Bundesarbeitsgericht sieht gesetzliche Pflicht zur Stechuhr

Für viel Wirbel sorgte das Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts zum Thema Mitbestimmungsrechte eines Betriebsrats. Darin taucht die Feststellung auf, dass Arbeitgebende verpflichtet sind, ein System zur Arbeitszeiterfassung im Einsatz zu haben. Das ergebe sich aus der unionsrechtskonformen Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG).
vom 16. September 2022
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Bundesarbeitsgericht sieht gesetzliche Pflicht zur Stechuhr

Für viel Wirbel sorgte das Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts zum Thema Mitbestimmungsrechte eines Betriebsrats. Darin taucht die Feststellung auf, dass Arbeitgebende verpflichtet sind, ein System zur Arbeitszeiterfassung im Einsatz zu haben. Das ergebe sich aus der unionsrechtskonformen Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG).
von Alexander PradkaSo kann es manchmal gehen: Eigentlich wollte ein Betriebsrat per Gerichtsurteil erreichen, dass ein Arbeitgebender eine Stechuhr einführt, um damit die geleistete Arbeitszeit von Angestellten messen zu können. Zwar wehren sich Belegschaftsvertreter häufig gegen zu viele Kontrollmöglichkeiten. Die beweiskräftige Feststellung darüber, wer wie lange gearbeitet hat, kann indes durchaus Sinn machen. Auf diese Weise lassen sich künftig in einem Unternehmen Überstunden vermeiden oder reduzieren. Auch Pausenzeiten lassen sich einfacher einhalten. Das Landgericht Hamm stellte sich auf die Seite des Betriebsrats. Der Gesetzgeber habe in sozialen Angelegenheiten bewusst nicht zwischen Mitbestimmungsrechten mit Initiativrecht der Belegschaftsvertreter und solchen unterschieden, bei denen dieses nur beim Arbeitgebenden liege.
 

Unionsrechtskonforme Auslegung

Der Fall landete beim Bundesarbeitsgericht und das hat über die Klagebegehr hinausgehend Grundsätzliches angeordnet. Wenn man § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG unionsrechtskonform auslegt, ist die Arbeitszeiterfassung „ohnehin“ verpflichtend für Arbeitgebende. Damit schließt sich der Senat der Auffassung des Europäischen Gerichtshofes an. Der hatte 2019 schon entschieden, dass Unternehmen die Arbeitszeiten mittels eines elektronischen Systems erfassen müssen. In der deutschen Vorschrift heißt es an den relevanten Stellen: „Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Er hat die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. Zur Planung und Durchführung der Maßnahmen der Maßnahmen hat der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen.“
 

Kritische Bewertung der Feststellung

Bis dato war noch umstritten gewesen, ob der Spruch des Europäischen Gerichtshofes Unternehmen unmittelbar zur Einführung eines Arbeitszeiterfassungssystems bindet oder lediglich als Aufforderung zu einer konkreten gesetzlichen Regelung in den einzelnen Mitgliedsstaaten anzusehen ist. Das Bundesarbeitsgericht ist einen neuen Weg gegangen und leitet die entsprechende Pflicht aus dem vorhandenen Arbeitsschutzgesetz ab. Fast zur Randnotiz verkam im Zuge des Spruches, dass die Belegschaftsvertretung prozessrechtlich betrachtet verloren hat. Weil was schon gesetzlich bestimmt ist, nicht via Betriebsrat oder Einigungsstelle erzwungen werden kann. Die Feststellung des Bundesarbeitsgerichts stößt auf Kritik. Viele sehen in ihr eine Abkehr vom bisher gelebten Grundsatz der Vertrauensarbeitszeit. Und: Die Einführung einer Stechuhr sei in Zeiten von Workation, mobile Office und dem Streben nach mehr Flexibilität ein Anachronismus.Bildnachweise: © IMAGO / Steinach ]]>

Beitrag von Alexander Pradka

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