Im August verhängte die Autorità Garante della Concorrenza e del Mercateo (AGCM) gegen die Volkswagen Group Italia im Zusammenhang mit dem Diesel-Software-Skandals eine Geldbuße in Höhe von fünf Millionen Euro. Basis dafür waren das Inverkehrbringen von Fahrzeugen mit der Software und zum anderen die Verbreitung von Werbung, in der betont wurde, die Fahrzeuge entsprächen den Vorgaben der Umweltschutzvorschriften. VW Italien und der Mutterkonzern fochten diese Entscheidung an. In der Zwischenzeit hatte die Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen die VW AG ein Bußgeld in Höhe von einer Milliarde Euro verhängt. Begründung: VW habe fahrlässig ihre Aufsichtspflicht verletzt und damit gegen die Bestimmungen des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten verstoßen, indem es die Software entwickelt und weltweit in 10,7 Millionen Fahrzeuge – darunter auch 700.000 in Italien – eingebaut hat. Die deutsche Entscheidung wurde mit Bezahlung des Bußgelds im Juni 2018 rechtskräftig, auf einen Rechtsbehelf verzichtete VW. Der Konzern und seine italienische Tochter beriefen sich sodann im italienischen Verfahren auf den Grundsatz ne bis in idem („nicht zweimal in derselben Sache“). Der zuständige Italienische Staatsrat hat die Angelegenheit dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt (EuGH). Der entscheidet zwar nicht in der Sache an sich, regelt aber wichtige Vorabfragen.
Verwaltungssanktionen können strafrechtlicher Natur sein
Zunächst beantwortet der EuGH in seinem Urteil die Frage positiv, ob die wegen unlauterer Geschäftspraktiken verhängten Sanktionen als Verwaltungssanktionen strafrechtlicher Natur einzuordnen sind. Die Anwendung von Art. 50 der Charta der Grundrechte beschränkt sich ausdrücklich nicht auf Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen, die im nationalen Recht als „strafrechtlich“ deklariert sind. Diese müssen lediglich „strafrechtlicher Natur“ sein. Im Hinblick auf die Art der Zuwiderhandlung ist zu prüfen, ob mit der Sanktion eine repressive Zielsetzung verfolgt wird. Der Schweregrad der drohenden Sanktion wird nach Maßgabe der in den einschlägigen Bestimmungen vorgesehenen Höchststrafe beurteilt. „Im Lichte dieser drei Kriterien“ kommt der EuGH zu dem Schluss, dass eine Geldbuße, die eine nationale Behörde gegen eine Gesellschaft wegen unlauterer Geschäftspraktiken verhängt, eine strafrechtliche Sanktion darstellt. Das gilt auch dann, wenn der Staat diese als Verwaltungssanktion einstuft.
Maßgaben für die Anwendung von ne bis in idem
Der EuGH bejaht auch, dass der Grundsatz ne bis in idem einer nationalen Regelung entgegensteht, die eine gegen eine juristische Person wegen dieser Geschäftspraktiken verhängte Geldbuße aufrechterhält, wenn diese Person wegen derselben Tat in einem anderen Mitgliedsstaat verurteilt worden ist. Das gilt auch, wenn die Verurteilung zeitlich nach der ersten Auferlegung einer Geldbuße erfolgt ist. Voraussetzung ist dann, dass diese Entscheidung rechtskräftig ist, bevor über den Rechtsbehelf in der zeitlich früheren Angelegenheit entschieden wurde. Der Grundsatz ne bis in idem schließe aus, dass bei Vorliegen einer endgültigen Entscheidung eine Strafverfolgung wegen derselben Tat eingeleitet oder aufrechterhalten wird. Die Taten müssen ferner identisch sein, eine bloße Ähnlichkeit des Sachverhalts reicht nicht. Der EuGH geht auch darauf ein, unter welchen Voraussetzungen der Grundsatz ne bis in idem Einschränkungen unterliegen kann. Das komme in Betracht, wenn die Kumulierung keine übermäßige Belastung für die betreffende Person darstellt, es muss sich anhand klarer und präziser Regeln vorhersehen lassen, bei welchen Handlungen und Unterlassungen eine Kumulierung in Frage kommt, und die betreffenden Verfahren müssen in hinreichend koordinierter Weise und in einem engen zeitlichen Zusammenhang geführt worden sein. Auf der Basis des Urteils des EuGH muss der Italienische Staatsrat jetzt seine Entscheidung treffen.
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