Wer sich für die juristische Ausbildung entscheidet, dem stehen grundsätzlich viele Wege offen. Zu unterscheiden ist der klassische Berufseinstieg in Justiz und Verwaltung, in einer Sozietät oder in einem Unternehmen. Dabei ist mittlerweile zu vernachlässigen der direkte Weg von der Ausbildung in die Selbstständigkeit, da das in der Praxis bei weitem nicht mehr so häufig vorkommt wie zu früheren Zeiten. Der nicht-klassische Einstieg bezieht sich auf das Verlassen des juristischen Schwerpunkts und die Aufnahme einer Tätigkeit in einem sozusagen fachfremden Bereich. Bleiben wir bei den klassischen Wegen: Optionen gibt es mittlerweile verstärkt auch für diejenigen, die nur mit dem ersten juristischen Staatsexamen in den Bewerbermarkt einsteigen sowie für diejenigen, die als Wirtschaftsjuristen nicht über den staatlichen Abschluss verfügen. Sie sind – wie der Name schon vermuten lässt – insbesondere in der Wirtschaft heute durchaus gefragt. Das Konzept dahinter sieht nicht eine Konkurrenz zur Volljuristin oder zum Volljuristen vor, sondern eine Ergänzung. Der Markt hat sich über die Jahre für sie geöffnet, beziehungsweise mehren sich die Ausbildungsoptionen, schlicht weil er zunehmend Verwendung für Menschen mit diesem Profil hat. Egal, wen der Interessierte in den klassischen Bereichen fragt: Er wird überall dort von einem Fach- und Führungskräftemangel berichtet bekommen und von einem stetig härter werdenden Konkurrenzkampf um die zur Verfügung stehenden Kandidatinnen und Kandidaten. Viele General Counsel – und Chief Compliance Officer – stöhnen stellvertretend für den Wirtschaftsbereich über ihre sehr herausfordernde Situation, bedingt aus rückläufigen Absolventenzahlen, sinkenden Budgets und steigenden Anforderungen, dank überbordender regulatorischer Initiativen auf nationaler und internationaler Ebene. Die Justiz senkt ihre Einstellungsvoraussetzungen schon seit geraumer Zeit. Dem Land Berlin genügte bereits im Jahr 2018 im ersten Staatsexamen der Abschluss mit sieben und im zweiten mit acht Punkten für das Richteramt. Vorher war eine Einstellung ohne zweimal Prädikat undenkbar. Seit August 2024 können sich Absolventen mit gesamt 14, davon im zweiten Examen mindestens 6,5 Punkten, also gerade noch befriedigend, als Staatsanwältin oder Staatsanwalt bewerben. 2022 meldete Hessen, dass angehende Richterinnen und Richter beziehungsweise Staatsanwältinnen und -anwälte aufgrund des hohen Personalbedarfs gesamt nur noch 15 statt wie bisher 16 Punkte in den Examina vorweisen müssen. Das sind nur Beispiele, aus anderen Bundesländern sind ähnliche Entwicklungen zu vernehmen. Das ist auch nicht zwingend gleichbedeutend mit einem Qualitätsverlust, jeder Juraabsolvent und jede Absolventin weiß, dass eine Note gerade in ihrem Fach aufgrund der Schwierigkeit des Abschlusses und der Prüfungsform am Ende eine zumindest bedingte Aussagekraft hat. Auch der dritte Pfeiler – die klassische Beratung – wankt ein wenig: Es kommt nicht von ungefähr, dass das Startsalär vor allem in den größeren Kanzleien ausgehend von ohnehin schon astronomisch anmutenden Summen immer mehr steigt. Für Absolventen wohlgemerkt, die studiert haben, die Praxis aber höchstens aus Praktika und der Referendarzeit kennen, also noch einiges lernen müssen. Vorbei die Zeiten, als manche dieser Sozietäten mehrere Kandidatinnen und Kandidaten quasi auf Probe eingestellt haben und nach gewisser Zeit nur noch mit den Besten unter ihnen weitergemacht haben.

