Frau Prof. Matusche-Beckmann, Herr Prof. Jacobs, Diskussionen um die Reform der rechtswissenschaftlichen Ausbildung gibt es spätestens seit den 1970-er Jahren. Kritisiert wird unter anderem die Ausrichtung auf den Staatsdienst. Wie sehen Sie das?
Annemarie Matusche-Beckmann: Ich nehme diese Kritik nicht so gern an. Vielmehr bin ich davon überzeugt, dass wir an der Universität gerade nicht nur für den Staatsdienst ausbilden, sondern Studierende darauf vorbereiten, in allen nur denkbaren Berufen komplexe Rechtsfragen beantworten zu können. Sie erlernen das für alle Berufe wichtige juristische Handwerkszeug und Methodenwissen. Vielleicht spürt man eher im Referendariat die Ausrichtung auf den Staatsdienst.
Matthias Jacobs: Ich bin ein Fan der beiden Staatsexamina. Ich würde daran grundsätzlich nichts ändern. Die Stofffülle, die gelernt werden muss, ist mittlerweile aber viel zu groß geworden. Meines Erachtens muss hier stark reduziert werden. Außerdem sollte es möglich sein, die drei großen Rechtsgebiete Zivilrecht, Strafrecht und Öffentliches Recht in den Klausuren nacheinander abzuschichten.
Täuscht der Eindruck, oder werden Studierende in einem traditionell ohnehin eher verschulten Studiengang heute noch mehr an die Hand genommen?
Jacobs: Bei uns werden die Studierenden auf jeden Fall sehr an die Hand genommen: mit Blick auf die Studiengebühren in Höhe von 950 Euro monatlich und eine daraus folgende Erwartungshaltung auch zu Recht.
Würden Sie denn sagen, dass sich das im Vergleich zu Ihrer Studienzeit Anfang der 1990-er Jahre verändert hat?
Jacobs: Ja, ich beobachte schon, dass man genau gesagt bekommt, was erwartet wird. Es gibt Skripten, Powerpoint- Folien, Aufsatzempfehlungen und zum Teil auch Lehrvideos und digitale Skripten. In das digitale Skript binden wir Videos und Quizfragen ein sowie Verlinkungen zu Normtexten und Gerichtsentscheidungen. Mir fällt auf, dass es manchen Studierenden heute schwerfällt, Texte mit einer längeren Lesezeit als zehn bis fünfzehn Minuten zu lesen. Auch Lehrvideos, die länger als 15 Minuten dauern, sind schwierig.
Wie ist es bei Ihnen, Frau Prof. Matusche-Beckmann?
Matusche-Beckmann: Eine gute Unterstützung der Studierenden in der Anfangszeit des Studiums macht sich bezahlt. Unser „Saarbrücker Modell“, das bundesweit einmalig ist, sieht ab Tag 1 des Studiums einen festen Stundenplan und Klausuren in jedem Fach am Semesterende vor. Während des Studiums sehen die Studierenden die vielen Prüfungen oft kritisch, aber wenn man zum Beispiel in der Examensphase fragt, finden die meisten es im Rückblick gut, dass sie so von Anfang an zum kontinuierlichen Lernen angehalten wurden.
Und wie sieht es bei Ihnen aus mit Angeboten zum juristischen Arbeiten, beispielsweise zur Subsumtionstechnik, aber auch Methodik und Lerntechniken, Herr Prof. Jacobs?
Jacobs: Vor Beginn des eigentlichen Studiums findet bei uns ein zweiwöchiges Propädeutikum statt, in dem auch die Grundlagen des juristischen Arbeitens wie die Subsumtionstechnik vermittelt werden. In den ersten eineinhalb Jahren bieten wir außerdem viele Kleingruppen an, die von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geleitet werden. Hier wird an kleinen Fällen gearbeitet. Außerdem gibt es eine „Klausurenklinik“, in der individuell und gerade mit Blick auf methodische Fragen Klausuren „nachbesprochen“ werden können. In unserem Zentrum für Juristisches Lernen vermitteln wir über das ganze Studium hinweg Methodenkompetenz. Das geht von Lernmethodik über Klausur- und zur Hausarbeitstechnik bis zur Examensvorbereitung.
