Gestatten, KI, Deine neue Kollegin

ChatGPT hat im Einleitungsartikel zum Titel eine Selbsteinschätzung hinsichtlich des Einsatzes Künstlicher Intelligenz (KI) im Rechtswesen abgegeben. Klar im Fokus ­stehen in der Deskription die Vorteile, wer will es der KI verdenken. Der Text bleibt etwas oberflächlich, mehr Tiefgang hatten Gespräche mit verschiedenen Protagonisten zum Thema.
vom 7. Juli 2023
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Können und wollen wir mit „so jemandem“ dauerhaft zusammenarbeiten, der so von sich überzeugt ist? Der durchaus zum „Halluzinieren“ neigt, wie der Fall des New Yorker Rechtsanwalts gezeigt hat, der die Klageschrift gegen die kolumbianische Fluggesellschaft Avianca komplett ChatGPT schreiben ließ und dann auf unangenehme Art realisieren musste, dass die KI einen kompletten Präzedenzfall inklusive Aktenzeichen erfunden hatte? Sie ist auch ein bisschen stur, weil sie sogar auf Nachfrage dabeiblieb und die Echtheit des entsprechenden Urteils bestätigte. So ganz allein laufen lassen sollten Juristinnen und Juristen die neue Kollegin demnach nicht: „Alles, was KI generiert, erachtet sie als wahr, auch etwas, was in der Realität falsch ist. Sie besitzt kein Verständnis für die Realität, da sie ausschließlich mit Text trainiert wurde“, erörtert Pilipp Glock, Leiter IT & Innovation bei der KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft. In Maßen kann KI logisch arbeiten, ihr gehen aber wichtige Eigenschaften ab, die den Menschen auszeichnen und die auch die tägliche juristische Arbeit prägen und beeinflussen. Mareike Petrowitsch, General Counsel beim Urban Sports Club, entlarvt bei der KI den Mangel an Intuition und Bauchgefühl: „Künstliche Intelligenz wird maximal eine kognitive Empathie simulieren können, aber keine, die unmittelbar auf Emotionen beruht.“ ChatGPT etwa berücksichtigt keine Informationen, die nicht datenbasiert sind, die nicht schon an irgendeiner Stelle hinterlegt sind, schon einmal gedacht und niedergeschrieben worden sind. „Alles Zwischenmenschliche fehlt der Künstlichen Intelligenz, Körpersprache, Spannung, Resonanz“, so Petrowitsch, oder – wie Pia Boßeler, Head of Legal bei air-up, es ausdrückt: „Es ermangelt ihr an der Magie, die ‚outside the box‘ passiert.“ Den Bogen in den Rechtsbereich schlägt David J. Deutsch, Leiter der Konzernabteilung Recht bei der Hochtief AG. Er geht von der Prämisse aus, dass der Begriff „Recht“ Regeln für das menschliche Verhalten und Zusammenleben umfasst. „Das setzt notwendigerweise voraus, dass sich auch Menschen – und nicht Maschinen – mit dem Recht befassen.“ Der Kern dieser Tätigkeit wird aus seiner Sicht daher unantastbar für die Künstliche Intelligenz bleiben. Für ihn ist der wichtigste Punkt in diesem Zusammenhang, dass „gute Juristinnen und Juristen bestimmte Situationen antizipieren, sich und ihre Mandantschaft rechtzeitig darauf vorbereiten und auf unternehmenspolitische Aspekte Rücksicht nehmen. „Sie sind juristische Manager, die KI – jedenfalls auf absehbare Zeit – eher eine automatisierte Sachbearbeiterin.“

Deutsch

„Ziel von Künstlicher Intelligenz ist es aus meiner Sicht nicht, Menschen abzulösen, sondern sie intelligent zu unterstützen.“

