Auch Legal Counsel haben Teil an der sozialen Verantwortung des Unternehmens

ESG, kurz für Environmental, Social und Governance, hat sich zu einem Megatreiber der Wirtschaft etabliert. Regularien und eine problembewusste Öffentlichkeit drängen die Unternehmen in Richtung Nachhaltigkeit. Das „S“ steht dabei für ihre Beziehungen zu den Menschen intern wie extern – und das betrifft auch die Arbeit von Unternehmensjuristen.
vom 17. Mai 2024
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CCEP, als Abfüller für Coca Cola das größte Getränkeunternehmen Deutschlands, beschäftigt rund 6.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das sind rund 6.500 Mal soziale Verantwortung nach der Gleichung DEI = Diversity + Equity + Inclusion, die das Unternehmen nach den Worten seines Syndikusanwalts Dr. Gero Ludwig wie folgt auflöst: „Wir wollen eine Unternehmenskultur fördern, die auf Vielfalt und Inklusion setzt. So haben wir uns zum Ziel gesetzt, bis 2030 den Frauenanteil in unserer Belegschaft auf ein Drittel zu erhöhen und mindestens 45 Prozent der Managementpositionen mit Frauen zu besetzen. Den Anteil von Menschen mit Behinderungen an der Belegschaft wollen wir von aktuell bereits 7,28 Prozent bis 2030 auf mindestens zehn Prozent erhöhen.“ Verantwortlich für die Wahrnehmung der sozialen Verantwortung bei CCEP ist insbesondere der HR-Bereich People & Culture, zu der die Abteilung Labour Relations & Labour Law gehört. Deren Hauptaufgabengebiet, noch vor dem Rechtlichen, sei die Zusammenarbeit mit der Arbeitnehmervertretung und die gemeinsame Gestaltung der mitbestimmten Arbeitsbedingungen, erklärt Arbeitsrechtler Ludwig. Selbstverständlich vertritt er die Unternehmensposition, doch der soziale Ausgleich der beiderseitigen Interessen spiele eine wichtige Rolle: „Letztlich geht es um tragfähige und vertrauensvolle Beziehungen zu den Arbeitnehmervertretungen.“ Genauso interpretiert die überwältigende Mehrheit der Juristen das „S“ in ESG – nämlich fokussiert auf die eigene Belegschaft. In einer viel weiteren Auslegung, wie sie engagiert vor allem von manchen EU-Parlamentariern vertreten wird, umfasst die soziale Komponente von ESG alle Arten der menschenbezogenen Aspekte von Unternehmen mit ihren Mitarbeitern und der Gesellschaft, in denen sie tätig sind. Inbegriffen sind hier also auch die Beschäftigten von Lieferanten und Kunden sowie die Mitarbeiter von deren Lieferanten und Kunden. Nach ultraorthodoxer Auslegung würde die Kette der CCEP-Verantwortlichkeit in der einen Richtung bis zum Hilfsarbeiter am Erdöl-Förderturm – als Zulieferer des Energielieferanten – reichen und in der anderen Richtung bis zu den Kunden des Zahnarztes, der außerhalb seiner Praxis gerne Coca-Cola trinkt – in der Sprache der Bibel: bis ins letzte Glied. Das war die erklärte Zielsetzung des vom EU-Parlament entworfenen europäischen Lieferkettengesetzes. Nun kommt es in einer abgeschwächten Fassung, wobei der soziale Aspekt „S“ im Gegensatz zur Umweltpolitik („E“) und zur rechtssicheren Unternehmensführung („G“) deutlich weniger ambitiös daherkommt. Zu den unstrittigen „S“-Themen gehören die Gesundheits- und Sicherheitsbilanz des Unternehmens, seine Politik in Bezug auf Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion (DEI) sowie die Arbeitsbeziehungen zwischen Management und Arbeitnehmern. Teil der geforderten Sozialpolitik nach außen sind die Beziehungen des Unternehmens zu den Verantwortlichen der örtlichen Gemeinden sowie die Unterbindung von Zwangs- und Kinderarbeit und Umweltbeeinträchtigungen in der Lieferkette.

Dr. G Ludwig

„Der soziale Ausgleich der Interessen spielt eine wichtige Rolle. Letztlich geht es um tragfähige und vertrauensvolle Beziehungen zu den Arbeitnehmervertretungen.“

Dr. Gero Ludwig, LL.M. (UC)
Director Labour Relations & Labour Law, Syndikusrechtsanwalt – Fachanwalt für Arbeitsrecht, People & Culture, CCEP Deutschland GmbH 

