Arbeitgeber müssen betriebliche Eingliederung auch wiederholt anbietenArbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die lange arbeitsunfähig erkrankt sind, schützt seit 2004 das betriebliche Eingliederungsmanagement vor einer Entlassung. Dieses greift, wenn Angestellte länger als sechs Wochen krankheitsbedingt fehlen. Die Parteien sollen in dem Verfahren gemeinsam nach „milderen“ Lösungen suchen und gegebenenfalls die spezifischen Arbeitsumstände für Betroffene verändern.
Wie das Bundesarbeitsgericht in Erfurt nun entschieden hat, müssen Arbeitgeber das bEM erneut anbieten, wenn ein Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres nach Abschluss eines bEM erneut für einen Zeitraum länger als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt ist. Dem entsprechenden Urteil liegt der Fall eines Produktionshelfers zugrunde, der 2017 an 40 Tagen, 2018 an 61 und 2019 an 103 Arbeitstagen krankheitsbedingt fehlte. Im März 2019 führten die Beteiligten ein Gespräch zur Durchführung eines bEM. Der Arbeitnehmer weigerte sich, Gründe für die Fehlzeiten anzugeben und den Betriebsarzt einzubeziehen. Der Versuch des bEM verlief ergebnislos, im Anschluss an das Gespräch war der Arbeitnehmer erneut an 79 Arbeitstagen arbeitsunfähig krankgeschrieben.
Soziale Rechtfertigung
Das nahm der Arbeitgeber zum Anlass, dem Produktionshelfer ordentlich mit Frist von sechs Monaten zu kündigen. Dagegen wehrte sich dieser im Wege der Kündigungsschutzklage. Nunmehr gab er auch die gesundheitlichen Hintergründe zu Protokoll: Es stellte sich heraus, dass er nicht mehr schwer heben konnte und die Zugluft in der Produktionshalle für Probleme sorgte. Mit seiner Klage machte der Arbeitnehmer geltend, dass seine Entlassung sozial nicht gerechtfertigt sei. Das Landesarbeitsgericht gab ihm Recht, dagegen wehrte sich der Arbeitgeber im Wege der Revision. Das Bundesarbeitsgericht bestätigt die Rechtsauffassung der Vorinstanz. Die Kündigung ist demnach im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt.
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Grundsätzlich müssen „angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten“ gefunden werden. Diese könnten etwa in der Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen und dem Gesundheitszustand angemessenen Arbeitsplatz liegen. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann sich darüber hinaus die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, dem Arbeitnehmer vor Kündigung zu ermöglichen, spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen. Die Beweislast für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung trägt der Arbeitgeber.
Wiederholtes bEM nötig
Laut BAG könne er sich zwar darauf berufen, dass es keine andere Beschäftigungsmöglichkeit gibt. Ist er aber im Sinne des § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zur Durchführung eines bEM verpflichtet, muss er zusätzlich den Beweis dafür antreten, dass auch dieses nicht dazu geeignet gewesen wäre, weitere Arbeitsunfähigkeitszeiten zu vermeiden. Es sei gerade Sinn dieses Verfahrens, geeignete Alternativen zu finden. Aus der gleichen Vorschrift leiten die Erfurter ab, dass ein neuerliches bEM durchzuführen ist, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres nach Abschluss des ursprünglichen bEM erneut länger als sechs Wochen – durchgängig oder wiederholt – arbeitsunfähig krankgeschrieben ist.
Wann ist bEM “beendet”?
Dabei kann zwar nicht der Arbeitgeber, wohl aber der Arbeitnehmer das bEM einseitig beenden. Seine Zustimmung für die weitere Durchführung ist Voraussetzung für den Klärungsprozess im Sinne des § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Da also sowohl in zeitlicher Hinsicht, als auch was die Beendigung des ersten Versuchs alle Bedingungen vorgelegen hätten, hätte es zwingend zu einem zweiten Angebot des bEM kommen müssen – oder der Arbeitgeber hätte zumindest darlegen und beweisen müssen, warum auch dieses zu keinem Ergebnis geführt hätte.
(BAG, 2 AZR 138/21) Bildnachweise: © Unsplash / Pickawood