David J. Deutsch
Leiter Konzernabteilung Recht
Hochtief AG

Unzulänglichkeiten der KI

Stichwort Unternehmenspolitik: Den Ball nimmt Mareike Petrowitsch von Urban Sports gerne auf und führt den Gedanken fort: „Für die KI wird es schwierig bleiben, die konkrete Situation in einem Unternehmen zu erfassen, persönliche Vorlieben von verantwortlichen Personen, Erfahrungen der Mitarbeitenden und auch strategische Vorstellungen.“ Dies alles zu berücksichtigen, ist allerdings ein maßgeblicher Faktor bei der Lösung sehr konkreter und praxisbezogener Problemstellungen beziehungsweise im Rahmen wichtiger Weichenstellungen – einerseits für das Unternehmen als Ganzes, andererseits aber auch untergeordnet in der Rechtsabteilung. Beim Blick in die Beratungspraxis kommen weitere Aspekte hinzu. Dr. Benjamin Lotz, Mitglied der Praxisgruppe IP & Technology bei der Sozietät Dentons, wirft der generativen KI Unzulänglichkeiten in den Punkten Verlässlichkeit, Aktualität und Einordnung vor. „Darüber hinaus prägen persönliche Beziehungen sowohl die Beratung als auch streitige Auseinandersetzungen und Verhandlungen. Neben der Empathie geben „Vertrauen und das Teilen von Verantwortung im Team oft den Ausschlag“, so der Rechtsanwalt. „Gute Rechtsberatung besteht nicht nur darin, vorhandenes Wissen wiederzugeben, sondern das Recht auf neue, unbekannte Sachverhalte anzuwenden“, ergänzt Glock. Das Rechtssystem beinhalte eine hochkomplexe Logik, die derzeit von KI nicht vollständig bewältigt werden könne. Es sei außerdem unwahrscheinlich, dass der Mensch sich bei der Klärung rechtlicher Fragen mit Wahrscheinlichkeiten zufriedengeben möchte. KI verstehe keinen Text im eigentlichen Sinne, sagt Glock, „sie berechnet lediglich die Wahrscheinlichkeit, dass ein Wort oder eine Wortsilbe auf eine andere folgt. Die Antwort der KI stellt nur das Ergebnis einer Berechnung dar und keine logische Schlussfolgerung basierend auf Gesetzen, Literatur und vor allem menschlicher Erfahrung.“ Eine vollständige Ablösung des juristisch denkenden und handelnden Menschen durch die neue Kollegin ist demnach nicht vorstellbar. „Sie muss auf absehbare Zeit von Menschen eingesetzt werden, unter Anleitung wird sie aber komplette Aufgaben übernehmen können“, bestätigt Dr. Marc Hilber, Rechtsanwalt für IT & Datenschutz und Partner bei Oppenhoff & Partner Rechtsanwälte. Trotzdem werden Juristinnen und Juristen nicht umhinkommen, sich intensiv mit KI zu beschäftigen, wenn sie es nicht schon tun, Veränderungen in der täglichen Arbeit sind jetzt schon unverkennbar und mit der gebührenden Kontrolle und dem geplanten und umsichtigen Einsatz wird sich die Künstliche Intelligenz auch im Rechtswesen als nützlich erweisen. Vorher müssen sie neue juristische Herausforderungen akzeptieren. Der Einsatz wirft etwa haftungsrechtliche Fragestellungen auf, die unmittelbare Auswirkungen auf die Compliance und das Risikomanagement haben. In erheblichem Umfang ist das Urheberrecht betroffen, dort herrschen noch viele Unklarheiten vor. Klar ist auch: KI analysiert und verarbeitet eine Vielzahl von Daten, das betrifft auch personenbezogene Daten, die dementsprechend das Datenschutzrecht auf den Plan bringen. „Es müssen Mechanismen etabliert werden, um die Privatsphäre von Betroffenen zu schützen und sicherzustellen, dass die Datenverarbeitung rechtmäßig und transparent erfolgt“, rät Philipp Glock. Auch im Arbeitsrecht – hier im Hinblick auf Arbeitsbedingungen, Arbeitnehmerrechte und den Schutz vor Diskriminierung – sowie Vertragsrecht werden sich die Einflüsse der Künstlichen Intelligenz bemerkbar machen. Vielen Menschen machen der technische Fortschritt und der Einsatz der KI Angst. „Neben den rechtlichen Herausforderungen dürften moralische oder ethische Aspekte besonders schwierig sein“, betont Hendrik Stangier, IT-Manager bei Aldi International Services. Es hat fatale Folgen für alle Beteiligten, „wenn eine im Recruiting im Einsatz befindliche KI bestimmte Bewerberinnen und Bewerber sofort aussortiert, weil sie aus dem Trainingsdatensatz bestimmte Vorurteile abgeleitet hat.“ Das eröffnet ein Spannungsfeld, das bereits kontrovers diskutiert wird – und die Meinungsverschiedenheiten in diesem Bereich dürften sich noch verschärfen. Mareike Petrowitsch sagt, dass es richtig ist, über Ethik und Risiken nachzudenken, Urban Sports arbeitet deshalb an einer internen AI-Policy. Sie ist aber auch überzeugt: „Zu viel Regulatorik killt Kreativität, Potenzial und Entwicklung, die ohnehin nicht aufzuhalten sein wird. Das ist Evolution, lebende Systeme ändern sich ständig.“

Stangier

„KI ist in Gänze als Werkzeug zu sehen, welches korrekt bedient werden muss und somit auf den Menschen angewiesen ist.“

