Als eine „nahezu nicht mehr zu durchblickende Materie“ bezeichnet Daniel van Geerenstein, Head of Legal und Vice President von Jack Wolfskin, die regulatorischen Vorgaben, die vom europäischen Gesetzgeber ausgehen. Sind es Richtlinien, müssen nationale Gesetzgeber diese umsetzen. „Wir sprechen zwar von einem Binnenmarkt, aber die Staaten behandeln die Vorgaben teilweise sehr unterschiedlich und wir müssen als international tätiges Unternehmen die Gegebenheiten in den einzelnen Ländern berücksichtigen.“ Die geopolitischen Krisen sind ein weiteres Thema, das sich von außen auf Unternehmen und damit auch ihre Legal Departments auswirkt. Indes scheinen sie aufgrund der Vielzahl an schwerwiegenden Ereignissen in den letzten Jahren und dem damit einhergehenden schnellen Lerneffekt besser vorbereitet zu sein. Heute gehört es fast zum Berufsbild der Juristen und Juristinnen, mit diesen extremen Situationen umgehen zu können. „Ich bin davon überzeugt, dass viele Unternehmen mittlerweile sehr gut aufgestellt und weniger anfällig für aktuelle Krisen sind“, sagt Caroline Hussels, Head of Legal bei der Cronimet Holding in Karlsruhe. „Das Thema Resilienz ist in den vergangenen Jahren auch in unserem Unternehmen immer stärker in den Fokus gerückt, so dass wir Systeme implementiert und Kommunikationsstrategien entwickelt haben, die es uns ermöglichen, spontan auf wirtschaftliche, politische oder technologische Veränderungen zu reagieren und uns an diese anzupassen.“ Unabhängig von den kriegerischen Auseinandersetzungen in manchen Teilen der Erde wirken sich die deutlichen Risse unterschiedlicher Gesellschaftsformen und der verschärfte Ton zwischen Staaten auf das tägliche Tun der Rechtsabteilungen aus: Ein großes Thema bei der Fluggesellschaft Condor sind Sanktionsprüfungen, die an Intensität und Tiefe zugenommen haben. „Wir müssen wesentlich mehr prüfen als das noch vor fünf, sechs Jahren der Fall war“, berichtet Isabel Giancristofano, Director Legal & Compliance bei der Condor Flugdienst. „Ältere Flugzeuge verkaufen wir beispielsweise auch nach Asien oder Afrika, da haben wir aktuell strenge Anforderungen. Wir haben Wartungsverträge etwa in China, da gilt das Gleiche.“ Um auf Hindernisse zu stoßen, muss der Blick nicht einmal zwingend in per se schwierige Länder gehen: „Für unseren Cargo-Bereich sind die Regelungen der USA sehr herausfordernd“, bestätigt Giancristofano. Für eine Airline ist zudem Massenlitigation ein ständiger Begleiter, wobei Massenverfahren aufgrund leichter zugänglicher Rechtsdienstleistungen für Verbraucherinnen und Verbraucher und vereinfachter digitalisierter Verfahren zunehmen. „Außerdem haben wir vom 50-Euro-Verpflegungsgutschein bis hin zu milliardenschweren Flugzeugfinanzierungen eine sehr große Palette an Aufgaben“, sagt sie.
