Der Generationenkonflikt ist konstruiert –und die General Counsel wissen das

In großen Rechtsabteilungen können heute bis zu vier verschiedene Generationen von Beschäftigten aufeinandertreffen. Aber muss man, wie behauptet wird, die Altersstufen unterschiedlich führen? Wissenschaftler sehen das anders. Die Herausforderung bestehe darin, alle so zu führen, dass gerade die Unterschiede als Gewinn für das Team erkannt werden.
vom 7. März 2025
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Boomer lieben die starke Hand, die Generation Y möchte zu ihren Vorgesetzten aufschauen, die Twentysomethings der Gen Z wollen Chef sein anstelle des Chefs und die blutjungen Alphas lieber digital gecoacht als analog geführt werden. Seit Jahren scheinen leichtgängige Schubladen, in denen die Mitarbeiter schlicht nach Geburtsjahrgang einsortiert sind, Personalführung zu einem Kinderspiel zu machen. Die Anweisungen sind denkbar einfach, weshalb sie wohl auch so gut ankommen: Älteren Semestern möge man klare Ansagen machen, Mitarbeiter in den besten Jahren vertrauensvoll laufen lassen, Karriereambitionierte mit einer überragenden Chef-Persönlichkeit überzeugen und den Nachwuchs mit digitalen Gadgets ködern und ansonsten in WhatsApp-Gruppen sich selbst steuern lassen. Zur Untermauerung der intergenerationalen Führung fördert das Heer von selbsternannten Experten immer neue distinktive Merkmale zutage. Die Generation X (geboren zwischen 1965 und 1980) schätze unternehmerisches Denken und die unmerkliche Führung. Die Geburtsjahrgänge der Generation Y (1981 bis 1996) erwarte Führung durch Vorbildfunktion. Die Generation Z, geboren ab 1996, wünsche sich größtmögliche Sicherheit und eine ausgewogene Work-Life-Balance. Der gerade heranwachsenden Generation Alpha schließlich sei es wichtig, in Unternehmen zu arbeiten, die technologisch auf dem neuesten Stand sind. Ein digitales Arbeitsumfeld sowie Präsenz der Unternehmen in den sozialen Medien sei für diese Generation unerlässlich. Mit solch plakativen Zuschreibungen machen sich viele das Leben leichter und Berater verdienen damit gutes Geld. Nur sind sie empirisch nicht nachweisbar. Das haben amerikanische Wissenschaftler schon vor vier Jahren herausgefunden. 2023 hat Martin Schröder, Soziologieprofessor an der Universität des Saarlandes, anhand des sozio-ökonomischen Panels nachgewiesen, dass es auch bei den deutschen Altersjahrgängen keine von Generation zu Generation sauber unterscheidbaren Motive, Einstellungen und Verhaltensweisen gibt. Wie jemand zur Arbeitswelt stehe, sei keine Frage des Geburtsjahres. Vielmehr kommt es darauf an, wann man jemanden im Laufe seines Lebens befragt. Schröder: „Man kann Einstellungen von Menschen mit ihrem Alter erklären, und man kann Einstellungen von Menschen damit erklären, wann sie befragt wurden. Aber man kann Einstellungen von Menschen kaum mit deren Geburtsjahr erklären. Und insofern gibt es keine Generationen.“ Zwar denken Junge durchaus anders als Alte. Und viele von uns denken heute anders als früher. „Doch bestimmte Generationen denken nur selten systematisch anders“, fasst Schröder die Ergebnisse seiner Forschung zusammen, „wenn man sie im gleichen Alter und zum gleichen Zeitpunkt befragt.“ Selbst die Unternehmensberatung McKinsey warnte unlängst davor, einen solchen Ansatz als „Evangeliumswahrheit“ zu betrachten. „Die Generationenforschung ist zu einem überfüllten Bereich geworden“, räumte eine der ältesten Forschungsorganisationen Amerikas, das Pew Research Center, ein. „Das Feld wurde mit Inhalten überschwemmt, die oft als Forschung verkauft werden, aber eher Clickbait oder Marketingmythen sind.“

„Wie setze ich das, was ich mir theoretisch aneignen kann, in der praktischen Beratung im Unternehmen um? Da liegt der Schwerpunkt in der Führung der Jüngeren.“

