Eine Legaldefinition für „Greenwashing“ gibt es nicht, auch die neuen EU-Richtlinien sehen eine solche nicht vor. Es geht dabei nicht allein um Werbung, auch wenn der Begriff in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem im Zusammenhang mit Marketingmaßnahmen von Unternehmen verwendet wird. „Greenwashing bezeichnet auf kritische Weise das irreführende und oder unzutreffende Verbreiten von Informationen durch Unternehmen mit dem Ziel, diesem in der Öffentlichkeit ein umweltfreundliches und verantwortungsbewusstes Image zu verleihen, obwohl das nicht stimmt oder zumindest nicht in der angegebenen Weise der Realität entspricht“, konkretisiert Dr. Philipp Mels, Partner bei der Sozietät Orth Kluth. „Das Unternehmen will sich also eine weiße Weste verschaffen im Hinblick auf Umweltthemen.“ Der Hintergrund ist klar: der so erzielte Imagegewinn soll sich möglichst in positiven Zahlen widerspiegeln. Mels verweist darauf, dass Werbung, die täuscht oder sonst irreführend ist, in Deutschland gemäß den Regelungen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb – kurz UWG – schon immer unzulässig ist. Das betrifft auch Aussagen zum Umweltschutz. Für die hat zudem die Rechtsprechung im Laufe der Zeit immer strengere Anforderungen aufgestellt, wenn auch nicht durchweg einheitlich und somit auch nicht hinreichend klarstellend, was für gewisse Irritationen und Rechtsunsicherheit gesorgt hat. Verbraucherschutz und Mitbewerber können dagegen mit Abmahnungen vorgehen. Dr. Yorick Ruland, Partner bei der Sozietät Görg, berichtet, dass im Bereich der Kapitalanlagen Finanzdienstleister bereits seit den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts „Investoren ein Produkt mit den Eigenschaften vorstellen müssen, die es auch tatsächlich besitzt – in der Anlageberatung und Vermittlung dürfen sie gegenüber einem Kunden einem Kapitalanlageprodukt keine zusätzlichen Eigenschaften zuordnen. Daran hat sich gerade die Finanzbranche nicht immer gehalten, wie zahlreiche öffentlichkeitswirksame Fälle belegen.“ Mittlerweile hat sich aber auch hier der Fokus verschoben, Ursache dafür ist der hohe Druck, den Politik und Gesellschaft auf die Wirtschaft ausüben. „In der Vergangenheit standen Produktsicherheit und Risiken für einen Fonds im Mittelpunkt“, sagt Ruland. „Im Zuge der Diskussion um Greenwashing ersetzen wir heute den Begriff ‚sicher‘ durch ‚grün‘ oder ‚nachhaltig‘.“ Ebenfalls aus den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts stammt das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVPG), das beispielsweise für den Bereich des Straßenbaus in der Bundesrepublik Standards gesetzt hat. Daraus ergibt sich für das Greenwashing quasi eine Sondersituation. „Wir können ohnehin nur mit Projekten nach außen treten, die rechtmäßig sind“, berichtet Ruth Hadamek, Leiterin Planungs- und Umweltrecht bei der Autobahn GmbH des Bundes. „Es sind im UVPG klare Kriterien formuliert, die ein Greenwashing unmöglich machen.“ Die Autobahn GmbH beschäftigt selbst neben Straßenplanern Umweltplaner, Landschaftspfleger, Wasserrechtsexperten, Artenschutzexperten. „Wo wir nicht selbst die Expertise haben, holen wir uns Gutachten ein. Kein Projekt, das nicht geprüft ist, geht in die Planung und damit schon gar nicht in die Öffentlichkeitsarbeit. Mit umweltrechtlich bedenklichen Vorhaben können wir also gar nicht nach außen gehen“, so Hadamek weiter.
