In der Ausgabe 02/2022 des In-house Counsel beschäftigte ich mich an dieser Stelle unter dem Titel „Wann wird Selbstverständliches endlich Realität?“ mit der Abstimmung des EU-Rates über die Richtlinie des Europäischen Parlamentes und Rates zur Gewährleistung einer ausgewogenen Vertretung von Frauen und Männern in Führungspositionen. Die Richtlinie verfolgte das Ziel, den Frauenanteil in den Leitungsorganen börsennotierter Gesellschaften in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union wesentlich zu erhöhen. Die damals erst seit rund drei Monaten im Amt befindliche Bundesregierung hatte gerade eine zehn Jahre währende Blockadehaltung der Vorgängerregierungen aufgegeben – obwohl die Bundesrepublik seit Inkrafttreten des Führungspositionengesetzes II (FüPoG II) gar keinen Umsetzungsdruck hatte. Ich hatte damals auch schon betont, dass ich kein Freund von Quotenregelungen bin. Dies aber einzig aufgrund der Tatsache, dass es selbstverständlich sein sollte, dass Frauen und Männer die gleichen Zugangsmöglichkeiten in die höchsten Gremien eines Unternehmens haben, und dies nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich. Dafür braucht es doch kein Gesetz?
In der Zwischenzeit habe ich viele Gespräche geführt und ich komme mittlerweile zu dem Ergebnis, dass die Idee mit den gesetzlichen Quoten nicht so schlecht war und ist. Dafür, um überhaupt die Voraussetzungen zu schaffen, dass sich langfristig etwas in größerem Umfang bewegt. Um die „Mixed Boards“ Realität werden zu lassen, damit Unternehmen vom Miteinander von Frauen und Männern profitieren. Nun ist es Aufgabe eines Journalisten, einmal aufgeworfene Themen, die in einer Entwicklung begriffen sind, weiter zu beobachten. Und tatsächlich ist in die Angelegenheit Bewegung gekommen. Dieser Tage stieß ich auf eine Analyse der Russel Reynolds Associates. Die Personalberatung untersuchte die Zusammensetzung von Aufsichtsräten anhand von Daten aus Hauptversammlungen, Ankündigungen und Jahresberichten. Sie hat festgestellt, dass in diesem Jahr 55 Prozent der neu in den Aufsichtsrat eines der 40 größten DAX-Unternehmen berufenen Personen weiblichen Geschlechts sind. Zum ersten Mal in der deutschen Wirtschaftsgeschichte klettert der Frauenanteil auf fast 38 Prozent. Bemerkenswert genug, doch zu bedenken ist zusätzlich, dass immerhin auch 32 Prozent Frauen aus den betreffenden Gremien ausscheiden. Eine zweite Studie, dieses Mal vom Beratungsunternehmen EY, beschäftigt sich mit der Quote in den Vorständen in 160 DAX-Betrieben. Auch in diesen Gremien erreicht der Frauenanteil in der Bundesrepublik einen historischen Höchststand: 109 Frauen gehören jetzt den Vorständen an. Zum ersten Mal ist außerdem in der Mehrheit dieser Konzerne – nämlich in 83 von ihnen – mindestens eine Frau vertreten, in 20 sind es mindestens derer zwei. Grundsätzlich sind diese Tendenzen erfreulich und offensichtlich haben die Regelungen des FüPoG II keinen geringen Anteil an diesen positiven Effekten.
Allerdings: Der enge Zusammenhang wird noch durch etwas Anderes belegt, was die gute Stimmung wieder eintrübt. Die Geschlechtermindestbeteiligung ist seit August 2022 verpflichtend und der prozentuale Anstieg der Quoten war von 2021 auf 2022 am größten. Im Jahresvergleich darauf war schon wieder eine leichte Stagnation feststellbar. Laut Angaben von EY sieht sich in den Vorständen immer noch eine Frau sieben Männern gegenüber. Die Associates von Russel Reynolds ergänzen, dass in den Top-40-DAX-Unternehmen gerade einmal fünf Prozent der Aufsichtsratsvorsitzenden weiblich sind, 2022 waren es noch doppelt so viele. Im internationalen Vergleich hinkt Deutschland ohnehin hinterher: Der Frauenanteil in Aufsichtsräten in Frankreich, Norwegen, Italien, den Niederlanden, Großbritannien und Dänemark liegt bei über 40 Prozent. Ein weiterer ganz wesentlicher Punkt ist der nach wie vor eklatante „Gender Pay Gap“. Dabei klafft die Schere weiter auseinander, je höher wir uns in den Führungsetagen bewegen. Auch dafür mag es bald gesetzliche Regelungen geben, die aber wieder an Grenzen kommen. Es braucht zusätzlich gesellschaftlicher Veränderungen, die ein Umfeld schaffen, damit beide Geschlechter gleichermaßen verantwortungsvolle Positionen bekleiden können, wenn sie das wollen.
Ihr Alexander Pradka
Leitender Redakteur
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Alexander Pradka