„Unser Saarbrücker Modell mit festem Stundenplan und Klausuren an jedem Semesterende ist bundesweit einmalig.“
Prof. Dr. Annemarie Matusche-Beckmann, Dekanin rechtswissenschaftliche Fakultät Universität des Saarlands
„Ich bin ein Fan der beiden Staatsexamina, daran würde ich nichts ändern. Die Stoffülle ist aber viel zu groß.“
Prof. Dr. Matthias Jacobs, Lehrstuhlinhaber Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht, Bucerius Law School
Ein anderes wichtiges Thema ist die Schwerpunktbereichsausbildung, die erst seit 2003 bundeseinheitlich gilt, aber dennoch viel Raum zur Gestaltung lässt. Was bieten Ihre Hochschulen an?
Annemarie Matusche-Beckmann: Bei uns an der Fakultät stehen neun attraktive Schwerpunktbereiche zur Wahl. Im Zuge der jüngsten Reform der Juristenausbildung im Saarland werden die Studierenden künftig – statt wie bisher nach sechs Semestern – die Schwerpunktbereiche bereits im dritten Studienjahr studieren. Sie können dann den universitären Teil des Examens abschließen und – hiervon befreit – in die anspruchsvolle Vorbereitung auf den staatlichen Pflichtfachteil des Examens starten.
Matthias Jacobs: Im Studium an der Bucerius Law School spielen die Schwerpunkte eine große Rolle, auch zur Profilbildung. Sie finden im dritten Studienjahr statt und sind überwiegend, aber nicht nur, wirtschaftsrechtlich ausgerichtet. In meinem Schwerpunkt, dem Arbeitsrecht, ist mir der Praxisbezug sehr wichtig, also zum Beispiel Gastvorträge von Praktikerinnen und Praktikern sowie etwa Exkursionen zum Europäischen Gerichtshof, zum Bundesarbeitsgericht und vor allem zu Unternehmen. Nach dem bisherigen Modell mussten parallel noch Scheine in den Pflichtfächern gemacht werden, aber wir stellen gerade auf ein neues Curriculum um, sodass sich die Studierenden ein Jahr lang voll auf die Schwerpunktausbildung konzentrieren können. Den Studierenden bringt das viel Spaß, und es schweißt auch zusammen.
An der Bucerius Law School erwerben die Studierenden mit dem Ziel der ersten Staatsprüfung nach rund drei Jahren Studium den akademischen Titel des Bachelor of Laws (LL.B.), an den allermeisten staatlichen Universitäten aber nicht. Wie sehen Sie das, Frau Prof. Matusche-Beckmann?
Matusche-Beckmann: Nach meiner Wahrnehmung besteht weitgehend Konsens, dass das die erste juristische Prüfung, das sogenannte Staatsexamen, mit ihren hohen Anforderungen als Grundlage für die klassischen Juristenberufe erhalten bleiben muss. Gleichwohl erscheint es mir persönlich in der heutigen Zeit – auch im Vergleich zu anderen Studiengängen – richtig, Studierenden nach drei intensiven Jahren eines äußerst anspruchsvollen Studiums einen Abschluss wie den Bachelor-Titel zu verleihen. Studierende haben so einen ersten beruflichen Abschluss „in der Tasche“ und berufliche Alternativen zum Staatsexamen: Sie können zum Beispiel einen Master draufsatteln. Ein Bachelor-Abschluss würde überdies den Druck mit Blick auf das Staatsexamen enorm senken.
Auf die erste juristische Prüfung lassen sich viele Studierende durch private Repetitorien vorbereiten. Ist das auch bei Ihnen an der Bucerius Law School so, Herr Prof. Jacobs?