Wo das “S” in ESG zu verorten ist

Üblicherweise fällt das Soziale in den Zuständigkeitsbereich der Anwälte in den Personalbereichen und nicht in den der Rechtsabteilung. Ein Muss ist das freilich nicht. „Es gibt kein Gesetz, in welcher Abteilung ESG im Unternehmen aufgehängt ist“, erklärt Kathrin Brügger, Fachanwältin für Arbeitsrecht und Partnerin bei KPMG Law in München. Man könne das Thema an Personal, an Compliance, an die Rechtsabteilung oder an einen eigens dafür geschaffenen Bereich delegieren, sagt sie, nicht ohne den warnenden Hinweis: „Für die rechtliche Umsetzung der ESG-Ziele ist die Rechtsabteilung zuständig.“ Weil die Letztverantwortung hierfür bei der Geschäftsführung liegt, wird das Management der sozialen Beziehungen manchmal auch den Public oder Investor Relations zugeordnet. Nichtsdestotrotz hat Dr. Christian Schefold, Partner im Berliner Büro der Großkanzlei Dentons, eine Präferenz für die Anbindung an HR. „Das Soziale ist perfekt eingebettet im Personalbereich“, versichert der Compliance-Experte mit langjähriger Erfahrung im Themenfeld „G“ wie Governance bei Daimler. „Denn daran haben die Unternehmen ein ureigenes Interesse. Ohne eine vernünftige Anti-Diskriminierung, ohne die Förderung von Frauen und Minderheiten stimmt die Unternehmenskultur nicht. Und dann schneiden sich die Firmen ins eigene Fleisch.“ Schefold erinnert an den Schlecker-Skandal 2012, der das Unternehmen letztlich in die Insolvenz trieb. Den Bogen zur Gegenwart schlägt er mit Verweis auf den Fachkräftemangel: „Das Soziale muss stimmen, damit das Unternehmen die richtigen Mitarbeiter gewinnt.” Auch wenn die Juristen in der Rechtsabteilung nur indirekt mit der Sozialpolitik des Unternehmens zu tun haben, sind sie nicht machtlos. „Sie können aktiv an der Implementierung und Entwicklung von unternehmensinternen Richtlinien zur Förderung der sozialen Verantwortung mitwirken“, bringt Isabel Hexel, Partnerin und Leiterin des Beratungsbereichs ESG bei Oppenhoff, die Anforderungen an die Profession mit ihren Beobachtungen in Übereinstimmung. „Dies umfasst etwa das Ausarbeiten von Ethikrichtlinien, Verhaltenskodizes sowie Compliance-Verfahren.“ Die Rechtsabteilung kann ebenfalls auf die Führungskräfte im Unternehmen einwirken, um sicherzustellen, dass diese ihren sozialen Verpflichtungen nachkommen. „Hierzu gehört neben der rechtlichen Beratung und Unterstützung auch das Organisieren von Schulungen oder Coachings speziell für Führungskräfte, um diese über die rechtlichen Anforderungen im Bereich der sozialen Verantwortung aufzuklären.“ Über Aufklärung und Orientierungshilfen hinaus reicht das Spektrum der Möglichkeiten bis hin zur Formulierung von Leitlinien und individueller Beratung. 

Isabel Hexel

„Unternehmensjuristen können aktiv an der Implementierung und Entwicklung von unternehmensinternen Richtlinien zur Förderung
der sozialen Verantwortung mitwirken.“

Isabel Hexel
Partnerin, Fachanwältin für Arbeitsrecht und Leiterin
des Beratungsbereichs ESG, Oppenhoff 

Vermeidung von Verstößen

„Wir verstehen unsere Aufgabe, die Führungskräfte arbeitsrechtlich zu beraten, immer auch so, Handlungsempfehlungen für einen fairen Umgang miteinander zu geben“, sagt Gero Ludwig. Als Ansprechpartner des Gesamtbetriebsrats bekommt er dessen Sicht direkt mit. Das bestimmt die professionelle Rolle, nämlich, so Ludwig, „über den Einzelfall hinaus die langfristige Perspektive und die Auswirkungen auf das weitere Miteinander zu sehen und diese Aspekte nachdrücklich einzubringen.“ Aufklärung und Überzeugungsarbeit richten sich auf eine bessere Zukunft. Hier und heute unmittelbar tätig werden muss eine Rechtsabteilung als Hüterin des Gesetzes, wenn Verstöße in den sozialen Beziehungen aufgedeckt werden oder wenn sich herausstellt, dass die Ausrichtung des Unternehmens noch nicht den gesetzlich vorgegebenen ESG-Standards entspricht. Dann ist das Legal Office für die Entwicklung von Strategien zur Beseitigung der Verstöße zuständig. Schließlich nehmen In-house Counsel Aufgaben der Risikoanalyse und -bewertung wahr. Das ist der Druckpunkt, an dem sie den Hebel mit der größten Erfolgswahrscheinlichkeit ansetzen können, denn beim Wort „Risiko“ werden Vorstände normalerweise sehr hellhörig. „Wenn ein General Counsel sieht, wo sich etwas im Betrieb verbessern lässt – sei es beim Ziel Equal Pay, bei der Inklusion oder auf anderen sozialen Feldern –, dann kann er oder sie mit konkreten Hinweisen, vielleicht sogar schon mit einer Strategie, an die Geschäftsleitung herantreten“, weiß Kathrin Brügger. „Die Entscheidung wird natürlich ganz oben getroffen. Und die Vergütung von Spitzenmanagern ist heute oft an die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen geknüpft. Von daher hat ein Vorstand schon ein Eigeninteresse.“ Allerdings, so ihr Rat, möge man keine Maßnahme zur Sprache bringen, die nicht durchdacht und empirisch abgesichert ist. Auch dafür bietet sich der regelmäßige Austausch mit dem Betriebsrat an. Beim Großabfüller CCEP ist dafür nicht die Rechtsabteilung oder der General Counsel zuständig, sondern die Abteilung Labour Relations & Labour Law. „In dieser Rolle sind wir erster Ansprechpartner für den Gesamtbetriebsrat“, sagt Gero Ludwig. „Wir fungieren dann auch als Bindeglied zum Business und zu der Geschäftsführung.“

