Zeiterfassung: Initiativrecht des Betriebsrates?Soll in einem Unternehmen eine elektronische Zeiterfassung eingeführt werden, steht dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht zu. Spannend ist die Frage, ob dieser auch ein Initiativrecht bei der Einführung hat. Darüber hatte das Landesarbeitsgericht Hamm zu befinden.
Die Einstellung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gegenüber Zeiterfassungssystemen hat sich durchaus verändert. Die Vorstellung von einer Überwachung seitens des Arbeitgebers weicht mehr und mehr dem Gedanken, dass mithilfe eines solchen Systems beispielsweise Überstunden, die Verletzung von Pausenzeiten oder die Kappung von Arbeitszeitguthaben transparent machen – und damit verhindern lassen. Eine Studie von Groß & Cie. und dem Center for Leadership and Behaviour in Organizations im Juli 2019 hat zutage gebracht, dass sich sogar gerade die unter 30-Jährigen seltener Vertrauensarbeitszeit wünschen und klare Regelungen bevorzugen.
Sinneswandel
Das führt dazu, dass sich auch Betriebsräte anders als früher mit dem Aspekt der Einführung auseinandersetzen. In einem beachtenswerten und möglicherweise sogar wegweisenden Fall hatte unlängst der Betriebsrat eines Unternehmens eine Einigungsstelle zum Thema „Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung einer elektronischen Zeiterfassung“ eingerichtet. Zuvor hatte die Firmenführung Abstand von der ursprünglich gewollten Einführung genommen. Zu ergänzen ist, dass sie sogar schon die notwendige Hardware bestellt hatte.
§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG
Die Arbeitgeberinnen rügten nun die Zuständigkeit der Einigungsstelle. Sie wiesen darauf hin, dass bei Einführung eines technischen Systems ein Initiativrecht des Betriebsrats nicht bestehe. Die Uneinigkeit führte die Parteien zunächst vor das Arbeitsgericht und nun vor das Landesarbeitsgericht Hamm. Entscheidend bei der Beantwortung der Frage sind zwei zentrale Aspekte: zum einen die Entwicklung der Rechtsprechung, zum anderen die Vorschrift des § 87 Abs. 1 Nr. 6 des Betriebsverfassungsgesetzes – beziehungsweise der Idee dahinter.
Nur reines Abwehrrecht?
Die Arbeitgeberinnen berufen sich nämlich auf einen Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 28. November 1989. Darin heißt es, dass das Mitbestimmungsrecht des § 87 Ab. 1 Nr. 6 BetrVG ein „reines Abwehrrecht“ sei und es nicht zum Inhalt habe, der Betriebsrat könne „auch die Einführung einer technischen Kontrolleinrichtung haben“. Das sei unzutreffend – hält der Betriebsrat dagegen. Er ergänzt, dass ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch die elektronische Zeiterfassung „deutlich weniger gewichtig erweisen als die notwendige Rechtfertigung eines solchen Systems“.
Was Mitbestimmung wirklich ist
Das Landesarbeitsgericht Hamm bejaht anders als das vorinstanzliche Gericht das Initiativrecht des Betriebsrats. Es beruft sich auf den Wortlaut des Gesetzes, in dem „mitbestimmen“ und „Einführung“ kombiniert werden. „Mitbestimmung im Wortsinne beschreibt das Recht auf Mitgestaltung im Sinne gleichwertiger Verhandlungspartner“, so der Beschluss. „Diese gesetzliche Systematik wird nicht zuletzt durch den Konfliktregelungsmechanismus über das Einigungsstellenverfahren gemäß § 87 Abs. 2 BetrVG festgeschrieben.“ Im Übrigen erfolgt per Gesetz eine Aufspaltung der Mitbestimmungsrechte in solche mit oder ohne Initiativrecht nicht.
Es geht auch um das „Ob“
Im Gegenteil: Dort, wo es der Gesetzgeber für nötig erachtete, hat er im Falle einzelner Mitbestimmungsrechte ausdrückliche Formulierungen aufgenommen, wie etwa in § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG. Auch das Bundesarbeitsgericht habe 2004 ausdrücklich festgehalten, dass „die Mitbestimmung bei der Einführung einer technischen Kontrolleinrichtung ausdrücklich auch das „Ob“ der Anschaffung umfasst. 2008 lehnte es die Charakterisierung des Mitbestimmungsrechts als bloßes „Vetorecht“ ab. Bildnachweise: © IMAGO / Frank Sorge