Jacobs: Von Anfang an gibt es bei uns ein hochschulinternes Examensvorbereitungsprogramm. Das läuft im letzten Studienjahr nach dem Schwerpunktjahr genau ein Jahr lang und wird von den Studierenden gut angenommen. Nur wenige Studierende besuchen ein externes Repetitorium.
Wie ist es denn bei Ihnen, Frau Prof. Matusche-Beckmann?
Matusche-Beckmann: Wir bieten ein Repetitorium an und einen ganzjährigen Examensklausurenkurs. Da das Repetitorium aber nicht in der vorlesungsfreien Zeit „durchläuft“, haben wir natürlich einen Nachteil gegenüber den privaten Repetitorien. Aber auch unabhängig davon denke ich: Solange es kommerzielle Repetitoren gibt, werden sie auch besucht, denn in der Vorbereitung auf das Jura-Examen wollen die allermeisten kein Unterstützungsangebot auslassen, das Vorteile verspricht.
Inwieweit bereitet das Studium auch konkret auf den Beruf vor, zum Beispiel als Unternehmensjuristin oder -jurist?
Matusche-Beckmann: In fachlicher Hinsicht ist es das schon erwähnte Handwerkszeug, insbesondere die vermittelte Methodenlehre, die dazu befähigt, sich später in jede Rechtsmaterie schnell und zielsicher einfinden zu können. Überdies können Studierende bei uns im Beruf erforderliche „Skills“, sogenannte Schlüsselkompetenzen, erlernen wie Rhetorik, Gesprächsführung oder den Umgang mit Mandanten, Zeugen. Jacobs: Die spezielle Tätigkeit von Juristinnen und Juristen in Unternehmen ist nicht Gegenstand der universitären Ausbildung, aber die Studierenden bekommen alles vermittelt, um sich gut zu behaupten. Wir ermöglichen den Studierenden zum Beispiel die Bildung von Netzwerken und zahlreiche Kontakte zu Unternehmen, beispielsweise über Lehrbeauftragte, Praktika und die erwähnten Exkursionen und Gastvorträge. Dadurch lernen die Studierenden viele Praktikerinnen und Praktiker kennen und erhalten ein breites Bild der beruflichen Möglichkeiten.
Ganz wichtig sind Kenntnisse anderer Rechtsgebiete und Fremdsprachen. Wie sieht es da aus?
Jacobs: Unsere Studierenden verbringen nach dem zweiten Studienjahr ein Trimester im Ausland. Am Anfang des Studiums bieten wir Rechtsenglisch an, früher sogar noch etwas umfangreicher als heute. Außerdem bieten wir auch andere Sprachen an, etwa Französisch, Spanisch und Chinesisch.
Matusche-Beckmann: Rechtsterminologie bieten wir in den
Sprachen Französisch, Englisch, Griechisch und Italienisch an, und ermutigen generell die Studierenden zu einem Auslandssemester. Am Centre juridique franco-allemand können Studierende überdies parallel zum deutschen auch das französische Recht studieren und mit der Licence de Droit einen zusätzlichen Abschluss erwerben.
Und Legal Tech?
Jacobs: Das gehört nicht zum Ausbildungsstoff im Examen, deshalb spielt es in den Kernfächern im Studium keine Rolle. Es gibt bei uns aber das Bucerius Center for Legal Tech and Data Science, das sich mit Legal Technology aus rechtswissenschaftlicher Perspektive und quantitativer Rechtswissenschaft beschäftigt. Außerdem bieten wir eine Summer School an, in der sich die Studierenden in Legal Tech ausbilden lassen und ein Zertifikat erwerben können.
Matusche-Beckmann: In Saarbrücken wurde das erste juristische Institut seiner Art, das Institut für Rechtsinformatik, bereits im Jahr 1988 gegründet. Seither spielen das Recht der Digitalisierung und die Rechtsinformatik an der Fakultät eine große Rolle.
Das Interview führte Claudia Behrend