Europäischer Gerichtshof: Immer mehr Entscheidungen zu sensiblen Themen

1.710 Rechtssachen sind 2022 neu beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) und dem diesem nachgeordneten Gericht der Europäischen Union (Gericht) eingegangen. Das geht aus den Rechtsprechungsstatistiken 2022 hervor, die beide Häuser jetzt veröffentlicht haben. Die Zahl hat sich gegenüber dem Vorjahr (1.720) kaum verändert. In den letzten fünf Jahren lässt sich allerdings ein erheblicher struktureller Anstieg der Zahl neuer Rechtssachen, insbesondere beim EuGH, feststellen. Dieser liegt laut Erhebung bei 21 Prozent.
vom 7. März 2023
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So seien zwischen 2013 und 2017 beim EuGH durchschnittlich 693 Rechtssachen pro Jahr eingegangen, zwischen 2018 und 2022 aber schon 839, das entspreche pro Jahr einem Anstieg von 146 Rechtssachen. Beim Gericht stabilisiere sich die Zahl bei durchschnittlich 883 Rechtssachen pro Jahr, so der Report. Der Präsident des Gerichtshofes der Europäischen Union, Koen Lenaerts, betont, dass „das Unionsorgan immer öfter Entscheidungen zu sensiblen Themen erlassen hat. Diese betreffen unmittelbar die großen Fragen unserer Zeit.“ Er nennt in diesem Zusammenhang den Schutz rechtsstaatlicher Werte oder der Umwelt, den Kampf gegen Diskriminierung, den Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten, die Einhaltung der Wettbewerbsregeln durch die großen Internetunternehmen, den Schutz der Verbraucher oder die Kontrolle der Rechtmäßigkeit von restriktiven Maßnahmen.        

Verfahren werden komplexer

Erledigt haben beide Häuser im vergangenen Jahr 1.666 Rechtssachen. Das ist die zweitniedrigste Zahl der letzten fünf Jahre, bewegt sich aber einigermaßen im Bereich des Durchschnitts (1.692). Im Ergebnis sind damit 2.585 Rechtssachen anhängig, davon 1.111 beim EuGH und 1.474 beim Gericht. Auch zur Verfahrensdauer nimmt die Statistik Bezug: Immer mehr vor den EuGH gebrachte Streitigkeiten würden „sensible und komplexe Fragen“ aufwerfen, die entsprechend mehr Beratungs- und Zeitaufwand erfordern. Da aber insbesondere in Rechtsmittelverfahren häufiger durch Beschluss entschieden wurde, ist die Gesamtverfahrensdauer 2022 mit 16,4 Monaten vergleichbar mit der des Vorjahres (16,6 Monate). Die zunehmende Komplexität der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zeige sich allerdings an der etwas längeren durchschnittlichen Verfahrensdauer bei Vorabentscheidungssachen. Diese liegt aktuell bei 17,3 Monaten, 2021 hat sie noch 16,7 Monate betragen. Die meisten Vorlagen zur Vorabentscheidung stammten übrigens aus Deutschland (98). Bereits mit gehörigem Abstand folgt Italien (63), danach kommen Bulgarien (43), Spanien (41) und Polen (39).

Ukrainekrieg löst Gesundheitskrise ab

Beim Gericht wurden im vergangenen Jahr eine große Zahl von Rechtssachen anhängig gemacht, die die restriktiven Maßnahmen der EU im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg betreffen. 2021 ging es noch um zahlreiche Rechtssachen im Zusammenhang mit der Gesundheitskrise. Wie der Gerichtshof mitteilt, hat er von der durch die Verträge eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht und Ende November des vergangenen Jahres einen Antrag an den Gesetzgeber der Europäischen Union gestellt, mit dem er die Übertragung der Zuständigkeit für Vorabentscheidungssachen in bestimmten Sachgebieten und die Ausweitung des Mechanismus der vorherigen Zulassung der Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Gerichts erreichen möchte.      

 

Copyright Bild:  G. Fessy © CJUE

Beitrag von Alexander Pradka

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