Die Geschichte von Patagonia begann 1973 in Kalifornien mit dem Wunsch von Yvon Chouinard, bessere Kletterausrüstung zur Verfügung zu stellen. Fast fünf Jahrzehnte später übertrug der Gründer sein zwischenzeitlich milliardenschweres Outdoor-Bekleidungsunternehmen an die gemeinnützige Stiftung Holdfast Collective. Der gesamte Gewinn wird nun dem Kampf gegen den Klimawandel gewidmet – allein 2022 waren es rund 100 Millionen Dollar. „Die Erde ist jetzt unser einziger Aktionär“, schrieb Chouinard in einem offenen Brief, der auf der Website von Patagonia veröffentlicht wurde. „Wir mussten einen Weg finden, um mehr Geld in die Bekämpfung dieser Krise stecken zu können und die Werte der Firma gleichzeitig intakt zu halten.“ Nun ist Patagonia sicherlich ein Extrembeispiel – aber es steht doch stellvertretend für einen Trend, der immer mehr Branchen erfasst: Nämlich, dass Unternehmer sich auf die Suche nach dem tieferen Sinn ihres wirtschaftlichen Handelns begeben und der Gesellschaft etwas zurückgeben wollen, indem sie sich um ökologische und soziale Belange verdient machen. Gerade in Zeiten des Umbruchs kann dabei die Orientierung an einem übergeordneten Zweck für Unternehmen wichtig sein, denn so können auch Wachstum und Mitarbeiterbindung gefördert werden. Der US-Autor Aaron Hurst hat dafür den Begriff der Purpose Economy geprägt. Er sieht die Wirtschaft nach der Agrar- und Industrie-Ökonomie am Übergang zu einer vierten Entwicklungsstufe von der Informations- zur Sinn-Ökonomie. Diese sei durch die Suche der Menschen nach mehr Purpose in ihrem Leben gekennzeichnet. Für Purpose gibt es keine ganz eindeutige deutsche Übersetzung. Man muss schon auf Wortbündel zurückgreifen: Zweck, Ziel und Absicht etwa können ganz gut umschreiben, was gemeint ist. Man kann auch sagen: Der Purpose fügt den zuhauf vorhandenen Mission- und Vision-Statements von Unternehmen eine Antwort auf die Frage „Warum?“ hinzu. Und die Antwort auf diese Frage hat auch viel mit der Mitarbeitermotivation und -zufriedenheit zu tun.
Denn schließlich arbeitet man vor allem dann mit Freude und Elan, wenn man den Sinn seiner Tätigkeit unmittelbar spüren kann und erlebt, dass die eigene Arbeit einen Unterschied macht. „Früher ging es vor allem darum, Unternehmensziele im wirtschaftlichen Sinne zu definieren. Jetzt geht es stärker darum, auszudrücken, was man Gutes tun möchte für die Gesellschaft und was man beitragen kann in Sachen Nachhaltigkeit“, erklärt Dr. Eric Schott, Mitgründer und Geschäftsführer bei der Management- und Technologieberatung Campana & Schott. „Das Wichtige am Purpose ist, dass er auf das gesamte Unternehmen ausstrahlt und seine Wirkung nicht nur nach außen, sondern auch ganz stark nach innen entfaltet. Der Purpose soll möglichst alle Mitarbeitenden erreichen.“
„Endverbraucher sind ein ganz zentraler Treiber für den Purpose.“
Dr. Eric Schott, Mitgründer und Geschäftsführer, Campana & Schott.
Grüne Finanzierungen erhöhen die Glaubwürdigkeit
Das ist auch in ökonomischer Hinsicht ein Gewinn. Denn die Kunden verlangen von den Unternehmen mittlerweile Engagement für Umwelt- und Klimaschutz. „Endverbraucher sind ein ganz zentraler Treiber für den Purpose“, sagt Schott. „Sie haben eine sehr starke Macht in dieser Hinsicht.“ Und dieser Druck der Endverbraucher wird auch im B2B-Bereich an die Zulieferer weitergegeben, „denn die Kunden fordern auch ein, dass Nachhaltigkeitskriterien entlang der Lieferkette eingehalten werden“, so der Unternehmensberater. Da mag die Verlockung groß sein, mit nachhaltigem Engagement zu werben, ohne wirklich etwas zu verändern. Doch auch in dieser Hinsicht spielt der Druck der Endverbraucher eine große Rolle: „Viele Kunden sind sehr stark sensibilisiert, was Greenwashing und ähnliche Themen betrifft“, erläutert Schott. „Wenn man also erkennen kann, dass zwar mit dem entsprechenden Engagement geworben wird, aber sich eigentlich nicht viel geändert hat, kann der Schuss schnell nach hinten losgehen.“ Für ein besonderes Maß an Glaubwürdigkeit sorgt es dabei, wenn man nicht nur im Einkauf und in der Produktion Nachhaltigkeitskriterien verankert, sondern auch mit Blick auf die Finanzierung grüne Kriterien anlegt. Nicht zuletzt aus diesem Grund boomen grüne Finanzierungsformen: Wurden 2013 noch weltweit Green Bonds mit einem Volumen von elf Milliarden Euro emittiert, waren es 2020 bereits 224 Milliarden Euro. Auch für großvolumige Finanzierungen stehen dabei immer mehr Produkte zur Auswahl – neben Green Bonds auch grüne Schuldscheine und grüne Kredite, die sogenannten Green Loans. „Charakteristisch für grüne Finanzierungen sind zum einen ihre Zweckgebundenheit und zum anderen die große Transparenz, welche mit ihnen einhergeht“, erklärt Dr. Wolfgang Kotzur, Rechtsanwalt und Partner in der Kanzlei Oppenhoff in Frankfurt. Erlaubte Zwecke für die Verwendung der Finanzierungserlöse sind etwa Projekte im Bereich erneuerbare Energien oder Energieeffizienz, Umwelt- oder Wassermanagementprojekte oder die Anpassung von Geschäftsmodellen an den Klimawandel.
