Der richtige Dreh beim Tanz mit der Behörde

Compliance ist flächendeckend eine Selbstverständlichkeit. Intrinsische Motivation und zunehmender Druck im Kleide steigender Erwartungshaltung in Politik und Gesellschaft sowie immer neuer Gesetze und Gesetzesvorhaben lassen die Investitionen in Prävention steigen. Trotzdem kommen Verstöße vor und kriminelle Handlungen sind nicht auszuschließen. Was tun, wenn schon etwas passiert ist?
vom 1. Januar 2022
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Im deutschen Recht gibt es kein Unternehmensstrafrecht. Das Verbandssanktionengesetz war der vorerst letzte Versuch, es einzuführen. Es ist möglich, dass die neue Regierungskoalition neu über das Vorhaben diskutiert, vorläufig bleibt es beim Individualstrafrecht und dem Bußgeldverfahren nach § 30 des Ordnungswidrigkeitengesetzes. Das Wirtschaftsstrafrecht hat sich stark verändert und folgt heute anderen Gepflogenheiten, als dies etwa noch vor rund zwanzig Jahren der Fall war. „Im Fokus der Behörden stand früher der Täter oder die Täterin. Das ist immer noch so, aber bereits seit einiger Zeit rücken verstärkt das Unternehmen und dessen Verantwortungspersonen in den Mittelpunkt“, berichtet Dr. Andreas Minkoff, Rechtsanwalt und Partner bei Roxin in München. „Deutschlandweit herrscht das Prinzip, Unternehmen via Aufsichtspflichtverletzungen der leitenden Personen in die Pflicht zu nehmen.“ Vor Gericht landen die wenigsten Fälle, Herrin des Bußgeldverfahrens ist die Staatsanwaltschaft. Insgesamt sind die Verfahren komplexer geworden. „Das hat verschiedene Gründe“, erklärt Dr. Frank Maurer, Vorsitzender Richter einer Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht Stuttgart, der früher auch fünf Jahre bei einer Staatsanwaltschaft mit Schwerpunkt Wirtschaftsdelikte tätig war. „Zum einen haben wir häufiger einen Auslandsbezug mit den entsprechenden gesellschaftsrechtlichen Verflechtungen. Zum anderen beschäftigen wir uns mit deutlich größeren Datenmengen. Die Digitalisierung eröffnet heute andere Kommunikationswege und deutlich mehr Speicherkapazitäten.“ Vorherrschend sind im Rahmen des Wirtschaftsstrafrechts naturgemäß die Vermögensdelikte.

 

Besondere Relevanz haben die Tatbestände des Betrugs und der Untreue. „Dazu kommen Verstöße gegen Nebengesetze, wie zum Beispiel das Geschäftsgeheimnisgesetz oder – je nach Branche – das Außenwirtschaftsgesetz oder das Wertpapierhandelsgesetz“, sagt Minkoff. „Korruptionsfälle sind entgegen weitläufiger Ansicht hingegen zurückgegangen. In dieser Hinsicht greifen die Compliancemaßnahmen immer besser.“ Daneben haben viele Fälle Berührungspunkte zum Steuerstrafrecht – aufgrund der zahlreichen Fallstricke, die das deutsche Steuerrecht mit sich bringt. Auch wenn das Ausmaß der Sachverhalte sehr unterschiedlich ist, folgen die vorgeworfenen Taten laut Minkoff nicht selten ähnlichen Prinzipien.

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„Kooperation in Kenntnis der Rechte und Pf lichten ist die oberste Maxime für Unternehmen.“

Dr. Frank Maurer, Vorsitzender Richter Wirtschaftsstrafkammer Landgericht Stuttgart

„Die richtige Reaktion nach erkannten Pf lichtverletzungen ist entscheidend. Genau hier liegt heute oftmals die Weichenstellung.“

Dr. Andreas Minkoff, Unternehmensverteidiger Roxin Kanzlei für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht

ENTSCHEIDEND: REAKTION AUF DAS FEHLVERHALTEN

 