Bedeutung für Arbeitnehmervertreter

Kann, sollte, darf ein General Counsel mit eigenen Vorschlägen zur Verbesserung möglicher sozialer Missstände an die Geschäftsleitung herantreten? Und mit welcher Reaktion muss er rechnen? Im Gespräch mit seinen Mandanten, sagt Christian Schefold, kämen solche Fragen hin und wieder zur Sprache: Ich weiß, dass es in der Belegschaft Unruhe gibt. Wie soll ich das ansprechen? „Wir überlegen dann, wie man das im Unternehmen adressiert. Die Rolle des externen Anwalts ist es in diesen Konstellationen, den Chefsyndikus zu beraten.“ Kritische Punkte müsse sie oder er bei der Geschäftsleitung vorbringen – aber mit äußerstem Fingerspitzengefühl. „Der Vorstand wird zuhören und idealerweise sagen: Sprechen Sie mit Ihrem Kollegen von HR. Wenn es ganz kritisch ist, wird er das Gespräch zu dritt führen.“ Und wenn der Vorstand abwiegelt, wenn er nichts davon hören will, weil ihm das Thema ein heißes Eisen dünkt? Christian Schefold nennt das Zauberwort. „Dann sollte man auf die Risiken hinweisen. ‚Bitte denken Sie an die Reputation des Unternehmens, an die Stimmung in der Belegschaft, daran, dass es Gerüchte gibt, die fast immer einen Weg nach draußen finden.‘“ Und wenn der Vorstand dann immer noch weghört? Schefold: „Dann ist der Leiter Recht zumindest seiner Beraterpflicht nachgekommen.“ Was streng juristisch genügt, aber anhaltende Bauchschmerzen verursachen kann. Ebenso, wenn beim General Counsel gehäuft Beschwerden über soziale Schieflagen ankommen. „Normalerweise landen solche Themen eher bei HR oder beim Betriebsrat“, weiß Rechtsanwalt Schefold. Aber möglicherweise haben die Beschwerdeführer dort kein Ohr gefunden. Oder sie hoffen auf das Gewicht der Position des Leiters Recht. „Wenn Eile geboten ist, sollte er den Fall mit den Kollegen von HR besprechen und dann erst zum Vorstand gehen. Andernfalls kann man den Punkt bei den Ressortabstimmungen zur Sprache bringen.“ Nun noch der schlimmste Fall: Darf ein General Counsel im Fall einer gravierenden sozialen Pflichtverletzung durch das Unternehmen, die dem Vorstand bekannt ist, der er aber dem Anschein nach nichts entgegensetzen will, auf den Aufsichtsrat zugehen? Schefold: „Das sollte man sich sehr gut überlegen. Natürlich hat man als Leiter oder Leiterin der Rechtsabteilung in der Regel einen direkten Draht zum Aufsichtsrat, schon allein wegen der Vorbereitung der Gesellschafterversammlungen. In Familienunternehmen gibt der General Counsel der Eigentümerfamilie ja auch häufig Rechtsrat. Da genießt er schon besonderes Vertrauen.“ Deshalb: „Falls es zu einer massiven Rechtsverletzung durch das Unternehmen gekommen ist oder zu kommen droht, dann muss er seinen Kontakt zum Aufsichtsrat nutzen. Zuvor aber sollte er mit dem Vorstand sprechen und ihm Gelegenheit zum Handeln geben.“ Eine derart schwierige Situation hält der Dentons-Anwalt jedoch für extrem selten: „Die sozialen Themen sind eher Sache der Arbeitnehmer und ihrer Vertreter. Wenn es nötig ist, werden die schon eskalieren.“ Was aber sehr klar zum Ausdruck bringe: „Das ‚S‘ in den ESG-Zielen gibt den Arbeitnehmervertretungen eine ganz neue Bedeutung.“ 

Christine Demmer

Beitrag von Alexander Pradka

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