„Wir müssen Nachhaltigkeitskommunikation ermöglichen, um den Verbrauchern eine Möglichkeit zu geben, durch ihre Kaufentscheidung bewusst für die Natur ein Zeichen zu setzen und Unternehmen intern die Möglichkeit zu geben, Investitionen zu rechtfertigen.“
Michael Forst
Senior Legal Counsel, Nestlé Deutschland
EmpCo- und Green-Claims-Richtlinie
Insofern blicken die Verantwortlichen bei der Autobahn GmbH relativ entspannt auf neue regulatorische Bestrebungen der Europäischen Union, die das Thema Greenwashing betreffen. „In gewisser Weise sehen wir die Thematik und auch den Wirbel, der darum entsteht, als Anachronismus an, weil für uns die Umsetzung rechtlicher Maßstäbe in diesem Zusammenhang schon so lange zum Geschäft gehört.“
Die Öffentlichkeitsbeteiligung findet gesetzlich vorgesehen im Planfeststellungsverfahren oder im Rahmen anderer Genehmigungsverfahren statt. Es gibt Informationsveranstaltungen oder Begehungen im Vorfeld eines Vorhabens – „der Grundsatz je eher, desto besser, hat sich über die Jahrzehnte bewährt.“ So klar und eindeutig wie für die Autobahn GmbH ist die Thematik für die meisten Unternehmen jedoch bisher gerade nicht – und die neuen Richtlinien aus der Europäischen Union werden für sie die bisher schon strenge Rechtslage noch einmal erheblich verschärfen. Das ist Teil des europäischen Green Deals, der das Ziel verfolgt, die Union bis spätestens 2050 klimaneutral zu machen. Am 27. März dieses Jahres in Kraft getreten ist die Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel – englisch Empowering consumers for the green transition, daher auch EmpCo-Richtlinie –, mit der die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken geändert wird. Die Mitgliedstaaten haben 24 Monate Zeit, diese in nationales Recht umzusetzen. Gut vierzehn Tage zuvor, am 12. März 2024, beschloss das EU-Parlament die Green Claims Richtlinie. Sie enthält genaue Vorgaben darüber, wie mit umweltbezogenen Aussagen wie beispielsweise „grün“, „klimaneutral“ oder „für Nachhaltigkeit“ geworben – oder besser: nicht geworben werden darf. Mit ihr muss sich noch der Europäische Rat beschäftigen. Gibt es keine Änderungen, gilt der Gesetzesvorschlag des Europäischen Parlaments als angenommen. „Es handelt sich um Schwesterrichtlinien, die der deutsche Gesetzgeber durch Änderungen des UWG umsetzen wird. Anders als etwa in den Niederlanden, wo es einen Code für Nachhaltigkeitsaussagen gibt, oder in Belgien mit dem Umweltcodex, wird es hierzulande sehr wahrscheinlich kein eigenes Gesetz geben“, so Ruland. Im Sinne der EmpCo-Richtlinie dürfen Unternehmen künftig kein Nachhaltigkeitssiegel anbringen, das nicht auf einem Zertifizierungssystem beruht oder von staatlichen Stellen kommt. „Sie dürfen außerdem keine allgemeine Umweltaussage treffen, wenn sie die Umweltleistung, auf die sich die Aussage bezieht, nicht nachweisen können“, führt Mels aus. „Ebenso müssen Umweltaussagen zum gesamten Produkt oder der Geschäftstätigkeit unterbleiben, wenn diese sich nur auf einen Aspekt oder einen bestimmten Teil beziehen.“ Unzulässig ist ferner die Aussage, die auf der Kompensation von Treibhausgasemissionen basiert und wonach ein Produkt in dieser Hinsicht neutrale, verringerte oder gar positive Auswirkungen auf die Umwelt hat.
Die EmpCo-Richtlinie reglementiert außerdem Aussagen über künftige Umweltleistungen. Diese sind nur erlaubt, wenn sie „klare, objektive, öffentlich zugängliche und überprüfbare Verpflichtungen enthalten, die in einem detaillierten und realistischen Umsetzungsplan festgelegt sind, der messbare und zeitlich festgelegte Ziele enthält“, ergänzt Mels. Die Verpflichtungen müssen außerdem regelmäßig von einem unabhängigen externen Sachverständigen überprüft werden, dessen Erkenntnisse Verbraucherinnen und Verbrauchern zur Verfügung gestellt werden. Die Green Claims Richtlinie enthält Vorschläge des EU-Parlaments zu den Voraussetzungen, unter denen die Werbung mit Umweltvorteilen erlaubt sein soll. Unternehmen dürfen nur mit Auswirkungen, Aspekten oder Leistungen werben, wenn die nach der Richtlinie erforderlichen Nachweise vorliegen und die Erheblichkeit für das Produkt oder das Unternehmen bejaht werden kann. „Bei entsprechender Relevanz sind darüber hinaus die Konsumenten in Kenntnis zu setzen, wie sie das Produkt angemessen verwenden, um Umweltauswirkungen zu verringern“, so Mels. „Und die Unternehmen müssen die Umweltaussage begründen – entweder mittels Beipackzettel oder unmittelbar abrufbar über einen Link oder QR-Code.“ Für den Fall, dass sich ausdrückliche Umweltaussagen auf eine zukünftige Umweltleistung eines Produkts oder des Unternehmens beziehen, muss sie eine zeitgebundene Verpflichtung zu Verbesserungen innerhalb der betrieblichen Abläufe und der Wertschöpfungskette enthalten. Pauschale Umweltaussagen sind grundsätzlich nicht zulässig. Wichtig ist, dass nach der Green Claims Richtlinie umweltbezogene Angaben nur dann als belegbar gelten, wenn sie wissenschaftlichen Erkenntnissen genügen, konkret sind und für die Prüfung eine Konformitätsbescheinigung inklusive Kontaktdaten des Prüfers enthalten.