„Unternehmensjuristinnen und -juristen müssen Businessverantwortung übernehmen – und das funktioniert nur, wenn sie das Business kennen und verinnerlichen.“
Frank Weigelt
General Counsel, Unite
Zentrale Stelle im Unternehmen
Sie erwähnt den erhöhten Druck, dem das Legal Department ausgesetzt ist, Fehler können teuer werden und immer schwingt die Zielsetzung mit, keine unwägbaren Risiken einzugehen. Sie greift nochmals auf das Beispiel US-Regularien zurück: „Dort geht es nicht nur um Geldbußen und Strafzahlungen für das Unternehmen, sondern auch um potenzielle persönliche Strafverfahren.“ Positiv daran ist, dass die Sichtbarkeit der Rechtsabteilung heute größer ist und diese nicht mehr als reiner Problemlöser – oder sogar in Teilen als Verhinderer des Geschäfts – angesehen wird, sondern als Partner und Enabler. Genau das führt aber auch zu einer Zunahme von Aufgaben. „Das Bild von der Rechtsabteilung hat sich komplett gewandelt. Früher ließ sich sagen, wenn Du als Jurist ein ruhiges Leben führen willst mit Arbeitszeiten von neun bis fünf, dann gehe in eine Rechtsabteilung“, schildert van Geerenstein. „Heute ist das Legal Department einer der zentralsten Punkte in einem Unternehmen. Es ist unser Anspruch, Prozesse, Abläufe und das Geschäft zu kennen. Das hat aber zur Folge, dass wir quasi in allen Fragen konsultiert werden.“ Auch wenn es auf den ersten Blick ein Sachverhalt ohne rechtliche Berührungspunkte ist, „kann es schnell eine rechtlich relevante Angelegenheit werden, wenn etwas schiefläuft“. Insofern ist die Klärung von Zuständigkeiten eine große Aufgabe geworden. „Es gibt gerade im Zusammenhang mit Regularien Themen, die behandelt werden wie eine heiße Kartoffel“, gibt van Geerenstein zu Bedenken. „Datenschutz ist so ein Gegenstand. Wer setzt sich bei ESG den Hut auf? Das kann auch das Sustainability-Team sein. Bei den vielen neuen Berichtspflichten: Welche Rolle spielen die Audit- und Compliance-Teams? Sollte das nicht im Bereich Finanzen aufgehängt sein? Ein Legal Department muss den Spagat schaffen, rechtlich die Unterstützung zu liefern, sich an anderer Stelle aber auch abzugrenzen.“ Das ist gerade dann wichtig, wenn die Ressourcen begrenzt sind und die Rechtsabteilung die vielfältigen Herausforderungen mit einer verhältnismäßig kleinen Mannschaft bewältigen muss. Van Geerenstein nennt zusätzlich noch Monitoring-Aufgaben, die viele Legal Departments übernehmen. Ein Sachverhalt mag mit einer Beschäftigung geklärt sein, Prozesse und Prozessveränderungen, das Agieren des Unternehmens im Einklang mit der Compliance muss permanent nachgehalten und neu justiert werden. Dr. Deny-Jean Silny ist Head of Legal M&A bei Bayer und sieht als Folge rascher geopolitischer und geoökonomischer Veränderungen eine kürzere Lebensdauer von Geschäftsmodellen. „Unternehmen müssen mit dem Markt mitgehen und sich häufiger anders aufstellen. Die Rechtsabteilung als ständiger Begleiter muss sich daher auch immer öfter hinterfragen und herausfinden, wie sie die Business-Units am besten unterstützen kann. Das setzt eine hohe Flexibilität und Agilität der handelnden Personen voraus.“ Er stimmt mit Daniel van Geerenstein überein, wenn er sagt, dass klare Zuständigkeiten und klare Prozesse eine Grundvoraussetzung für effizientes Arbeiten sind, die Grenzen dabei aber fließend verlaufen. „Es ist eine unserer Aufgaben, die Fachabteilungen so zu sensibilisieren und zu trainieren, dass sie manche Aufgaben selbst lösen können, auch wenn diese ursprünglich dem Legal Department zugeordnet waren.“
„Wir haben eine starke und fast ausschließliche Orientierung an den Business Units und der Geschäftsführung. Eine Aufteilung nach Rechtsgebieten ist in kleinen Rechtsabteilungen aufgrund der Vielfalt der Fragestellungen nicht möglich.“
Caroline Hussels
General Counsel, Cronimet Holding
Die Zeit des „Es kommt darauf an“ ist vorbei
Das Stichwort Änderung der Geschäftsmodelle liefert Frank Weigelt, General Counsel bei Unite, eine Steilvorlage. Das Unternehmen befindet sich mitten in einem Transformationsprozess zum Procurement-as-a-Service-Dienstleister.
