Frankreich hat es. Deutschland hat es. Die EU wird es voraussichtlich ab 2024 haben. Gemeint ist ein Lieferkettengesetz, das Unternehmen verpflichtet, die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutzstandards bei ihren Lieferanten und Kunden zu überwachen. Der Anwendungsbereich des 2017 in Frankreich eingeführten „Devoir de vigilance“ ist zwar weit, aber nur vage gefasst. Zudem gilt es nur für Aktiengesellschaften mit mehr als 5.000 Beschäftigten in Frankreich und 10.000 Beschäftigten weltweit. Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) verpflichtet seit dem Januar 2023 in Deutschland ansässige Unternehmen mit mindestens 3.000 Beschäftigten im Inland, den Schutz von Menschenrechten und Umweltstandards in globalen Lieferketten sicherzustellen. Ab Januar 2024 gilt dies bereits für Unternehmen mit mindestens 1.000 Mitarbeitenden im Inland. Sollte sich das EU-Parlament mit seiner am 1. Juni 2023 beschlossenen Verschärfung des Vorschlags der EU-Kommission durchsetzen, dann müssten künftig sehr viel mehr als Kapitalgesellschaften organisierte Unternehmen entsprechende Sorgfaltspflichten in der Lieferkette erfüllen. Die sogenannte Corporate Sustainability Due Diligence Directive ist eine geplante EU-Richtlinie, nach der Unternehmen Nachhaltigkeitsrisiken entlang ihrer Lieferketten identifizieren, bewerten und mindern sollen. Für sie standen sowohl das französische als auch das deutsche Lieferkettengesetz Pate. „Deutschland ist mit seinem Lieferkettengesetz vorangegangen, aber in den Augen der EU auf halber Strecke stehen geblieben“, sagt Stephan Müller, Rechtsanwalt und Partner in der Kölner Wirtschaftskanzlei Oppenhoff & Partner. Laut Entwurf des EU-Parlaments, der sich im Zuge der Trilog-Verhandlungen jedoch noch ändern kann, soll das gemeinschaftliche Lieferkettengesetz bereits für Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigen und mehr als 40 Millionen Euro Umsatz gelten. Sollte das tatsächlich in der Richtlinie so verankert und anschließend in nationales Recht überführt werden, würde das den Kreis der Verpflichteten beträchtlich ausweiten, denn viele Unternehmen in Deutschland sind mit kaum 500 bis 600 Mitarbeitern erfolgreich tätig, bisweilen sogar auf dem Weltmarkt. „Weil die meisten von ihnen als Kapitalgesellschaften organisiert sind, wird das an die EU-Richtlinie angepasste deutsche Lieferkettengesetz dann auch für sie gelten“, erläutert Müller. Das muss jedoch kein Nachteil sein. Schließlich hatten Wirtschaftsverbände nach der Verabschiedung des deutschen LkSG im Sommer 2021 geklagt, dass sie im Vergleich mit ihren europäischen Wettbewerbern künftig schlechter gestellt seien. „Es ist relativ sicher, dass die kritische Schwelle des EU-Lieferkettengesetzes unter 1.000 Mitarbeitern liegen wird, voraussichtlich bei 500 oder sogar – wie im Entwurf des EU-Parlaments – bei 250 Mitarbeitern“, erklärt Dr. Daniel Walden, Rechtsanwalt und Partner bei der Wirtschaftskanzlei Advant Beiten in München. „Das kommt im Grunde den Forderungen der deutschen Wirtschaft nach einem Level Playing Field entgegen.“ Das heißt: Wenn alle in der EU ansässigen Unternehmen mit derselben Mindest-Mitarbeiterzahl und einem bestimmten Umsatz von der Richtlinie betroffen sind, wird innerhalb der EU kein Unternehmen mehr benachteiligt.