„Es muss im ganzen Unternehmen ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, was kommuniziert wird und was nicht. Die Rechtsabteilung hat die Aufgabe, auf der Basis rechtlicher Entwicklungen zu beraten, bei der Entwicklung von Claims dabei zu sein und Aussagen regelmäßig zu prüfen.“
Peter Baehr
General Counsel Europe / EMEA, PUMA
Faktische Beweislastumkehr
„Umweltbezogene Werbeaussagen werden zum ersten Mal konkret reglementiert“ resümiert Mels. Einerseits ist zwar die Frage zu stellen, warum das nicht auch in einer Richtlinie geschehen konnte, andererseits sollte nun zumindest eine gewisse Orientierung möglich sein. „Wir sind immer dankbar für eine einheitliche europäische Regelung, weil diese uns das Leben einfacher macht“, sagt etwa Michael Forst, Fachanwalt für gewerblichen Rechtschutz und Senior Legal Counsel bei Nestlé Deutschland. Er empfindet es grundsätzlich als störend, dass es in der öffentlichen Wahrnehmung zurzeit faktisch eine Beweislastumkehr gäbe. Gerade wenn ein größeres Unternehmen Green Claims aufstellt, werde häufig einfach vermutet, dass es sich um Greenwashing handele – es sei denn, das betroffene Unternehmen kann sich entlasten. Rein rechtlich gesehen spricht er über die bisherige Praxis: „Bislang lief im Bereich der Green Claims sehr viel über die Rechtsprechung der Gerichte.“ Diese sei grundsätzlich gut und in Deutschland noch relativ liberal, verglichen zu dem, was die europäische Regulierung jetzt erreichen will. In dem Zusammenhang habe es sich etabliert, „auf Sicht zu fahren“ und jeweils Entscheidungen im Instanzenzug abzuwarten. Dennoch: „Die Gesetzesvorhaben bringen ein großes Maß an Planungssicherheit. Einstellen müssen wir uns auf einen höheren bürokratischen Aufwand.“ Forst begrüßt generell die hohen Maßstäbe, die die beiden Richtlinien setzen werden. „Diese führen letztlich dazu, dass nur ernstgemeinte Maßnahmen mit entsprechend positiven Umweltauswirkungen über die Kommunikation belohnt werden.“ So haben die Verwendung des Begriffes „klimaneutral“ und die Darstellung, womit Emissionen ausgeglichen werden, inzwischen beim Verbraucher deutlich an Attraktivität verloren. „Wir haben bereits vor rund einem Jahr die letzten Claims dieser Art aus unserer Kommunikation entfernt“, berichtet Forst. Am kritischsten sieht der Senior Legal Counsel bei Nestlé aktuell noch die sogenannte „On-Pack-Kommunikation“, aufgrund der Rechtsprechung zum Produktrückruf, etwaiger Unterlassungsansprüche – und aufgrund des zeitlichen Aspekts bei Vorlaufzeiten von sechs bis neun Monaten. Design-Relaunches seien nicht selten, in manchen Fällen mache eine Änderung der Rezeptur eine neue Kommunikation auf der Verpackung notwendig. Für den Fall, dass eine überraschende Rechtsprechung käme, würden die Verantwortlichen von Nestlé aktiv auf die Business-Partner zugehen, eine Auflistung einfordern, wo die betroffenen Claims zu finden sind und klären, wie schnell sich diese entfernen ließen. Die Richtlinien machten nun Hoffnung, dass diese Unsicherheiten künftig nicht mehr existieren.
