das Unternehmen vor Gericht. Auch bei Compliance, Risikomanagement, der Durchsetzung von Forderungen und bei Fällen, die Schiedsgerichtsbarkeit unterliegen, werden Boutiquen und Großkanzleispezialisten gerne hinzugezogen. Mit dem Outsourcing dieser Aufgaben können die Legal Offices von fremdem Fachwissen profitieren, Kosten sparen und flexibel auf rechtliche Anforderungen reagieren. Nicht immer allerdings werden die erwarteten Vorteile realisiert. Deshalb ist es vor der Beauftragung wichtig, die Qualität der in Frage kommenden Dienstleister sorgfältig zu prüfen. Anschließend sollten hieb- und stichfeste Vereinbarungen über Verantwortlichkeiten, Kommunikation und Datenschutz getroffen werden. Doppelt unterstrichen und mit drei Ausrufezeichen dahinter gilt das erst recht, wenn die Verlagerung juristischer Aufgaben an Kanzleien in einem anderen Land erwogen wird. Denn die Zusammenarbeit mit einer ausländischen Kanzlei birgt aufgrund der unterschiedlichen Rechtssysteme eine erhöhte Komplexität. Zum einen müssen die fremdländische Gesetzeslage und Jurisdiktion berücksichtigt werden. Zum zweiten können Unsicherheiten im Hinblick auf die Anwendung und Auslegung ausländischen Rechts auftreten. Drittens kann die Durchsetzung von Ansprüchen über Landesgrenzen hinweg schwierig werden. Hinzu kommen sprachliche und kulturelle Barrieren, Fachbegriffe und rechtliche Konzepte sind möglicherweise nicht direkt übertragbar. Auf Anhieb nicht erkennbare Unterschiedle in Geschäftspraktiken und -kulturen können Irritationen verursachen. Letztlich sollte man sich auch über die entstehenden Kosten keine Illusionen machen. Die Beauftragung ausländischer Anwälte könnte mit höheren oder zumindest mit schwer kalkulierbaren Kosten verbunden sein, denn Gebührenstrukturen und Abrechnungsmodalitäten dürften sich von inländischen Standards unterscheiden. Ein häufiger Streitpunkt ist die Erstattungsfähigkeit von Kosten der ausländischen Anwälte. Länder mit hoher Inflation und starken Wechselkursschwankungen bergen überdies finanzielle Risiken. Und sollte der Auftrag nicht zufriedenstellend erledigt worden sein, ist es alles andere als trivial, im Ausland Haftungsansprüche durchzusetzen. Um diese Gefahren zu minimieren, ist es ratsam, die Notwendigkeit der Beauftragung einer ausländischen Kanzlei eingehend zu prüfen und im Zweifel einer renommierten und im betreffenden Rechtsgebiet erfahrenen Kanzlei mit nachgewiesener grenzüberschreitender Expertise den Vorzug zu geben. Unmissverständliche Vereinbarungen über Leistungsumfang und Kostenstrukturen tragen dazu bei, die Beauftragung auch im Rückblick des Controllers erfolgreich zu machen. Der sich womöglich ohnehin über geringere Aufwendungen freuen wird, denn es in Ländern mit niedrigeren Lohnkosten können juristische Dienstleistungen oft günstiger erbracht werden als im Inland. Auch mit Blick auf Flexibilität und Skalierbarkeit lohnt eine nähere Inaugenscheinnahme des „Buy“. Ausländische Kanzleien agieren häufig schnell und beweglich und kommen den Wünschen eines neuen Mandanten weit entgegen, weil sie sich von ihm dauerhaftes Geschäft versprechen. Durch Zeitzonenunterschiede lässt sich eine Rund-um-die-Uhr-Bearbeitung realisieren. Das kann die Bearbeitungszeiten erheblich verkürzen.
Gemeinsame Company’s Language erforderlich
Die Entscheidung, Rechtsdienstleistungen von externen Kanzleien erbringen zu lassen, hat natürlich eine Konsequenz, die vielen, aber nicht jedem gefallen wird. „Die Verträge, die wir in Deutschland machen, sind nur noch in ganz wenigen Fällen in deutscher Sprache festgehalten“, sagt Infineon-Chefjurist von Moreau. „Die überwältigende Mehrheit der Dokumente wird heute auch hierzulande auf Englisch formuliert. Daher kann sie problemlos von den Kollegen in Portugal und Mexiko bearbeitet werden.“ Die Verwendung der englischen Sprache sorgt für Einheitlichkeit, spart erhebliche Übersetzungskosten und begünstigt die Integration fremdsprachiger Kollegen. „Allein in Deutschland sind mittlerweile in der Rechtsabteilung eine ganze Reihe Mitarbeitern aus dem Ausland tätig“, sagt von Moreau, „denen die Bearbeitung von Aufgaben und Verträgen auf Deutsch vermeidbare Schwierigkeiten bereitet.“ Natürlich stellten deutschsprachige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch die Mehrheit. Weltweit ist freilich nur noch jeder zweite Infineon Technologies Beschäftigte nicht deutscher Muttersprachler. Außer Frage steht daher, dass die unternehmensweit verwendete englische Sprache die internationale Zusammenarbeit erleichtert. Rudolf von Moreau nennt ein Beispiel: „Die im Aufbau befindliche Rechtsabteilung in Mexiko steht ohne zeitliche Begrenzung den in den USA angesiedelten Büros von Infineon Technologies zur Verfügung und ermöglicht dort die schnelle Klärung von Rechtsfragen.“ ■
Christoph Neuschäffer / Christine Demmer