„Im Rahmen von konsolidierenden Märkten und wachsenden Anforderungen ist die Durchsetzung neuer Stellen und neuer Kapazitäten mit Schwierigkeiten verbunden.“
Dr. Kirstin Gramß-Siegismund
Head of Compliance and Labor und Employment Law, BwConsulting
Absolventenzahlen gehen zurück
Ein Blick in die Statistiken unterstreicht die wachsenden Herausforderungen derer, die juristischen Nachwuchs suchen. Ende der 1990er, Anfang der 2000er Jahre füllten Juraabsolventen den Markt noch vergleichsweise gut. Eine kleine Einschränkung muss bei all den Zahlen gemacht werden – mitgedacht werden müssen diejenigen, die Wiederholungsversuche zur Notenverbesserung gemacht haben. 11.893 Absolventen des ersten Staatsexamens weist die Statista-Statistik (2025) aus, dazu kommen 10.710 Absolventen des zweiten Staatsexamens. Letztmalig die 10.000er-Marke wurde beim ersten Staatsexamen 2007 überschritten (10.696), im Falle des zweiten Staatsexamens 2002 (10.330). Für 2022 meldet Statista 8.765 erfolgreiche Abschlüsse des ersten Staatsexamens und 8.262 des zweiten. Dazu kommt, dass immer mehr Juristinnen und Juristen altersbedingt aus dem Job ausscheiden werden: die Babyboomer verlassen das Schiff und gehen an Land. Das Handelsblatt meldete schon vor vier Jahren, dass bis 2030 bundesweit rund 8.000 Richter und Staatsanwälte in den Ruhestand gehen, besonders dramatisch ist die Situation in den neuen Bundesländern. Als ob das nicht der Schwierigkeit genug wäre, kommt mit der Digitalisierung zusätzlich neue Konkurrenz auf den Plan. Für Juristinnen und Juristen, die außer ihrem Fachwissen Begeisterung für technische Entwicklungen mitbringen, ist die (Legal)-Tech-Branche eine hochinteressante Alternative. In den nächsten Jahren werden in dem Pool also eher noch mehr Konkurrenten schwimmen als weniger. Den Wandel bestätigen Unternehmensjuristen: „Die rechtlichen Anforderungen an Unternehmen steigen stetig – gleichzeitig besteht ein hoher Anspruch, bei gleichbleibenden Ressourcen ansteigenden Anforderungen gerecht zu werden“, sagt beispielsweise Dr. Kirstin Gramß-Siegismund, Head of Compliance and Labor und Employment Law bei BwConsulting in Köln. Auch Dr. Friedrich Klein, Leiter Recht bei Ferrero Germany, spricht davon, dass Rekrutierung früher einfacher war, zumindest „gefühlt“. „Das liegt sicher am Gesamt-Juristenmarkt, der derzeit wohl eher ein ‚Kandidatenmarkt‘ ist.“ Als besondere Herausforderung spricht er ein weiteres Thema an, das unmittelbare Folge aus der beschriebenen Entwicklung ist. Die Ansprüche der Bewerberinnen und Bewerber wachsen. „Kandidatinnen und Kandidaten haben klare eigene Vorstellungen, es geht natürlich um das Gehalt, aber auch um andere Aspekte wie mobiles oder flexibles Arbeiten und es ist eine Aufgabe, diese Vorstellungen mit den anderen Vorteilen, die unser Unternehmen bietet, in Einklang zu bringen.“ Grundsätzlich seien Bewerber fordernder geworden und stellten viel mehr Fragen, um herauszufinden, ob das Unternehmen überhaupt zu ihnen passt.

„Meiner Meinung nach ist eine abnehmende Risikobereitschaft festzustellen, wenn es um einen Jobwechsel geht.“
Dr. Friedrich Klein
Leiter Recht,
Ferrero Germany
Gegenseitige Anforderungen wachsen
Junge Kandidatinnen und Kandidaten, insbesondere diejenigen mit guten Examensergebnissen, wollen dabei teilweise alles auf einmal: möglichst hohe Remote Working Quoten, Flexibilität in den Arbeitszeiten, Internationalität und Dienstreisen, Weiterbildungsmöglichkeiten, Karrierechancen sowie ein attraktives und modernes Arbeitsumfeld. Das alles lässt sich nur schwer unter einen Hut bringen. Klar ist auch, trotz der Marktsituation können Unternehmen mit ihren Rechtsabteilungen nicht auf alle Wünsche eingehen. Manche potenziellen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber machen aber möglicherweise den Fehler, zu sehr eine Innensicht zu haben und zu wenig in den Markt hineinzuhören. Sie schrauben das Remote Working wieder zurück, sparen an Dienstreisen und an der Weiterbildung – und damit vielleicht an der falschen Stelle. Umgekehrt hat sich auch das Anforderungsprofil geändert. Wer heute in einer Rechtsabteilung Fuß fassen möchte, muss betriebswirtschaftliche Kenntnisse mitbringen und eine unternehmerische Denke, daneben eine gewisse Leidenschaft für die Branche. Auch strategische Fähigkeiten sind gewünscht, um die neuerdings aktive Rolle der Legal Departments bei der