Gefahren in globalen Lieferketten und Absatzmärkten erkennen und bannen

Die Corona-Pandemie und Russlands Angriff auf die Ukraine haben die Volatilität 
internationaler Handelsbeziehungen drastisch vor Augen geführt. Unternehmen, 
deren Liefer- und Absatzwege sehr stark von einer Region abhängen, riskieren Kopf und Kragen. Höchste Zeit, dass die Rechtsabteilung mögliche Krisenherde beobachtet und Risiken verringert.
vom 16. Januar 2024
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Das Pendel der Globalisierung, so hat es für viele aktuell den Anschein, schlägt gewaltig in Richtung mehr wirtschaftliche Unabhängigkeit und Selbstversorgung zurück. In Deutschland werden Batterie- und Halbleiterfabriken aus dem Boden gestampft und Flüssiggasterminals an der Küste in Rekordzeit hochgezogen, als wären alle behördlichen Auflagen und Genehmigungsverfahren über Nacht aus den Ämtern verschwunden. Mehr Sorgfalt auf die Lieferketten muss ohnehin gelegt werden – aber das ist eine andere Geschichte. Wenn die Zeit kurz vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie 2020 den höchsten Ausschlag des internationalen Handels markierte, so ging er zuerst langsam und mit Russlands Einmarsch in der Ukraine im Februar 2022 immer schneller zurück. Das Reißen internationaler Lieferketten sowie die vom Westen verhängten Sanktionen gegen Russland haben nicht nur den internationalen Energiemarkt, sondern alle Unternehmen und Branchen getroffen, die bis dahin Tochterunternehmen und Handelsvertretungen zwischen Sankt Petersburg und Wladiwostok aufgebaut haben. Neben den beiden aktuell heißen Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten droht in Ostasien ein weiterer Konflikt. Er hat tatsächlich das Potenzial, die Weltwirtschaft ins Mark zu treffen. „Chinas wiederholt geäußerte Ambition, Taiwan in den eigenen Machtbereich zurückzuholen, sollte nicht nur die Politik, sondern auch die Unternehmen am meisten beschäftigen“, sagt Professor Markus Lederer vom Institut für Politikwissenschaft der Technischen Universität Darmstadt. „Ein Krieg dort hätte nicht nur Auswirkungen auf die Wirtschaftsbeziehungen zu China und Taiwan, sondern auf den gesamten südostasiatischen Raum, der die höchsten Wachstumsraten und damit auch Handelspotenziale aufweist“, erläutert Lederer, der den Arbeitsbereich Internationale Beziehungen am Institut für Politikwissenschaft leitet. US-Außenminister Antony Blinken äußerte im Sommer 2023 die Befürchtung, dass ein Konflikt zwischen China und Taiwan buchstäblich jedes Land der Erde betreffen würde. Er hatte dabei die Halbleiterindustrie im Blick, denn der Inselstaat stellt mit Abstand die meisten Computerchips der Welt her – und die stecken heute in allen digitalen Produkten, Geräten und Infrastrukturen, von Smartphones und Autos bis hin zu medizinischer und militärischer Ausrüstung. Die Folgen eines gewaltsamen Konflikts und eines Produktionsausfalls bei den taiwanesischen Halbleiterherstellern wären verheerend. Und es gibt weitere Regionen, in denen Ungemach droht. „Seit der islamischen Revolution ist der Iran ein Dauerthema“, erklärt Lederer, „aber auch Indien hat mit China und Pakistan zwei Nachbarn, mit denen es in der Vergangenheit bereits gewaltsame Auseinandersetzungen gab.“ Es sind jedoch nicht nur zwischenstaatliche Kriege, die Handelswege und Geschäftsbeziehungen gefährden. „Eine Reihe von Narco-Staaten in Zentralamerika sowie von Ländern in der Sahelzone und rund um den Victoriasee sind praktisch Failed States, in denen es jederzeit zu Putschversuchen und Bürgerkriegen kommen kann“, warnt Lederer. Allerdings sind das mit Ausnahme von Mexiko vorwiegend Staaten, die in der Weltwirtschaft kaum eine Rolle spielen. Das heißt aber keinesfalls, dass dort exponierte Branchen oder Unternehmen nicht doch empfindlich getroffen werden können, wenn sie auf einen bestimmten Rohstoff angewiesen sind, den sie aus einem vor dem Kollaps stehenden Staat beziehen.