Dr. Nicolaus Ehinger

Leiter Legal, Compliance & Insurance,

Salzgitter AG

Berufs- und Lebenserfahrung entscheidet

So manche Leiter von Rechtsabteilungen dürften sich bestätigt sehen. „Ich habe mich ohnehin schwergetan, das mit Gen Y und so weiter zu glauben“, sagt Dr. Nicolaus Ehinger, Leiter Legal, Compliance & Insurance bei der Salzgitter AG. Er richtet seine Führung nicht auf das Lebensalter der Mitarbeiter aus, „sondern auf ihre Berufs- und Lebenserfahrung, die natürlich mit dem Alter korreliert.“ Dass man Kolleginnen und Kollegen mit weniger Erfahrung intensiver betreuen müsse, sei klar. Zwei juristische Examina hätten sie und eine Meinung bilden könnten sie sich auch. „Was ihnen fehlt, ist Praxiserfahrung“, sagt Ehinger. „Wie setze ich das, was ich mir theoretisch aneignen kann, in der praktischen Beratung innerhalb eines Unternehmens um? Da liegt der Schwerpunkt in der Führung der Jüngeren. Nicht erzählen, wie Jura geht. Sondern wie man aus den theoretisch gewonnenen Erkenntnissen in der Praxis nutzbare Ergebnisse erzielt.“ Am Anfang müssten sich Führungskräfte nahezu täglich mit den jungen Kollegen zusammensetzen: Was hast Du auf dem Tisch, worum kümmerst du dich heute? „Als Führungskraft muss man ein Gespür entwickeln, wie lange es dauert, bis sie allein laufen können. Ein Gefühl dafür bekommt man schnell. Aber wie lange es dann wirklich dauert, das hängt von der Person ab.“ Auch Maren Haimhof, Head of HR Service Partner & Head of Strategic Projects bei thyssenkrupp, lehnt starres Schubladendenken in der Führung ab. Für sie steht die Wertschätzung des Einzelnen gleichberichtigt und gleich verpflichtend neben dem Erfolg des Teams. „Wir sind davon überzeugt, dass Mitarbeitende per se unterschiedlich sind. Unseres Erachtens ist dies keine Frage der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Generation, sondern eine Frage der Individualität, die auch generationsübergreifend gleich sein kann.“ Was bedeutet das für die Führung in generationsübergreifenden Teams? Haimhof: „Die Rollen so zu verteilen, dass die Talente, Kompetenzen und Bedürfnisse des Einzelnen berücksichtigt werden und zum Erfolg des Teams beitragen.“ Das verlange von den Führungskräften, den Einzelnen in der Gruppe zu sehen und zu fördern. „Andererseits ist es auch wichtig“, betont die Personalerin, „die unterschiedlichen Bedürfnisse und Motivationen aller stets im Blick zu haben. Nur so können starke Teams entstehen.“

Cannive

„Themen wie planbares Sozialleben und Purpose spielen heute
tendenziell eine größere Rolle. Führung und Motivation ist noch anspruchsvoller geworden.“