„Schon jetzt verpflichten viele Großunternehmen ihre Lieferanten zur Mitwirkung, um die Anforderungen und Erwartungen aus dem Lieferkettengesetz zu erfüllen, weshalb das LkSG bereits eine große Wirkung entfaltet.“
Dr. Bastian Mehle
Rechtsanwalt und Salary Partner
Orth Kluth Rechtsanwälte
Größerer Schutzbereich
Doch es kommt noch besser. „Anders als beim deutschen Lieferkettengesetz, möchte das EU-Parlament den Anwendungsbereich der Richtlinie in größerem Umfang auf Unternehmen aus Drittstaaten ausweiten, sofern sie in der EU Geschäfte tätigen“, erläutert Dr. Bastian Mehle, Rechtsanwalt und Salary Partner bei der Wirtschaftskanzlei Orth Kluth in Berlin. „Diese werden insbesondere dann erfasst, wenn sie einen Jahresnettoumsatz von mehr als 150 Millionen Euro tätigen, und davon mindestens 40 Millionen Euro in der EU erwirtschaftet werden.“ Damit wird das Spielfeld auch für bloß in der EU tätige Unternehmen – ohne dabei eine Niederlassung in der EU zu haben – weiter angeglichen. Während viele Großunternehmen sowohl über eine Rechts- als auch über eine Compliance-Abteilung verfügen, ist das im Mittelstand alles andere als üblich. Das könnte es aber werden. Denn je sicherer mittelständische Unternehmen aufgrund ihres Wachstums bei Mitarbeiterzahl und Umsatz in Zukunft unter das LkSG oder die EU-Richtlinie zu fallen drohen, desto größer ist bei ihnen der Bedarf, Strukturen und Prozesse nicht nur kurzfristig für die Einhaltung des deutschen LkSG fit zu machen, sondern mittelfristig die EU-Richtlinie im Blick zu haben. „Für größere Unternehmen stellen die Anpassungen an schärfere Lieferkettengesetze in der Regel lediglich eine Erweiterung der bestehenden Aufgaben dar, für die eventuell mehr Personal benötigt wird“, sagt Bastian Mehle. „Aber die Prozesse und Zuständigkeiten im Unternehmen sind hier bereits klar geregelt.“ Für mittelständische Unternehmen sei der Aufbau von entsprechenden Compliance-Strukturen und -Prozessen einschließlich definierter Zuständigkeiten dagegen typischerweise etwas Neues. Wer 2024 noch nicht unter das deutsche LkSG fällt, hat noch etwas mehr Zeit zur Vorbereitung. Denn selbst wenn die EU-Richtlinie zum 1. Januar 2024 in Kraft tritt, haben die nationalen Gesetzgeber noch eine Frist von zwei Jahren bis zur Überführung in nationales Recht. „Schon jetzt verpflichten viele Großunternehmen ihre Lieferanten zur Mitwirkung, um die Anforderungen aus dem Lieferkettengesetz zu erfüllen“, erklärt Mehle. Deshalb entfalte das LkSG bereits heute eine über den eigentlichen Adressatenkreis hinausgehende Wirkung. Ganz ähnlich werde es mit der EU-Richtlinie sein. Deshalb komme im Grund heute kaum ein Unternehmen umhin, sich damit zu befassen. Doch nicht nur der Adressatenkreis, auch der Schutzbereich der EU-Richtlinie wird größer sein. „Neben der Einhaltung von Menschenrechten soll die EU-Richtline auch die Vermeidung von schädlichen Umweltauswirkungen in größerem Umfang als bisher umfassen“, erläutert Daniel Walden. „Zudem werden Unternehmen voraussichtlich verpflichtet, Pläne zur Erreichung der Klimaschutzziele aufzustellen.“ Schließlich hat sich die EU zum Ziel gesetzt, den CO2-Ausstoß bis 2030 zu reduzieren und bis 2050 klimaneutral zu werden.
„Es ist relativ sicher, dass die kritische Schwelle des EU-Lieferkettengesetzes unter 1.000 Mitarbeitern liegen wird, voraussichtlich bei 500 oder sogar bei 250 Mitarbeitern.“
Dr. Daniel Walden
Rechtsanwalt und Partner
Advant Beiten