„Müllbeutel-Fall“: Doch keine irreführende Werbung
Im vergangenen Jahr hatte das Landgericht Kiel im so genannten „Müllbeutel-Fall“ entschieden, dass die Angabe „klimaneutral“ in der Nähe zum Firmenlogo direkt auf dem Produkt selbst irreführend im Sinne des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) sei. Das OLG Schleswig Holstein sieht das anders. Die Berufung des Herstellers hatte Erfolg.
von Alexander PradkaDas Landgericht Kiel hatte entschieden, dass Verbraucherinnen und Verbraucher aufgrund der Nähe des Firmenlogos zum Aufdruck „klimaneutral“ darauf schließen, dass das Unternehmen generell klimaneutrale Produkte auf den Markt bringt. Tatsächlich vertreibt der Hersteller aber auch nicht klimaneutrale Müllbeutel. Außerdem führte das vorinstanzliche Gericht aus, dass es für Konsumenten wesentlich sei, unproblematisch Informationen darüber zu erhalten, auf welche Weise ein Betrieb die Klimaneutralität seiner Produkte erreicht. Das sei Grundlage für die Entscheidung, ob sie diese Maßnahmen für unterstützenswert halten. Die Beklagte stellt im Internet nähere Ausführungen zur Klimaneutralität beziehungsweise zu „Gold Standard Klimaschutzprojekten“ bereit.
Produktevielfalt ist normal
Das Oberlandesgericht hält die Gestaltung der Müllbeutel-Verpackung nicht für irreführend im Sinne des § 5 UWG. Die Gefahr, dass Verbraucherinnen und Verbraucher aufgrund der Verpackungsgestaltung annehmen könnten, dass hier ein Unternehmen ausschließlich klimaneutrale Produkte auf den Markt bringt, sieht der erkennende Senat nicht. Der Verkehr sei es gewohnt, dass Produkte unter derselben Kennzeichnung in verschiedenen Varianten im Regal landen und einzelne Varianten unterschiedliche Merkmale enthalten, die auf der Verpackung auch Erwähnung finden. Das gelte vor allem dann, wenn diese verschiedenen Produkte eines Herstellers nebeneinander im Regal liegen, wie es hier der Fall sei.
Klimaneutralität weckt klare Vorstellung
Die Angabe „klimaneutral“ ist laut OLG auch nicht dadurch irreführend, dass Interessenten ohne nähere Erläuterungen nicht beurteilen können, wie dieses Merkmal realisiert wird. Zwar seien für die Werbung mit Umweltschutzbegriffen und -zeichen strenge Maßstäbe anzulegen, weil diese tatsächlich großen Einfluss auf das Kaufverhalten hätten. Aber: Anders als der unscharfe Begriff der „Umweltfreundlichkeit“ enthalte der Begriff „Klimaneutralität“ eine klare und auf den Wahrheitsgehalt überprüfbare Aussage. Das OLG zieht die DIN EN ISO 14021 heran, in der es heißt, dass der Carbon Footprint null oder zumindest ausgeglichen sein muss. Entscheidend ist die Bilanz unter Berücksichtigung der erlaubten Kompensationsmaßnahmen. „Es darf davon ausgegangen werden, dass er sich in diesem Sinne im Verständnis des an Umweltaussagen interessierten Verbraucherkreis etabliert hat“, so das OLG wörtlich. Den Angaben kann Letzterer entnehmen, dass der Müllbeutel eine ausgeglichene Emissionsbilanz hat. Darin stecke keine Irreführung. Entscheidend sei die Zusicherung des Ergebnisses.
Informationspflicht verletzt?
Das Gericht prüfte außerdem, ob der Müllbeutelhersteller Informationspflichten verletzt hat. Es spricht einerseits davon, dass es keine unzumutbare Belastung darstellt, die notwendigen Informationen zur Klimaneutralität bereitzustellen. Die Daten seien auf dem Weg zur Zertifizierung als klimaneutrales Produkt ohnehin erhoben. Indes könne nicht verlangt werden, dass das Unternehmen das auch ausführlich auf der Verpackung selbst darlegt. „Lebensfremd wäre auch, die Beklagte zu verpflichten, den Müllbeuteln eine Art Beipackzettel anzuheften. Es muss genügen, auf der Verpackung den Hinweis auf eine Internetseite anzubringen, auf der sich die Erläuterungen finden“, so das OLG.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, 6 U 46/2021Bildnachweise: © IMAGO / Lobeca]]>