Entwicklung der Unternehmensstrategie mittragen zu können. Da Rechtsabteilungen zudem sehr eng an den Business Units angekoppelt sind, sind kommunikative Fähigkeiten gefragt – das meint nicht nur die sprechende Rolle, sondern auch die des Zuhörers. Ein tiefes Verständnis für die einzelnen Aufgabenbereiche und sich daraus ergebende Bedürfnisse zu entwickeln, ist unerlässlich. Dazu kommt eine Begeisterung für Digitalisierung und für Künstliche Intelligenz. Das dahinterstehende Stichwort ist letztlich die Effizienzsteigerung in der Rechtsabteilung, um sich auf wesentlichere Dinge konzentrieren zu können als die Standardaufgaben. Natürlich darf oder muss eine Kandidatin oder ein Kandidat Spezialwissen in einem der für einen Wirtschaftsbetrieb essenziellen Rechtsgebiete haben, aber dank des Aufweichens starrer Zuordnungen muss der Blick über den Tellerrand gelingen. „Vielleicht kommt es heute mehr denn je auf die Persönlichkeit an, von der wir im Bewerbungsverfahren nur einen Eindruck gewinnen können“, sagt Klein. Noten und interessante Lebensläufe seien demgegenüber weniger entscheidend. „Die Bewerber sollen uns den Eindruck vermitteln, dass sie Lust haben, in ein Unternehmen als Ganzes einzutauchen und verstehen wollen, wie wir ticken.“ Kirstin Gramß-Siegismund ist außerdem wichtig, dass neue Kolleginnen und Kollegen selbstständige Erfahrungen gesammelt haben. „Dann benötigen wir nicht mehr so viele Einarbeitungsressourcen.“
Geänderte Rekrutierungsmethoden
Geändert haben sich die Methoden des Rekrutierens, auch wenn das ein oder andere Unternehmen das nicht wahrhaben möchte und nach wie vor auf die klassische Stellenanzeige in den Printmedien setzt, auch wenn neben Tageszeitungen mit wirtschaftlichem Schwerpunkt juristische Fachmagazine dazugehören, und sich wundert, dass nur wenige darauf reagieren. Damit allein lässt sich heute nicht mehr viel erreichen. Wie so oft macht es der bunte Mix und die crossmediale Umsetzung einer Kampagne. Dazu gehören mindestens einschlägige Stellenportale wie der Beck Stellenmarkt, Talent Rocket, LTO oder auch Stepstone. Es gibt spezialisierte Personalberatungen, mit denen Rechtsabteilungen zusammenarbeiten können. Der Prozess kann hier langwieriger sein, dafür ist die Chance gegebenenfalls größer, den passenden Bewerber zu bekommen. Die Teilnahme an Messen und Veranstaltungen sowie gezieltes Marketing an Hochschulen sind weitere Wege, die aber nicht neu sind. Zumindest besteht da aber die Option, potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten schon einmal persönlich getroffen zu haben. Social Recruiting, etwa via Xing und verstärkt über LinkedIn sind moderner, stehen bei den Maßnahmen aber auch nicht so weit oben, wie mancher sich das vorstellt. Tatsächlich rücken andere Aspekte in den Vordergrund, die eine aktivere Rolle der Unternehmen selbst und ein Verständnis dafür, dass sich Arbeitgebende in großem Maße bei potenziellen neuen Mitarbeitenden bewerben müssen, voraussetzen. Dahingehend muss erst einmal das Umdenken gelingen. „Employer Branding“ lautet das passende Schlagwort. Darunter lässt sich all das subsumieren, was die Attraktivität des eigenen Unternehmens zunächst einmal tatsächlich steigert und dann im nächsten Schritt auch in der Öffentlichkeit repräsentiert – umgekehrt sollte das Verfahren nicht sein. Ein gut gemachtes Marketingvideo kann helfen, die gewünschte Zielgruppe zu adressieren, zu achten ist – und das gilt für alle anderen Maßnahmen auch – unbedingt auf Authentizität. So schlicht es klingen mag, es ist hilfreich: „Wir wenden eigentlich keine besondere Strategie an, sondern bemühen uns einfach um größtmögliche Offenheit und Transparenz, das fängt bei der Stellenausschreibung an und setzt sich in den persönlichen Begegnungen mit Kandidatinnen und Kandidaten fort“, bestätigt Friedrich Klein. Im Zusammenhang mit dem Rekrutieren neuer Fachkräfte wird ein weiterer Punkt immer wieder genannt, der genaugenommen da aber gar nicht mehr hingehört – auch wenn er im engen Kontext zum Employer-Branding steht –: die Mitarbeiterbindung. Dazu gehört wiederum ein eigenes und im Umfang wachsendes Maßnahmenpaket. Kirstin Gramß-Siegismund notiert eine Überschrift: „Ausschlaggebend für ein ‚Stay‘ sind neben persönlicher Verbundenheit und der angenehme Kollegenkreis und Freiheiten sowie das Vertrauen, die ein Unternehmen Mitarbeitenden zugesteht.“
■ Alexander Pradka