Welche Quellen weisen auf potenzielle Gesetzesverstöße oder sogar kriminelle Machenschaften hin? Viele Auffälligkeiten ergeben sich unternehmensintern, über eine Whistleblowing- Hotline oder eine offizielle Anzeige. „Daneben gibt es Nachfragen von Mitarbeitern gegenüber Vorgesetzten, die sich unsicher sind, was bestimmte Praktiken angeht. In anderen Fällen kommen Rückfragen von Kunden. Eine weitere typische Fallgestaltung ist, dass es in einer Position einen Personalwechsel gibt und dem oder der Neuen Ungereimtheiten auffallen“, so Minkoff. Richter Dr. Frank Maurer ergänzt: „Auslöser sind Anzeigen zum Beispiel von möglicherweise benachteiligten Wettbewerbern, bei Umweltdelikten von Aktivisten. Dazu kommen Mitteilungen von Dritten wie dem Zoll – etwa bei Aufdeckung von Schwarzarbeit -, der Bundesaufsicht für Finanzen oder ausländischen Behörden, wie wir das zuletzt bei den Encrochat-Verfahren hatten.“ Im Rahmen großer Bußgeldverfahren geht es gar nicht so sehr um die Frage, wie es zur ursprünglichen Pflichtverletzung gekommen ist, sondern vielmehr, wie unmittelbar nach den ersten Hinweisen auf dieses Fehlverhalten reagiert wurde. „Diese deutlich spürbare Fokussierung auf das Reaktionsverhalten von Unternehmen nach erkannten Pflichtverletzungen hat auch damit zu tun, dass die Beteiligung von Geschäftsführung oder Vorstand tatsächlich in der Praxis nicht der dominierende Fall ist – zumindest nicht, wenn es um die Ausgangstat geht“, schildert Unternehmensverteidiger Minkoff. „Anknüpfungspunkt für die Haftbarmachung der Unternehmensverantwortlichen ist damit sehr häufig die Kenntnis von – möglicherweise dann auch fortgesetzten – Taten oder der Vorwurf, dass man Kenntnis hätte haben müssen.“ Hinsichtlich der Sanktionen deckelt 30 Abs. 2 OWiG das Bußgeld im Falle einer vorsätzlichen Straftat bei zehn Millionen Euro, bei einer fahrlässigen Begehung bei fünf Millionen Euro. Das ist aber nur der Ahndungsanteil. Teilweise exorbitante Höhen erreicht die so genannte Vermögensabschöpfung, die nach oben offen ist. „Den Strafverfolgungsbehörden steht ein sehr scharfes Schwert zur Verfügung“, sagt Richter Maurer. „Es ist der Wille des Gesetzgebers, dass dem Täter oder der Täterin und Dritten – also dem Unternehmen – aus der Tat kein Vorteil verbleibt. Die Abschöpfung folgt dabei dem Bruttoprinzip: Aufwendungen dürfen nicht in Abzug gebracht werden.“ Und: Nicht nur der konkrete Umsatz ist betroffen, sondern auch allgemeine Marktvorteile, die sich als Folge der Tat ergeben. Die Berechnung erscheint dem Außenstehenden schwierig. „Ich habe aber das Gefühl, dass die Behörden mit großem Sachverstand agieren und die unterschiedlichen Aspekte – wie auch die Selbstreinigung der Unternehmen – berücksichtigen“, betont Matthias Allmendinger, Head of Compliance Analysis Office bei Airbus Defence and Space. „Trotzdem könnte die konkrete Festlegung der Bußgeldhöhe, wie sie etwa im potenziell neuen Verbandssanktionengesetz laut Koalitionsvertrag vorgesehen ist, für einen besseren Rahmen sorgen. Rechtsklarheit und Rechtssicherheit sind immer zu befürworten.“ Er ergänzt, dass neben den finanziell messbaren Sanktionen der Reputationsschaden schwer wiegen kann. „Das hängt ein Stück weit auch von der Branche ab, davon, ob wir uns im B-to-B oder B-to-C-Umfeld bewegen und davon, inwiefern ein Betrieb auf öffentliche Vergaben angewiesen ist.“

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„Compliance hat an Bedeutung klar zugenommen. Die Umsetzung folgt aber nicht nur gesetzlichen Vorgaben und Rechtsprechung, sondern Eigenmotivation und Eigeninteresse.“

Matthias Allmendinger, Head of Compliance Analysis Office, Airbus Defence an Space

AUF DEN RICHTIGEN SCOPE KOMMT ES AN

 