Dr. Klaus Cannivé

General Counsel, 

Haribo

Heterogenität der Führungsbeziehungen

Dass Führung die Balance halten soll zwischen der Förderung des Individuums und der Stärkung des Teams ist seit Anfang der 1990er-Jahre gesicherte Erkenntnis. Das ändert nichts daran, dass die Führung des einzelnen Mitarbeiters nach wie vor eine wissenschaftliche Grauzone ist. Abgesehen von Mindeststandards wie „Wertschätzung zeigen“ oder „Fordern und Fördern“ muss die Formulierung allgemeingültiger Grundsätze zwangsläufig an der Heterogenität der Führungsbeziehungen scheitern. Weil Führung aber ein Hauptbestandteil – wenn nicht sogar der wichtigste – des wirtschaftlichen Erfolgs von Unternehmen ist, hat sich die Wissenschaft daran festgebissen. Seit 15 Jahren forscht Dr. Susanne Böhlich zu Führung und Motivation von Arbeitnehmern. Ihre Kritik am XYZ-Alpha-Modell hat sich in dieser Zeit mehr und mehr verdichtet. „Es gab schon immer Widersprüche“, sagt die Professorin für Internationales Management an der IU Internationale Hochschule in Köln. „Wir packen Leute in ein und dieselbe Generation, die ganz unterschiedliche Motivationen und Bedürfnisse haben. Damit diskriminieren wir, indem wir pauschale Urteile fällen, die gerade bei den jüngeren Generationen oft negativ ausfallen.“ Warum rücken die neuen Erkenntnisse erst jetzt in den Fokus? „Wissenschaft ist ein sich ständig weiterentwickelndes Feld“, erklärt Böhlich. „Frühere Forschungen standen oft weniger umfassende Datensätze zur Verfügung. Alle aktuellen Studien zeigen, dass die Unterschiede innerhalb einer Generation größer sind als die zwischen den Generationen.“ Mit dem Wegfall der Führungsschablone sind Manager mit Personalverantwortung wieder sich selbst überlassen. Nun ja, nicht ganz. Susanne Böhlich rät zu folgendem Ansatz: „Die Leute nicht in die Generationen-Schublade einsortieren, sondern genau hinschauen: Was brauchen meine Mitarbeiter wirklich, welche Bedürfnisse und Erwartungen haben sie?“ Anhaltspunkte hierfür können Lebensphasenmodelle geben. „Wo Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt im Leben stehen, ist ausschlaggebend für Rückkopplungen in der Führung“, sagt Bernhard Schelenz, Unternehmensberater für Arbeitgeberkommunikation an der Weinstraße. „Ein 27-jähriger Mann, der gerade Vater von Zwillingen geworden ist, hat vieles gemeinsam mit einem 52-Jährigen, der in zweiter Ehe verheiratet und auch soeben Zwillinge bekommen hat. Also: zwei Generationen mit einem Altersunterschied von einem Vierteljahrhundert, die sich mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sehen: Wie bekomme ich meine Work-Life-Balance geregelt? Wie organisiere ich die Kinderbetreuung? Wie kann ich trotz Familie ein erfülltes Karriereleben führen?“ Das (Arbeits-)Leben verlaufe selten linear. Menschen könnten heute Führungsverantwortung anstreben und diese übermorgen wieder ablehnen und umgekehrt. Das verändere die Einstellungen zur Arbeit und die Bedürfnisse an die Führung, unabhängig vom Lebensalter. „Weil sich die Umstände ändern, kann sich das Mindset in die eine oder andere Richtung ändern“, sagt Schelenz. „Dann ist ein Boomer auf einmal sehr nahe dran an der Gen Z.“ Den Führungsstil aber allein auf Lebenssituationen auszurichten, sei ebenso falsch wie der intergenerationale Ansatz. „Alle wollen Wertschätzung, Sinnhaftigkeit der Arbeit, angemessene Entlohnung und Perspektivenvielfalt“, weiß der Arbeitgeberberater. Und Susanne Böhlich ergänzt die individuelle Komponente: „Der eine ist ein Teamplayer und arbeitet gern mit anderen zusammen, die andere ist ganz zufrieden, ‚ihr Ding‘ zu machen. Führungskräfte kommen nicht umhin, sich mit dem einzelnen Mitarbeiter zu beschäftigen.“ Denn nur so stoßen sie womöglich auf leistungshemmende Zielkonflikte ihrer Mitarbeiter. In der Familiengründungsphase zum Beispiel streben Menschen nach einem Höchstmaß an zeitlicher Flexibilität. Das sind aber auch die Jahre, in denen die Weichen für die Karriere gestellt werden. 

Erkennbare Tendenzen

Im Gespräch mit dem Mitarbeiter können Führungskräfte hier für Klärung sorgen, empfiehlt Dr. Klaus Cannivé vom Süßwarenhersteller Haribo in Grafschaft. „Ob Familie ein Karrierekiller ist, hängt von der persönlichen Prioritätensetzung und vielen anderen Faktoren ab“, rät der General Counsel zum Ausloten des Sachverhalts. „Ob und inwieweit ein oder beide Partner Abstriche beim Karriereweg machen müssen, steht und fällt zumeist mit den Betreuungsmöglichkeiten. Hier haben wir in Deutschland sicher noch viel Luft nach oben.“ Als Führungskraft könne man aber auch selbst etwas tun. „Das beginnt bei relativ profanen Dingen wie der zeitlichen Ansetzung von Teammeetings, der Bereitschaft, Teilzeitpositionen zu erlauben, Führung in Teilzeit zu unterstützen und dem verantwortungsvollen Umgang mit dem Thema Homeoffice.“ Über allem stehe aber die vertrauensvolle und offene Kommunikation sowie ein echtes Interesse an der Perspektive anderer. Auch wenn das intergenerationale Führungsmodell ohne wissenschaftlichen Segen zu einer Glaubenssache herabgestuft werden muss, lassen sich gewisse Veränderungen in den Einstellungen und Motiven von Mitarbeitern an der Zahl der zurückgelegten Lebensjahre ablesen. „Gewisse Tendenzen sind in jedem Fall erkennbar“, sagt Klaus Cannivé. „Zu Zeiten meines Berufseinstiegs waren die Themen ‚klassische‘ Karriereentwicklung und ‚Status‘ in den ersten Berufsjahren sicher bestimmend. Einstiegsgehalt, Partnertrack und Größe der Mandate waren dominante Faktoren.“ Dies scheine heute nicht mehr ganz so der Fall zu sein. „Themen wie planbares Sozialleben und der vielzitierte ‚Purpose‘ spielen heute tendenziell eine größere Rolle.“ Die Folge: „Führung und Motivation sind noch anspruchsvoller geworden.“ Das ist wahr. Andererseits: Hätte die Wissenschaft das intergenerationale Modell als Passepartout bestätigt, wäre Führung ja viel zu einfach.

 

Christine Demmer

Beitrag von Alexander Pradka

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