Reorganisation von Lieferketten

Vor diesem Hintergrund ist es für Unternehmen ratsam, geopolitische Risiken vermehrt zu berücksichtigen. „Das heißt in erster Linie, die rechtlichen Implikationen für das Unternehmen zu bewerten, die sich aus Entscheidungen auf politischer Ebene ergeben“, sagt Anne-Kathrin Gillig, Partnerin und Leiterin Compliance und Wirtschaftsstrafrecht bei KPMG Law in Frankfurt am Main. „Das können beispielsweise Sanktionen sein, wie sie aktuell gegen Russland bestehen“, erklärt die Rechtsanwältin. Auch die Produktion oder der Bezug (LkSG!) von Gütern in Ländern mit prekärer Menschenrechtslage werde zunehmend zum Risiko. Hinzu kommen rechtliche Einschränkungen wie die im Mai 2023 verabschiedete EU-Entwaldungsverordnung, die sowohl die Erzeugung als auch die Einfuhr von Rohstoffen und Erzeugnissen beschränkt, soweit diese zur globalen Entwaldung beitragen. Alle drei Faktoren können dazu führen, dass man Lieferketten reorganisieren und preisliche Nachteile in Kauf nehmen müsse. „Wir haben in den vergangenen vier Jahren eine unglückliche Häufung von Ereignissen wie der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg erlebt, die zu einer Wiederbelebung des Begriffs Geopolitik führt“, sagt Gillig. Der Begriff Geopolitik ist, anders als im angelsächsischen Sprachraum, in Deutschland nach 1945 zum Unwort geworden. „Was das geopolitische Risikomanagement betrifft, stehen wir hierzulande erst am Beginn der Entwicklung, es in Unternehmen fest zu etablieren“, erläutert die Beraterin mit Spezialisierung auf Außenwirtschaftsrecht, Exportkontrolle und internationale Compliance. Weil das Risikomanagement an sich, ebenso wie Compliance, schon lange etabliert ist, muss das Rad nicht neu erfunden werden. „Bisher liegt die Verantwortung dafür hauptsächlich bei den Bereichen Finanzen, Controlling und Unternehmensplanung“, so Gillig, „doch künftig sollte die Rechtsabteilung eine wichtigere Rolle spielen.“ Denn eine Bestandsaufnahme der Risiken in Geschäftsfeldern, Prozessen, Lieferketten, Investitionen, Absatzmärkten und Tochtergesellschaften beinhalte immer auch eine Prüfung der damit verbundenen Verträge. „Auch beim geopolitischen Risikomanagement geht es darum, mögliche Gefahren zu identifizieren, zu bewerten und Maßnahmen zu ergreifen, mit denen sie minimiert werden können“, erklärt Gillig.

Gillig

„Auch beim geopolitischen Risikomanagement geht es darum, Risiken zu identifizieren, zu bewerten und Maßnahmen zu ergreifen, mit denen sie minimiert werden können.“

Anne-Kathrin Gillig
Partnerin und Leiterin Compliance und Wirtschaftsstrafrecht bei KPMG Law

Vertragliche Absicherung von Einzelmaßnahmen

 

Diese Aufgabe kann nur gemeinsam im Unternehmen gelöst werden, weiß Andreas Aktas, Senior Legal Counsel bei der RECARO Holding. Das Tochterunternehmen RECARO Aircraft Seating ist Weltmarktführer für Economy-Class-Flugzeugsitze und damit einer der wichtigsten Lieferanten für die Luftfahrtindustrie. Eine Branche, die die Folgen unvorhergesehener geopolitischer Konflikte schneller als andere zu spüren bekommt. „Für Rechtsabteilungen hat durch die Corona-Pandemie, den Ukraine-Krieg und die jüngste Eskalation des Nahostkonflikts die interne Beratung und Bewertung zugenommen“, sagt Aktas. „In einem solch virulenten Kontext wird nicht nur unsere Rechtsabteilung tätig, sondern sie arbeitet in enger Abstimmung mit den Gesellschaftern, der Geschäftsleitung sowie den betroffenen operativen Einheiten“, erläutert der Senior Legal Counsel. Geopolitisches Risikomanagement sowie die Fähigkeit, effektiv und oft auch kurzfristig auf Krisen zu reagieren, gehöre zur nachhaltigen und langfristigen Unternehmensstrategie. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Stabilisierung der Lieferkette. „Durch die jüngsten Krisen sowie das Inkrafttreten des LkSG sind sowohl Effektivität als auch Effizienz der Lieferkette verstärkt in den Fokus des Einkaufs gerückt“, erklärt Aktas. „Unsere Rechtsabteilung unterstützt diesen Prozess laufend und sorgt für die vertragliche Absicherung der jeweiligen Einzelmaßnahmen“, ergänzt er.