„Im Kapitalmarktbereich haben wir eine verwirrende Informations-überflutung für Verbraucher und Investoren, die kaum praktische Relevanz
für eine effektive Aufklärung hat und teilweise sogar Juristen vor große Herausforderungen stellt.“
Dr. Yorick Ruland
Partner, Sozietät Görg
Erwartungshaltung der Zielgruppe
Laut Aussage von Peter Baehr, General Counsel Europe / EMEA bei PUMA, beschäftigt sich das Sportunternehmen schon lange intensiv mit dem Thema Sustainability. Das sei bereits unter der Ägide von Jochen Zeitz, bis 2012 Vorsitzender des Verwaltungsrats der PUMA SE, sehr stark priorisiert worden. Mit den Bestrebungen seitens der EU sei das Thema nun noch einmal ganz oben auf die Agenda gesetzt worden. So habe unter anderem die Kommunikationsabteilung eine neue Mitarbeiterin speziell für den Bereich Sustainability eingestellt. Es gibt neue Kommunikations-Guidelines, die gemeinsam mit der Rechtsabteilung entwickelt worden seien und regelmäßig Prüfungen unterzogen werden. Er sagt: „Das komplexe Regelwerk lässt sich auf das Wesentliche subsumieren, entscheidend ist immer, dass wir uns in der Außendarstellung auf konkret nachweisbare Produkteigenschaften konzentrieren und beschränken. Solche Aussagen können nicht irreführend sein.“ Ein zentraler Bereich ist ähnlich wie bei Nestlé auch bei PUMA das Labeling. Dabei geht es nicht nur um Aktivitäten von Verbraucherschutzorganisationen, sondern auch um die Tatsache, dass die zuständigen Behörden kritisch prüfen. Dann arbeiten Legal Department mit den Juristen im betroffenen Land, der Sourcing-Bereich und das Labeling Department eng zusammen, um ein mögliches Problem zu lösen. „Auch den gesamten E-Commerce-Bereich haben wir stark überarbeitet, Slogans genau unter die Lupe genommen und im Bedarfsfall geändert, so dass wir nur noch konkret nachvollziehbare Aussagen treffen und von Anfang an unmissverständlich kommunizieren”, so Baehr. Das betrifft sowohl die Produkteigenschaften als auch die Umweltaktivitäten von PUMA. Der General Counsel des Sportunternehmens spricht davon, dass Unternehmen Einflussmöglichkeiten haben und Engagement an den Tag legen können, vor allem über die Verbandsarbeit. PUMA ist Mitglied in der Federation of the European Sporting Goods Industry, kurz FESI. „Hier findet eine enge Abstimmung mit den europäischen Behörden statt und wir sind nah am Gesetzgebungsprozess. Wir haben die Möglichkeit, unseren Input zu geben und sind über die geplanten neuen Richtlinien gut informiert.“ Er selbst ist einer der Präsidenten im Deutschen Sportartikelverband und stellt fest, dass Behörden für den Input aus der Industrie dankbar sind. Im Zusammenhang mit Sustainability nicht mehr zu kommunizieren, ist für Baehr keine Option, gerade auch im Hinblick auf die Zielgruppe, die Aussagen erwarte. „Wir müssen an der Gesetzgebung dranbleiben und als Rechtsabteilung gemeinsam mit dem Management versuchen, uns entsprechend aufzustellen.“
Tatsächliches Konsumerverhalten
Letztlich ist fraglich, ob die ganze Greenwashing-Thematik und die Regularien dazu überhaupt den Kern des Problems treffen. Bei der Autobahn GmbH ist zu sehen, dass es ausschließlich auf die Erhaltung der Infrastruktur im Einklang mit Umweltaspekten geht. Im Konsumerbereich geht es in erster Linie darum, ob Verbraucher und Verbraucherinnen ihr Kaufverhalten ändern, um wirklich eine Trendwende beim Klima- und Umweltschutz zu schaffen. Es bringt wenig, wenn diese vor dem Einkauf sagen, dass sie umweltverträgliche Produkte einkaufen, am Ausgang des Supermarktes dann aber nur Produkte im Einkaufswagen haben, die diese Prämisse nicht erfüllen. Dazu meint Michael Forst von Nestlé Deutschland: „Wir sehen genau dieses ‚Say-Do-Gap‘. Auf die Frage, ist Ihnen Nachhaltigkeit wichtig, sagen 70 Prozent ‚ja‘. Auf die Frage, sind Sie bereit, mehr dafür zu bezahlen, antworten nur noch 30 Prozent mit ‚ja‘. Die Industrie würde sicher mehr Maßnahmen ergreifen, wenn Konsumenten bereit wären, mehr finanziellen Aufwand zu betreiben.“ Der Grat zwischen notwendiger und wertvoller Aufklärung einerseits und leeren und irreführenden Phrasen ist sehr schmal. Aufklärung ist unerlässlich, ohne diese wird nichts erreicht werden. Die funktioniert in erste Linie über Kommunikation. Insofern sind strenge Regeln unerlässlich, sie müssen aber noch Möglichkeiten lassen, Informationen über Aktivitäten loszuwerden.
■ Alexander Pradka