Dank lockerer Leine Niemanden aus der Reihe tanzen lassen

Wie kann man hoch dezentrale Rechtseinheiten in weltweit agierenden Firmen effektiv steuern? Organisatorisch gibt es dafür verschiedene Lösungen, doch am Ende zählt die Leistung der einzelnen Unternehmensjuristen. Das sagen General Counsel, die es dank ihrer Erfahrung wissen müssen.
vom 8. Januar 2022
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Früher war nicht alles besser, aber manches einfacher. Das gilt zum Beispiel für die Organisation der Rechtsabteilung in großen, weltweit mit Produkten und Dienstleistungen prä-senten Unternehmen. Es genügte eine Rechtsabteilung, die am Hauptsitz angesiedelt war. Deren Chef hatte die Zügel fest in der Hand. Heute hingegen weist die überwältigende Mehrheit der Legal Departments eine dezentrale Struktur auf: Die Entscheidungen werden autonom im jeweiligen Land getroffen. Und wie sorgt man als Group General Counsel dafür, dass niemand aus der strategische Reihe tanzt? Fragen wir doch diejenigen, die genau dafür sorgen sollen.

 

 

Bei Qiagen, einem Anbieter von molekularen Proben- und Testtechnologien, ist Philipp von Hugo, Head of Global Legal Affairs and Compliance, für elf Unternehmensanwälte verantwortlich. Das Unternehmen ist an 35 Standorten in mehr als 25 Ländern tätig. „Die Akquisition neuer Technologien gehört zu unserem Kerngeschäft“, sagt von Hugo, der in der Zentrale in Hilden arbeitet. „Die Lizenzierung von Patenten, die Gründung von Forschungs- und Entwicklungskooperationen, Joint Ventures oder Unternehmensakquisitionen juristisch zu begleiten, ist ebenso unsere Aufgabe wie die Beratung der Fachabteilungen zur Vermeidung von Rechtsrisiken, die Einhaltung regulatorischer Vorgaben, die Beilegung von rechtlichen Auseinandersetzungen und die Verteidigung in Verfahren vor Gerichten und Behörden“, erläutert von Hugo. Dazu gehöre auch die Beratung und Schulung von Mitarbeitern im Bereich Compliance.

 

 

Das Aufgabenspektrum der Juristen ist also breit, und von Hugo hat für sein Unternehmen eine ungewöhnliche Lösung gefunden. Grundsätzlich ist die Rechtsabteilung regional auf-gestellt. Neben zwei Anwälten in Deutschland arbeitet jeweils eine Kollegin in den USA, Japan und China. Die übrigen sechs Anwälte sitzen in einem Shared Service Center in Breslau. Sie sind hauptsächlich mit der Prüfung von Kundenverträgen in den USA betraut, betreuen aber auch Lateinamerika und Europa. Dass Qiagen ein solch breites internationales Spektrum von Polen aus betreuen kann, liegt an den vielen gut ausgebildeten Talenten, die Breslau als große Universitätsstadt aufbietet. „Ich war anfangs überrascht über das breite Angebot auf dem juristischen Arbeitsmarkt“, erklärt von Hugo. „In unserem Team in Breslau haben wir unter anderem Kolle-gen mit spanischer, brasilianischer und US-amerikanischer Rechtsanwaltszulassung.“

 

 

Wer als Jurist für Qiagen arbeitet, ist gehalten, sich auf ein Fachgebiet zu spezialisieren. Trotzdem können und sollen die Mitarbeiter bei Bedarf Aufgaben in anderen Ländern und Rechtsgebieten übernehmen. „Ich führe meine Abteilung wie eine Kanzlei und behandle meine Mitarbeiter wie de-ren Partner“, sagt von Hugo. „Das bedeutet, dass sie viele Freiheiten haben, aber auch eine hohe Eigenverantwortung übernehmen.“ Die Vergütung der Inhouse Juristen ist sowohl an das Erreichen persönlicher Vorgaben wie auch der Unternehmensziele gekoppelt.


Wenngleich schnelles Wachstum erfreulich ist für ein Unternehmen, so wirft das doch organisatorische Herausforderungen auf. Diese Erfahrung macht gerade Udo Müller, Managing Counsel und Head of Legal bei McKinsey & Company. Er leitet die Rechtsabteilung für Skandinavien, die Benelux-Staaten, Deutschland und Österreich. Müller und seine Kollegen stehen am Anfang eines spannenden Projekts, mit dem die Rechtsabteilung neu aufgestellt werden soll. Das betrifft mehrere hundert Anwälte in Büros rund um den Globus. „In Gesprächen mit anderen General Counsel haben wir festgestellt, dass das schnelle Wachstum der vergangenen drei Jahre auch Herausforderungen für die Effizienz unserer internen Prozesse birgt“, sagt Müller. Und just daran wird momentan gearbeitet.

 

 

Bislang ist die Rechtsabteilung sowohl nach regionalen als auch fachlichen Kriterien gegliedert. Unter den vier Großre-gionen gibt es kleinere geografische Einheiten, die mehrere Länder umfassen. Zentrale Funktionen wie Litigation oder Procurement sind über diese regionalen Grenzen hinweg zusammengefasst. „Das Zusammenwirken von Generalisten und Spezialisten innerhalb dieser Matrixstruktur zu verbessern, ist Ziel des Projekts“, erläutert Müller. „Ob dazu auch organisatorische Veränderungen notwendig sind, zum Beispiel entlang der Reporting Lines, werden wir sehen.“

 

Generell sind die Unternehmensjuristen mit qualitativ höheren Anforderungen konfrontiert, die durch neue Geschäftsbereiche wie Digital & Analytics oder Business Building entstehen. Darüber hinaus bietet McKinsey & Company neue Vergütungsstrukturen für Klienten an, zum Beispiel Anteile statt Honorare. „All das hat zu einem erheblichen Mehraufwand in der Rechtsabteilung geführt, der nur mit neuen, qualifizierten Mitarbeitern zu bewältigen ist“, sagt Müller. Das wiederum wirkt sich unmittelbar auf Führungskräfte und Arbeitsprozesse aus. 

 

Die für solche Veränderungen notwendige Expertise dürfte bei einer so renommierten Unternehmensberatung vorhanden sein. Gemessen wird der Erfolg aber nicht auf Regional- oder Bereichslevel, sondern auf der Mitarbeiterebene. „Wir führen mindestens einmal im Jahr für jeden Mitarbeiter ein 360-Grad-Review durch und messen seinen Einfluss auf unser Ergebnis“, erklärt Müller. „Die Kriterien hängen dabei von der jeweiligen Position ab und berücksichtigen Leistung und Führungsverhalten.“ Der Managing Counsel sieht daher auch keinen Gegensatz von dezentraler Orga-nisation einer Rechtsabteilung in einem global agierenden Unternehmen und dem Ziel, ein Legal Department gut zu steuern. Die meisten Juristen sind selbstständiges Arbeiten gewohnt. Überdies weist das deutsche Rechtssystem den Syndikusrechtsanwälten alle anwaltlichen Berufsrechte und -pflichten zu. „Dazu gehört auch das Recht und die Freiheit, ohne Weisungen Dritter die internen Klienten nach bestem Wissen und Gewissen zu beraten“, sagt Müller. Die lockere Leine ist also gesetzlich vorgegeben.

Interviewpartner

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Philipp von Hugo 

ist Head of Global Legal Affairs and Compliance bei Qiagen.  

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Udo Müller 

ist Managing Counsel und Head of Legal bei McKinsey & Company. 

 

Christoph Neuschäffer

Beitrag von Elisabeth F.

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