Aktas

„Für Rechtsabteilungen hat durch die Corona-Pandemie,
den Ukraine-Krieg und die jüngste Eskalation des Nahostkonflikts
die interne Beratung und Bewertung zugenommen.“

Andreas Aktas
Senior Legal Counsel bei der
RECARO Holding

Schutz vor unliebsamen Überraschungen

 

Ein Schlagwort, das im Rahmen von globaler Risikominderung immer wieder fällt, ist das sogenannte Decoupling, also das Entkoppeln aus Lieferketten und Abhängigkeiten von bestimmten Staaten. Unternehmen stehen dabei zunehmend vor dem Problem, dass ihnen dieses Entkoppeln von bestimmten Seiten aufgezwungen wird. „Die US-Regierung betreibt seit vielen Jahren eine Politik der exterritorialen Sanktionierung“, sagt Markus Lederer. „Vorschriften, mit denen sie US-Unternehmen Handelsbeschränkungen auferlegt, will sie auch den Unternehmen in anderen Ländern vorschreiben“, führt der Experte für internationale Beziehungen weiter aus. Damit sollen etwa die Sanktionen gegen China, den Iran oder Nordkorea weltweit Wirkung entfalten. „Allerdings zielt auch die EU in diese Richtung, etwa wenn es darum geht, chinesische Unternehmen zu bestrafen, die das Russland-Embargo unterlaufen“, erläutert Lederer. Zudem schütze die EU ihre eigenen Unternehmen, in dem Verordnungen wie die zum Entwaldungsverbot nicht nur in den EU-Mitgliedstaaten gelten, sondern auch von Unternehmen erfüllt werden müssen, die Güter in die EU einführen. „China wird es ähnlich handhaben, sobald seine Macht dazu ausreicht“, ist sich Lederer sicher. Um sich vor unliebsamen Überraschungen zu schützen, sollte im Unternehmen methodisch vorgegangen werden. „Es muss klar geregelt sein, wer für das globale Risikomanagement verantwortlich ist, welche Informationsquellen zu nutzen sind und an wen berichtet wird“, sagt Anne-Kathrin Gillig. Dieser Prozess sei darüber hinaus gut zu dokumentieren und Pläne für mögliche Krisenszenarien in der Schublade bereit zu halten. „Wichtiger als alles für den Worst Case vorzubereiten und erst dann zu reagieren, ist es, Trigger-Punkte zu definieren, bei denen bestimmte Maßnahmen ergriffen werden“, empfiehlt Gillig. Denn politische Krisen wie der Ukraine-Krieg oder ein möglicher Angriff Chinas auf Taiwan brechen – im Gegensatz zu einer Pandemie – nicht über Nacht aus, sondern kündigen sich meist über einen längeren Zeitraum an. „Es ist allerdings Aufgabe der Geschäftsführung festzulegen, wann beispielsweise Tochterunternehmen stillgelegt oder verkauft werden“, erklärt die Beraterin. Die Rechtsabteilung kann dann entsprechende Maßnahmen vorbereiten. Wenn, wie im Fall Russlands, zu spät reagiert werde, gehen die Verluste durch Notverkäufe und Verstaatlichungen schnell in die Millionenhöhe.

Zahl der Dual-Use-Güter gestiegen

 

Sicherzustellen, dass Sanktionen, etwa gegenüber Russland, dem Iran und anderen Staaten, im Unternehmen bekannt sind und auch eingehalten werden, hält Andreas Aktas für eine wichtige Aufgabe. „Unser Export-Expertenteam stellt die Prüfung von Sanktionslisten sowie die Einhaltung von Sanktionen sicher“, sagt der Senior Legal Counsel von RECARO. Er räumt jedoch ein, dass diese Aufgabe dadurch erleichtert werde, dass sein Unternehmen ausschließlich im zivilen Sektor tätig ist und keine militärischen Anwendungen bedient. „Gleichzeitig bleibt es eine Funktion mit großer Verantwortung, für die das Legal Department für alle sich in diesem Zusammenhang ergebenden rechtlichen Fragen beratend zur Seite steht“, sagt Aktas. Allerdings ist die Zahl der Dual-Use-Güter, die aufgrund ihrer zivilen und militärischen Verwendbarkeit besonderen Beschränkungen unterliegen, in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen. Dazu gehören neben bestimmten Chemikalien, Maschinen, Technologien und Werkstoffen auch Software. „Die deutsche Wirtschaft muss sich von der Illusion verabschieden, dass sie im apolitischen Raum agiert“, betont Markus Lederer. Den besten Schutz bietet daher die Vermeidung eines zu hohen Klumpenrisikos in der Liefer- oder Absatzkette. Und mit aufstrebenden Staaten wie Indien, Indonesien und Vietnam stünden interessante Partner im Umfeld Chinas bereit. Langfristig sind die Vorzüge der Globalisierung zu groß, und jedes Pendel neigt dazu, nach einer Weile wieder in die andere Richtung auszuschlagen.

 

Christoph Neuschäffer

Beitrag von Alexander Pradka

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