An „Green Investing“-Anlegern mangele es dabei nicht, sagt Martin Dresp, Analyst bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). „Gerade institutionelle Anleger wie Pensionskassen, Kommunen, Länder oder Stiftungen wollen lieber dort investieren, wo dieses Investment auch ökologische oder sogar soziale Rendite erwirtschaftet.“ Und auch Privatpersonen würden sich zunehmend für nachhaltige Investments interessieren. Bei grünen Finanzierungen entstehen zwar vordergründig zusätzliche Kosten durch die erhöhten Anforderungen an Transparenz und Reporting. So muss nachgewiesen werden, dass die Mittel tatsächlich einen positiven Beitrag zum Klima- und Umweltschutz leisten – und das erfordert in der Regel eine unabhängige Agentur, die das Projekt prüft und zertifiziert. Diese Kosten sorgen in der Praxis dafür, dass viele Unternehmen zwischen „theoretisch ja“ und „praktisch nein“ schwanken. Eine Umfrage der Fachzeitschrift „Der Treasurer“ ergab, dass 58 Prozent der befragten Finanzverantwortlichen grundsätzlich an Green Finance interessiert sind, aber nur zwei Prozent konkret tätig geworden sind.
„Charakteristisch für grüne Finanzierungen sind zum einen ihre Zweckgebundenheit und zum anderen die große Transparenz.“
Dr. Wolfgang Kotzur, Rechtsanwalt und Partner, Oppenhoff.
EU-Vorgaben lenken Kapitalflüsse in nachhaltige Investitionen
Dabei können sich grüne Finanzierungen für Unternehmen auch betriebswirtschaftlich rechnen. „Eine solche Finanzierung kann positive Effekte etwa in Form von guter PR haben oder ein Unternehmen als Arbeitgeber für junge Leute attraktiver machen“, erklärt Oppenhoff-Anwalt Kotzur. „Eine nachhaltige Finanzierung kann grundsätzlich für jeden in Frage kommen, denn damit lassen sich entweder bestimmte nachhaltige Vorhaben finanzieren oder sie können als allgemeine Unternehmenskredite ausgestaltet werden, sofern sich das Unternehmen einer bestimmten Nachhaltigkeitsstrategie und diesbezüglichen Verbesserungen verpflichtet“, erläutert Kotzur. „Wichtig ist, dass insbesondere, dass die Erlöse bei einer grünen Finanzierung korrekt verwendet und die internen und externen Berichtspflichten erfüllt werden, ansonsten kann ein Unternehmen sich schnell der Anschuldigung des Green Washings ausgesetzt sehen.“ Weniger leicht zu beantworten ist die Frage nach den Zinsvorteilen. LBBW-Analyst Dresp schließt nicht aus, dass Investoren bei einem überzeugenden grünen Profil eine etwas niedrigere Rendite in Kauf nehmen. „Dadurch könnten Emittenten einen zusätzlichen Anreiz zur Emission von Green Bonds statt herkömmlicher Anleihen bekommen.“ Dafür gibt es bereits erste Beispiele. So hat Schwedens größter Waldbesitzer Sveaskog, der sich für eine nachhaltige Forstwirtschaft einsetzt, 2016 einen Green Bond emittiert und es geschafft, einen Finanzierungsvorteil von acht Basispunkten zu erzielen. Dieser Vorteil durch grüne Finanzierungsinstrumente wird „Greenium“ genannt. Dieses Greenium könnte durch neue politische Aktivitäten noch relevanter werden: Der im März 2018 vorgelegte Aktionsplan der EU-Kommission setzt sich zum Ziel, verstärkt Kapitalflüsse in nachhaltige Investitionen zu lenken. Die Europäische Union will dazu unter anderem einen Kriterienkatalog für Green Finance einführen. Daraus könnte ein mehr oder weniger sanfter Druck hin zu grünen Finanzierungen entstehen. Unternehmen und auch andere Bondemittenten, die sich bereits jetzt mit dem Thema beschäftigen, hätten dann einen Vorsprung. Zumal sich die EU für mögliche verbindliche Regeln sehr stark an den bereits etablierten Green-Bond-Principles orientiert. „Die zunehmende Verpflichtung zur Offenlegung von Nachhaltigkeitsstrategien und -risiken führt unverkennbar dazu, dass sich immer mehr Unternehmen mit