Hendrik Stangier
IT-Manager 
Aldi International Services

Einsatz in der Rechtsabteilung  

 
Bei allen wichtigen Bedenken zu rechtlich notwendigen Absicherungen: Mit den richtigen Kontrollmechanismen lässt sich KI im Rechtswesen gewinnbringend einsetzen. In der Rechtsberatung „ist der maßgebliche Vorteil die effektive Übernahme von sich wiederholenden Low-Level-Tätigkeiten“, so Oppenhoff-Anwalt Marc Hilber. Er stellt fest, dass Mandanten bereits heute zunehmend nicht bereit sind, hierfür Anwälte zu bezahlen. Die häufig genannten Effizienzvorteile beim Einsatz von KI-Systemen lassen sich seiner Ansicht nach erst dann nutzen, „wenn sie so zuverlässig arbeiten, dass eine aufwändige Kontrolle entbehrlich ist – und Mandanten das bereits praktisch erfahren haben.“ Dr. Benjamin Lotz von Dentons glaubt, dass sich durch die Verknüpfung maschineller mit menschlichen Fähigkeiten die Qualität der Arbeitsergebnisse erhöhen wird: „Die KI wird beispielsweise mehr Urteile und mehr Literatur in treffsicherer Weise verarbeiten können als es Menschen bislang mitsamt vorhandener Datenbanken möglich ist. Sie ist außerdem resistent gegen Flüchtigkeitsfehler – der Anwalt kann sich somit auf die Prüfung, Veredelung, Einordnung und Kommunikation des KI-Ergebnisses fokussieren.“ Und in der Rechtsabteilung? „Gerade assistierende Aufgaben werden auf ein anderes Level gehoben“, meint Pia Boßeler vom Scale-up air up. „Sie werden dabei helfen, das automatisierte Betriebsabläufe rundlaufen.“ Sie ist überzeugt, dass viele „eintönige“ und „langweilige“ Aufgaben wegfallen, die Rechtsabteilung den Themen bei zunehmender Komplexität gewachsen bleibt und ihre Aufgaben trotz Fachkräftemangel bewältigen kann. Vor allem bei repetitiven Standardthemen entfaltet die KI ihre volle Strahlkraft, ob das nun die Rechnungsprüfung betrifft, das Erstellen und Analysieren von Standardverträgen, Übersetzungen, Formulierungshilfen, das Dokumentenmanagement. David J. Deutsch findet in dem Zusammenhang aber auch mahnende Worte: „Es ist kritisch zu hinterfragen, ob im eigenen beruflichen Alltag tatsächlich derart viele – mit Verlaub – stumpfen Tätigkeiten anfallen, so dass sich der Einsatz von KI lohnt. Niemand sollte dem Narrativ aufsitzen, dass sie immer und überall entlastet, es muss auch der passende Anwendungsfall da sein.“ 
 

Denkbare Zukunftsszenarien

Stoppen lassen wird sich der Trend zu einem verstärkten Einsatz von KI sicher nicht mehr. Die nächsten Weiterentwicklungen werden kaum auf sich warten lassen. Hendrik Stangier hat in diesem Zusammenhang konkrete Vorstellungen: In Bereichen einfacher gelagerter Fälle hält er es für möglich, dass Self-Service-Portale komplett automatisiert fungieren. Ferner könnte die Verbindung einer KI mit Word und Beck-Online die Möglichkeit beinhalten, zu einem unbekannten Sachverhalt nicht nur zu recherchieren, sondern auch die Informationen direkt in einen Schriftsatz einfließen zu lassen. Spannend ist für ihn der Upload mehrerer Dateien und die anschließende kombinierte Verarbeitung: „Es ist denkbar, einen Vertragsentwurf der Gegenseite zusammen mit einer Auflistung genereller Vertragsanforderungen in ein KI-Modell zu laden und eine red-line erstellen zu lassen.“ Ähnliche Anwendungsfälle sieht Stangier in der Analyse von Massendaten im Rahmen einer Due-Diligence und der anschließenden Auswertung von Daten in Bezug auf konkrete Verbindlichkeiten. Und: „Insbesondere in Bezug auf Large-Language-Modelle wie GPT-4 dürften spezielle Anwendungen über eine Schnittstelle interessant sein.“ Als Zwischenfazit lässt sich sagen – und mehr kann es an dieser Stelle der Entwicklung nicht sein: Der Mensch und speziell der Jurist werden insgesamt unentbehrlich bleiben, KI wird als Assistentin aber Aufgaben übernehmen. „Die Zusammenarbeit zwischen Mensch und KI kann äußerst fruchtbar sein“, bringt es Philipp Glock auf den Punkt. „Wir können von der schnellen Datenverarbeitung und den analytischen Fähigkeiten der KI profitieren und gleichzeitig die menschliche Kreativität und das kritische Denken einbringen.“
 
Alexander Pradka
Beitrag von Alexander Pradka

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