Hier wirkt sich der – so Weigelt – „brutale“ Kostendruck bei den Kunden auf das eigene Geschäft aus. „Mit der Rolle wird Unite für den Kunden immer wichtiger im Hinblick auf seine Systemstabilität und seine Compliance. Für uns in der Rechtsabteilung ist es eine enorme Herausforderung, das rechtliche Rahmenwerk dafür zu gestalten, Government-Vorgaben und Compliance einzuhalten.“ Früher war das Unternehmen nicht in dem Maß systemrelevant wie heute, wo sich die Kundenstruktur verändert und die Zahl der Unternehmen aus dem Automotive-Bereich zugenommen hat. „Wir müssen deshalb zwischen interner und externer Compliance unterscheiden und sicherstellen, dass die Lieferanten compliance-konform agieren.“ Eine weitere große Herausforderung insbesondere für die Leiter der Legal Departments ist die Rekrutierung neuer Fachkräfte. Der Pool an Kandidatinnen und Kandidaten wird zumindest in Deutschland eher kleiner, die Zahl der Wettbewerber wächst beständig. Nicht nur andere Unternehmen buhlen um Nachwuchs, auch die Sozietäten, die Justiz sucht schon beinahe verzweifelt neue Leute. „Die Arbeitsmarktsituation ist definitiv eine Herausforderung“, bestätigt Caroline Hussels. Es sei schwer, gute Fachkräfte zu finden und diese auch langfristig an das Unternehmen zu binden. „Ebenfalls verändert hat sich die Einstellung zu Arbeits- und Leistungsbereitschaft. Unternehmen müssen Vorsorgemaßnahmen treffen, damit die Schere zwischen Leitungsträgern und Nicht-Leistungsträgern in einem gesunden und ausgeglichenen Verhältnis bleibt.“ Das Anforderungsprofil an neue Kolleginnen und Kollegen hat sich verändert. Intern als reiner Berater unterwegs zu sein, reicht bei weitem nicht mehr aus. Selbst der Begriff „Enabler“ gilt bei manchen schon als abgedroschen. Eine klare Positionierung nimmt Frank Weigelt vor: „Was wir in der Rechtsabteilung brauchen, sind Entscheider. Es wird erwartet, dass wir aktiv Stellung beziehen.“ Diese Einstellung sei wichtig, um überhaupt ernst genommen zu werden im Unternehmen, das ist auch die Meinung von Daniel van Geerenstein, der weiter ausführt: „Die Antwort auf eine Frage darf auch künftig sein, dass ein Vorhaben aus rechtlichen Gründen nicht durchführbar ist, es ist aber essenziell, einen alternativen Weg aufzuzeigen, der gangbar ist.“ Auch bei Bayer ist die pragmatische Rechtsberatung gefragt, die unmittelbar bei der Entscheidungsfindung hilft: „Wir müssen klare Antworten liefern, eine möglichst genaue Risikoeinschätzung, auf deren Basis eine schnelle Entscheidung möglich ist. Optimal ist es, wenn wir mögliche Rückfragen antizipieren und schon direkt mitbeantworten“, sagt Deny-Jean Silny. Wie die anderen weiß auch Caroline Hussels: „Jede Anfrage ist dringend. Jeder will so schnell wie möglich eine Lösung. Das heißt, der Jurist von heute muss auch sehr gut priorisieren können.“
„Die interne Erwartungshaltung an pragmatisches Denken und Handeln ist gestiegen. Es erfordert mehr Aufwand, Alternativszenarien auszuarbeiten; das Schöne daran ist, dass die Rechtsabteilung mittendrin im Business ist statt nur dabei.“
Daniel van Geerenstein
Head of Legal, Jack Wolfskin
Klare Orientierung am Business
