Der Fall Diarra: FIFA-Regeln verstoßen gegen Unionsrecht

Das Transfersystem des Weltfußballs ist nach dem Bosman-Urteil vor knapp 30 Jahren einmal mehr in seinen Grundfesten erschüttert: Der Europäische Gerichtshof erklärte per Urteil Regelungen im Zusammenhang mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit für nicht vereinbar mit dem Unionsrecht.
vom 4. Oktober 2024
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2013 heuerte der Mittelfeldspieler Lassana Diarra, der zuvor auch schon für Real Madrid gespielt hatte, beim russischen Erstligisten Lokomotive Moskau an. Er unterschrieb bei dem Klub branchenüblich einen befristeten, aber über vier Jahre laufenden Vertrag. 2014 löste er den Vertrag allerdings bereits wegen eines Streits mit seinem Trainer wieder auf. Der internationale Gerichtshof Court of Arbitration for Sport (CAS) sah allerdings keinen triftigen Grund für die Loslösung vom Verein. Das FIFA-Reglement bezüglich Status und Transfer von Spielern (RSTS) des Weltfußballverbandes sieht für solche Fälle vor, dass der Spieler selbst und jeder Verein, der diesen nunmehr verpflichten möchte, gesamtschuldnerisch für die Zahlung einer Entschädigung an den ehemaligen Verein haften. Der CAS sanktionierte das Verhalten Diarras nach einer Beschwerde von Lokomotive mit einer Geldstrafe in Höhe von zehn Millionen Euro. Die FIFA-Regelungen sehen zudem vor, dass der aufnahmewillige Verein kann unter Umständen zusätzlich mit einer sportlichen Sanktion belastet werden – konkret heißt das, er darf für eine bestimmte Zeit keine neuen Spieler verpflichten. Der im Sommer in die 2. Bundesliga abgestiegene Traditionsverein 1. FC Köln kann ein Liedchen von den Auswirkungen singen. Die Domstädter wurden just mit solch einem Verpflichtungsverbot belegt.    

 

Klage auf Schadenersatz und Verdienstausfall

In große Schwierigkeiten bringt das FIFA-Reglement den Spieler bei der Suche nach einem neuen Verein, sprich, nach einem neuen Arbeitgeber. Lassana Diarra erfuhr das am eigenen Leib: Der belgische Erstligist SC Charleroi nahm von der Verpflichtung Diarras wegen der drohenden Konsequenzen Abstand. Erst ein Jahr später kam Diarra in Frankreich bei Olympique Marseille unter. Er verklagte die FIFA auf Schadenersatz und Verdienstausfall in Höhe von sechs Millionen Euro vor einem belgischen Gericht, das ihm aber nur rund 60.000 Euro zustand. Der Fall ging vor den Cour d’appel de Mons, dem Appellationshof im belgischen Mons. Der wiederum legte den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor. Der urteilte nun, dass die FIFA-Regeln gegen das Unionsrecht verstoßen. Zum einen sind sie geeignet, die Freizügigkeit von Profifußballern zu behindern. Sie belasten den Spieler und aufnehmende Vereine mit „erheblichen rechtlichen, unvorhersehbaren und potenziell sehr großen sowie ausgeprägten sportlichen Risiken“, so der EuGH. Diese seien geeignet, den internationalen Transfer der Spieler zu behindern. Dabei räumt das oberste europäische Gericht sogar ein, dass Beschränkungen der Freizügigkeit von Berufsfußballspielern durch das im Allgemeininteresse liegende Ziel gerechtfertigt werden, die Ordnungsmäßigkeit der Fußballwettbewerbe zwischen den Vereinen zu gewährleisten, indem ein gewisser Grad an Beständigkeit in den Teams aufrechterhalten wird. Allerdings scheinen dem EuGH die fraglichen Bestimmungen über das hinauszugehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.

 

EuGH spricht von Abwerbeverbotsvereinbarung  

Der EuGH führt aus, dass die beanstandeten Bestimmungen eine Beschränkung beziehungsweise Verhinderung des grenzüberschreitenden Wettbewerbs bezwecken. „Bestimmungen, die diese Art des Wettbewerbs in allgemeiner Weise beschränken, indem sie die Verteilung von Arbeitnehmern auf Arbeitgeber festschreiben sowie die Märkte abschotten ähneln einer Abwerbeverbotsvereinbarung“, so der EuGH in einer Mitteilung an die Presse. Im Übrigen scheinen dem Gericht die Bestimmungen nicht unerlässlich oder erforderlich zu sein. Abzuwarten ist, wie der Appellationshof in Belgien nun entscheidet. Denkbar ist in Zukunft, dass Vereine, denen die Spieler vorzeitig weglaufen, diesen gegenüber nur einen Schadensersatzanspruch haben, der im Vertrag geregelt ist. Grundsätzlich könnten die Spieler also trotz laufenden Vertrages einfacher den Verein wechseln, das hängt dann von der Höhe der Vertragsstrafe ab, auf die sich die Parteien geeinigt haben. Konsequenzen hat das auch auf die aktuelle Praxis, für vertraglich noch gebundene Spieler Ablösesummen zu zahlen. Die könnte künftig so aussehen, dass der aufnehmende Verein stattdessen die Vertragsstrafe zahlt und damit deutlich günstiger davonkommt.     

 

Copyright Bild: IMAGO / ABACAPRESS

Beitrag von Alexander Pradka

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