Die Vorschrift ist seit Anfang des Jahres 2021 in Kraft und gibt dem Bundeskartellamt ein neues Instrument zur Aufsicht über Wettbewerbsgefährdungen durch große Digitalkonzerne. Sie sieht ein zweistufiges Verfahren vor: Damit das Bundeskartellamt missbräuchliches Verhalten eines Wettbewerbers untersagen kann, muss zunächst die überragende marktübergreifende Bedeutung des Unternehmens feststehen. Diese ist dann auf fünf Jahre nach Eintritt der Bestandskraft befristet. Im Juli 2022 hatte das Bundeskartellamt nach entsprechender Prüfung für Amazon Incorporated und sämtliche mit ihr verbundenen Unternehmen diese Bedeutung festgestellt. Gegen den Beschluss hatte Amazon und eine deutsche Konzerngesellschaft Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, den Beschluss aufzuheben. Wie der BGH in seinem Beschluss mitteilt, wurde Amazon während des Verfahrens von der EU-Kommission als Gatekeeper im Sinne des Digital Market Acts (DMA) benannt. Für die von Amazon betriebenen Vermittlungsplattformen Amazon Marketplace und Amazon Advertising gelten in der EU seit dem 7. März die das Marktverhalten regelnden Vorschriften des DMA.
Beschwerde Amazons zurückgewiesen
Die Beschwerde Amazons hat keinen Erfolg. Zunächst stellt der BGH fest, dass § 19a Abs.1 GWB eine Vorschrift des nationalen Wettbewerbsrechts ist, deren Anwendung neben dem DMA zulässig ist. Außerdem habe das Bundeskartellamt zu Recht festgestellt, dass Amazon in erheblichem Umfang auf mehrseitigen Märkten im Sinne des GWB tätig ist und dem Konzern eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Die Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb setzt keine konkrete Wettbewerbsgefahr oder Wettbewerbsbeeinträchtigung voraus. Vielmehr reicht dafür das Vorliegen der strategischen und wettbewerblichen Möglichkeiten aus, deren abstraktes Gefährdungspotenzial durch die Vorschrift adressiert wird.
DMA steht Entscheidung nicht entgegen
Das Bundeskartellamt hat zutreffend festgestellt, dass Amazon über die strategischen und wettbewerblichen Potenziale verfügt, um erheblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter zu nehmen, den Wettbewerbsprozess zum eigenen Vorteil zu verfälschen sowie Marktmacht auf neue Märkte und Sektoren zu übertragen. Der BGH führt aus, dass der Amazon-Konzern auf einer Vielzahl von verschiedenen, vertikal integrierten und in vielfältiger und konglomerater Weise miteinander verbundenen Märkten tätig ist und eine marktbeherrschende Stellung auf dem deutschen Markt für Online-Marktplatzdienstleistungen für gewerbliche Händler innehat. Das Unternehmen verfüge über eine überragende Finanzkraft und einen überragenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten wie etwa Kunden- und Nutzerdaten, Daten aus dem Betrieb der Handelsplattformen und Werbeplattformen und damit verbundenen Diensten sowie aus dem Betrieb von AWS. Amazon habe als Betreiber von zahlreichen nationalen Online-Marktplätzen weltweit und in Deutschland eine Schlüsselposition für den Zugang von Einzelhändlern zu ihren Absatzmärkten und kann erheblichen Einfluss auf die Vertriebstätigkeit von Dritthändlern ausüben. Die nunmehrige Geltung der Regelungen des DMA und die während des Beschwerdeverfahrens gegenüber der Europäischen Kommission im Rahmen eines Missbrauchsverfahrens abgegebenen Zusagen von Amazon stehen der Feststellung nicht entgegen.
Rückenwind für das Bundeskartellamt
Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts, begrüßt die Entscheidung des BGH: „Wir freuen uns über die Bestätigung durch den Bundesgerichtshof. Das war die erste und damit umso bedeutendere Entscheidung des BGH zu unserem neuen Instrument zur Aufsicht über große Digitalkonzerne. Das gibt uns Rückenwind für unsere laufenden Verfahren gegen Amazon, mit denen wir sicherstellen wollen, dass Händlerinnen und Händler auf dem Amazon Marktplatz fair behandelt werden. Und dieses Urteil gibt auch Rückenwind für unsere laufenden Verfahren gegen weitere Internetkonzerne.“ Neben Amazon hat das Amt die Machtstellung im Sinne des § 19a GWB bereits für Alphabet mit Google, Meta mit Facebook sowie Apple festgestellt. Im letzten Fall steht eine Entscheidung des BGH noch aus. Zurzeit prüft das Bundeskartellamt die Position von Microsoft.
Copyright Bild: IMAGO / Arnulf Hettrich