Die Frage, ob Legal Departments eher mit Generalisten oder mit Spezialisten besetzt sind, lässt sich nicht einheitlich beantworten, wobei die Faustregel gilt: Je kleiner die Rechtsabteilung, desto eher sind Generalisten gefragt. Bei Bayer nachgefragt, gibt es noch die Hybrid-Lösung. „Wir brauchen beide Typen. Ich glaube auch, dass in jedem Team Spezialisten gefragt sind“, sagt Silny. „Wobei es früher eine stärkere Orientierung zur Spezialisierung gab, weil die Strukturen fester waren. Heute agieren wir deutlich flexibler.“ Die Entscheidung, ob Rechtsfragen an Externe gegeben werden können, hängt neben der materiellrechtlichen Detailtiefe von den Budgets ab, die eher gleichbleiben oder geringer werden als anwachsen. Bei Condor verfolgt Isabel Ann Giancristofano die Strategie des Insourcings. Für bestimmte Bereiche werden Spezialisten behutsam und über einen langen Zeitraum selbst aufgebaut. „Zum Beispiel bei der Bewältigung der Anforderungen aus dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz haben wir parallel zu unserer Arbeit mit Externen eine Mitarbeiterin hochgezogen, die künftig unsere Compliance-Verantwortliche sein wird. Angefangen bei der Lieferkette vergrößert sie Schritt für Schritt ihren Horizont und ihre Kenntnisse in diesem Bereich.“ Das Insourcing funktioniert, weil Giancristofano mit ihrem Team zuvor eine Prozessanalyse und -optimierung vorgenommen hat und laufend nach Wegen sucht, den Automatisierungsgrad zu erhöhen. „Voraussetzung ist, dass wir einen guten Business-Case aufbauen, dann lassen sich Neueinstellungen gegenüber der Geschäftsleitung gut verargumentieren“, berichtet sie. Ein ganz klarer Trend ist die Orientierung der Rechtsabteilung am Geschäft, die klassische Aufteilung nach Rechtsgebieten gibt es in sehr vielen Unternehmen nicht mehr. Bildlich gesprochen, geht das Legal Department aufgrund der Beteiligung an der strategischen Entwicklung im Unternehmen auf und ist nicht mehr die abgeschlossene Abteilung am Ende des Flurs. Was voraussetzt, dass In-house-Counsel auf die jeweilige Industrie spezialisiert sind und eine Begeisterung für die Sachverhalte mitbringen. „Mir bringt es nichts, wenn ich einen wirklich guten Litigator habe, der aber kein Interesse an Fluggastrechten hat“, bringt es Giancristofano auf den Punkt. „Er muss sich einbringen können und sich beispielsweise auch mit Wetterthemen beschäftigen und auskennen. An anderer Stelle brauche ich jemanden, der Schulungen für Piloten vornehmen kann und sich damit identifiziert.“ Frank Weigelt schildert von seinen Überlegungen, einen Vergaberechtler einzustellen, weil es bei Unite viele vergaberechtliche Fragestellungen gibt. „Wir brauchen aber jemanden, der unser Geschäft und unseren Markt versteht, der das Sales-Thema in sich trägt, in die Abteilung involviert ist. Deshalb habe ich den Spezialisten nicht geholt, sondern jemanden eingestellt, der diese Businessorientierung lebt.“ Deny-Jean Silny spricht von einer „Erhöhung der Durchlässigkeit“ zwischen den Abteilungen. Der Bereich M&A sei da ein gutes Beispiel, weil dort die Team- und Projektarbeit seit jeher gesetzt ist. „Hier arbeiten viele Segmente zusammen, zum Beispiel Tax, Accounting, Finance, M&A Business, Legal M&A sowie die Anwälte aus den betroffenen Rechtsbereichen. Die Personen aus dem Rechtsbereich tragen zwar noch den Anwaltshut, aber sie sind mit dem Business verschmolzen.“