Der Fall um Datenlecks bei Facebook ist das erste Leitentscheidungsverfahren

Seit dem 31. Oktober 2024 kann der Bundesgerichtshof ein bei ihm anhängiges Revisionsverfahren zum Leitentscheidungsverfahren machen. Und der BGH macht davon prompt Gebrauch: Ein Verfahren im Zusammenhang mit Datenlecks bei Facebook geht als erstes Leitentscheidungsverfahren in die Geschichte ein.
vom 1. November 2024
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Zahlreiche Facebook-Nutzerinnen und -Nutzer erhoben Schadenersatzklagen gegen den Meta-Konzern. Im April 2021 hatten Unbekannte Daten von rund 500 Millionen bei dem Social-Media-Dienst Registrierten im Darknet veröffentlicht, darunter den Vor- und Nachnamen, die Mobilfunknummer und das Geschlecht. An die Daten waren sie zunächst über die damals noch existente Suchfunktion von Facebook gelangt. Selbst dann, wenn die Mobilfunknummer nicht aktiv geschaltet war, konnten Nutzer der Plattform über diese identifiziert werden. Der Sachverhalt wurde als „Scraping-Komplex“ bekannt. Das Wort leitet sich vom Englischen to scrape – zusammenkratzen – ab. Scraper generierten per Computer millionenfach Telefonnummern und ordneten diese Personen zu. Als die Suchfunktion nicht mehr zur Verfügung stand, sammelten sie weitere Daten über die Kontaktimportfunktion. Wegen dieses Datenlecks waren und sind auch in der Bundesrepublik viele Verfahren anhängig, in denen es meist um potenzielle Schadensersatzansprüche wegen eines erlittenen immateriellen Schadens geht. Die Gerichte haben dazu unterschiedliche Entscheidungen getroffen. Beim BGH lagen mehrere Revisionen vor. Einige von ihnen wurden zurückgenommen, weil sich Meta-Konzern und Facebooknutzer außergerichtlich geeinigt haben. Mitte Oktober hatte die Stiftung Warentest davon berichtet, der Betreiber zahle „Schweigegeld“, damit die Nutzer ihre Revisionen zurücknehmen – durchaus ein üblicher Vorgang in derartig gestrickten Sachverhalten.   

Flucht aus Revision hindert nicht mehr an Entscheidung

Der BGH konnte wegen der Bindung an den Willen der streitenden Parteien vor dem 31. Oktober keine Entscheidung mehr fällen. Seit der Einführung des sogenannten Leitentscheidungsverfahrens ist das nun anders und die „Flucht aus der Revision“ vermag nicht mehr die Klärung wesentlicher Rechtsfragen zu verhindern. Mit der neu geschaffenen Vorschrift des § 552b der Zivilprozessordnung (ZPO) kann der BGH ein bei ihm anhängiges Revisionsverfahren zum Leitentscheidungsverfahren bestimmen, wenn die Revision Rechtsfragen aufwirft, deren Entscheidung für eine Vielzahl von Verfahren von Bedeutung ist. Mit der Bestimmung zum Leitentscheidungsverfahren ist eine Entscheidung über die Rechtsfragen auch dann zu treffen, wenn eine inhaltliche Entscheidung über die Revision aus prozessualen Gründen nicht mehr ergehen kann. „Damit soll eine zügige höchstrichterliche Klärung trotz der Rücknahme von Revisionen aus prozesstaktischen Gründen oder aufgrund eines Vergleichs ermöglicht werden“, teilte das Gericht bei Bekanntgabe seiner Entscheidung mit.

BGH legt zu klärende Fragen fest

Der BGH hat auch die nun von ihm zu klärenden Fragen im Scraping-Komplex konkret benannt: Er wird beantworten, ob in der vom Meta-Konzern bei der Implementierung der Kontaktimportfunktion vorgenommenen Standardvoreinstellung auf “alle” ein Verstoß gegen Art. 82 Abs. 1 der Datenschutz-Grundverordnung vorliegt, ob der Verlust der Kontrolle über die mit Mobilfunknummern verknüpften Daten geeignet ist, einen immateriellen Schaden zu begründen, wie in einem solchen Fall der Schaden zu bemessen wäre und welche Anforderungen an die Substantiierung einer entsprechenden Klage zu stellen sind. Er wird außerdem Aussagen treffen zu den Fragen, ob die bloße Möglichkeit des Eintritts künftiger Schäden ausreicht, um ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO zu begründen und ob die vom Betroffenen gestellten Unterlassungsanträge dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügen.   

 

Copyright Bild: IMAGO / Rupert Oberhäuser

Beitrag von Alexander Pradka

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