Im Idealfall ist die Kenntnis über einen entsprechenden Sachverhalt zunächst einmal rein unternehmensintern. Das Wichtigste ist dann, dass der Gesetzesverstoß oder die kriminelle Handlung sofort abgestellt wird. Auch bei Airbus ist oberste Prämisse des auf rund sechzig Seiten festgeschriebenen Codes of Conduct ethisch korrektes und rechtstreues Verhalten. Hieraus folgt auch ein „Stop the breach“. „Viele Unternehmen kommen heute dann in den meisten Fällen zu dem Ergebnis, die Behörden einzuschalten und proaktiv zu agieren“, berichtet Minkoff. Der Unternehmensverteidiger wirbt um eine möglichst frühzeitige Einbindung ab dem Zeitpunkt der Kenntnis von der Pflichtverletzung. „Wir wollen gemeinsam ermitteln, ob es einen berechtigten Vorwurf einer signifikanten Pflichtverletzung gibt, wir wollen gemeinsam die Handlungspflichten bestimmen.“ Ganz entscheidend ist die Festlegung der Reichweite der Untersuchung und Aufklärung. „Wir bezeichnen das als den richtigen Scope“, so Minkoff. Die frühzeitige Kooperation mit den Behörden bietet Chancen bei der Definition eines einerseits umfassenden, andererseits effizienten Handlungspakets. Niemand möchte außerdem, dass jeder Vorfall zu einer Generaluntersuchung führt. Fällt die Scopebestimmung zu eng aus, kann die interne Aufklärung wertlos sein und die Behörde ermittelt selbst. Ziel der Kooperation ist stets, mögliche Sanktionen abzumildern. Der Zeitpunkt ist durchaus entscheidend, aber auch vergleichsweise späte Unterstützungsangebote konnen noch hilfreich sein. Selbst wenn die Staatsanwaltschaft schon mit richterlichem Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss an der Pforte steht: „Hilfeleistung bei der Suche, zeitliche Begrenzung, Effizienz kommen immer an“, bestätigt Maurer. Kooperation heißt nicht, ureigenste Rechtspositionen aufzugeben. „Wir sprechen davon, auch mit offenem Visier zu agieren und die Position der Staatsanwaltschaft nicht nur zu antizipieren, das heißt vor allem ohne Kenntnis der Erwartungshaltung der anderen Seite tätig zu sein“, verrät Minkoff.

SONDERFALL INTERNAL INVESTIGATIONS

 

Natürlich bergen staatsanwaltliche Untersuchungen spezifische Herausforderungen, meint Matthias Allmendinger von Airbus – aber er ergänzt: „Auch wenn die Staatsanwaltschaft nicht beteiligt ist, setzen wir sehr strenge Maßstäbe an unsere Untersuchungsprozesse. Wir haben selbst sehr hohe Anforderungen an unsere Investigations. Die Untersuchungen folgen unter anderem den Grundsätzen der Objektivität, Verhältnismäßigkeit und Vertraulichkeit. Das Team ist unabhängig und führt die Ermittlungen selbstständig durch, bei komplexeren und umfangreicheren Fällen würde zusätzlich externe Unterstützung dazugeholt.“ Für Strafrichter Dr. Frank Maurer sind interne Ermittlungen ein „Signal der Selbstreinigung und Aufklärung.“ Wohlwissend, dass der Auftraggeber auch steuern kann und Erkenntnisse mit Vorsicht zu genießen sein können, hat er den Eindruck, dass hier „hochspezialisierte, professionelle und objektive Units am Werk sind, deren Qualitäten als Ermittler nicht zu beanstanden sind.“ Das gesammelte Wissen trägt zur Wahrheitsfindung bei, wobei die Anforderungen nicht zu unterschätzen sind: „Sehr wichtig ist die präzise Dokumentation sowie Quellenklarheit und -wahrheit. Bei Berichten, Vermerken, Urkunden, E-Mails muss transparent dokumentiert sein, wer der Urheber ist, woher das Beweismittel kommt und der Kontext muss eindeutig sein.“ Die Praxis zeigt, dass sich Kooperation lohnen kann. Insbesondere im behördlichen Verfahren bieten sich dann im Hinblick auf Verfahrensabsprachen viele Möglichkeiten. „Viele der Bußgeldbescheide aus prominenten Großverfahren waren am Ende Resultat von Absprachen“, sagt Minkoff. „Daher folgen so gut wie nie Rechtsmittel gegen diese Entscheidungen.“

Alexander Pradka

Beitrag von Alexander Pradka

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