dem Thema auseinandersetzen“, sagt Rechtsanwalt Kotzur. Die konkreten Auswirkungen solcher EU-Vorgaben sind bereits bei der europäischen ESG-Regulierung sichtbar. Zum 1. Januar sind weitere Teile der Taxonomieverordnung in Kraft getreten. Zu den zwei bereits seit Anfang 2022 bestehenden Umweltzielen Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel sind nun vier weitere Ziele hinzugekommen – nämlich der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, die Vermeidung und Kontrolle von Umweltverschmutzung, der Schutz der Wasser- und Meeresressourcen sowie der Schutz der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme. Auch beim anderen großen Regelwerk, der Offenlegungsverordnung, gibt es Neuerungen. Das Regelwerk selbst ist schon seit März 2021 in Kraft. Nun kommt die so genannte Level-2-Verordnung hinzu, die die ursprüngliche Verordnung weiter konkretisiert. Kern der Neuregelungen ist, dass neue Formate für die Offenlegung von Artikel-8- und Artikel-9-Fonds genutzt werden müssen, welche insbesondere auf die zu erreichenden Kennzahlen abstellen. Zudem müssen die negativen Auswirkungen der Investitionsentscheidungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren auch bei nicht-nachhaltigen Fonds erfasst werden.
„Der Klimawandel und ein steigender Ressourcenverbrauch werden mittelfristig zu veränderten Geschäftsmodellen und Unternehmensstrategien führen.“
Martin Dresp, Analyst, Landesbank Baden-Württemberg.
Trend zu nachhaltigerem Agieren zum eigenen Vorteil nutzen
Diese Neuregelungen haben erhebliche Auswirkungen etwa auf Immobilienfonds: „Um die Energieverbrauchsintensität auszuweisen, müssen wir den Energieverbrauch in Kilowattstunde pro Quadratmeter und Jahr ermitteln“, erklärt Hannah Dellemann, Wirtschaftsjuristin und ESG-Beauftragte beim Immobilienfondsspezialisten INTREAL. „Diese Kennzahl muss sowohl über den gesamten Fonds als auch über das gesamte Portfolio einer KVG errechnet werden.“ Die zweite Kennzahl, die Energieeffizienz, ist eine Prozentzahl. Diese bildet das Verhältnis von ineffizienten Objekten zu effizienten Objekten gemessen am Verkehrswert ab. Was in der EU als energieineffizient gilt, legt wiederum die Level-2-Verordnung in einer Formel fest. Eine weitere Kennzahl bezieht sich auf die Lagerung fossiler Brennstoffe. Hier werde der entsprechende Anteil der Miete als Bemessungsgrundlage herangezogen, so Unternehmensjuristin Dellemann. In der Praxis sind hier vor allem Tankstellen betroffen. Die Informationen müssen für den Vertrieb über ein spezielles Template – das so genannte EET oder European ESG Template – erfasst werden. „Die Informationen, die im EET erfasst werden müssen, sind deutlich detaillierter als bislang“, erläutert Juristin Dellemann. „Es geht zudem auch weniger um die Qualität, sondern mehr um die Quantität. Bislang konnte man viele Vorgaben mit Text erfassen. Jetzt müssen die genannten Zahlen ermittelt werden.“
Unabhängig von derartigen rechtlichen Vorgaben bietet Green Finance für Unternehmen die Chance, den aktuellen Trend zu nachhaltigem Agieren zum eigenen Vorteil zu nutzen. Die Beispiele der Elektromobilität oder der Energiewende im Versorgersektor zeigen schließlich eindrucksvoll, wie der Nachhaltigkeitsgedanke diverse Branchen schnell und mit Wirkmacht erfassen kann. „Der Klimawandel und ein steigender Ressourcenverbrauch werden mittelfristig zu veränderten Geschäftsmodellen und Unternehmensstrategien führen“, sagt LBBW-Analyst Dresp. „Green Finance kann dabei helfen, einen Prozess des Umdenkens anzustoßen, der ohnehin in näherer Zukunft begonnen werden müsste.“ Unternehmen wie den amerikanischen Outdoor-Bekleidungshersteller Patagonia kann man sich dabei durchaus zum Vorbild nehmen.
Harald Czycholl