Ein europäisches Patentsystem besteht neben dem nationalen bereits seit den 1970er-Jahren. Bisher gab das europäische Patent die Möglichkeit zur individuellen Gestaltung des territorialen Schutzbereichs durch die Anmelder. Ab dem 1. Juni dieses Jahres kommt nun ein neues europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung hinzu, das „Einheitspatent“. Auf EU-Ebene gibt es damit erstmals einen einheitlichen Patentschutz samt einheitlichem Gerichtssystem, das den Anmeldern eine zusätzliche Schutzoption zu den klassischen europäischen und nationalen Patenten geben wird. Anders als beim europäischen Patent, das Schutz in bis zu 39 Vertragsstaaten des Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) ermöglicht, bietet das Einheitspatent einheitlichen Schutz nur in denjenigen EU-Mitgliedstaaten, die das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) vom 19. Februar 2013 ratifiziert haben. Bislang sind dies mit Deutschland, Frankreich, Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden und Slowenien 17 Mitgliedstaaten. Die wichtigste Neuerung betrifft die zentrale Verwaltung von Einheitspatenten durch das Europäische Patentamt (EPA): „Nationale Verfahren zur Validierung, wie wir sie vom klassischen europäischen Patent kennen, entfallen beim Einheitspatent“, unterstreicht Luis Berenguer, Sprecher des EPA. „Das EPA ist die einzige und zentrale Anlaufstelle, ein echter ‚One-Stop Shop‘, für den Patentinhaber für alle anfallenden administrativen Schritte, besonders für die Zahlung von Jahresgebühren, die in Euro erfolgt und vom Patentinhaber direkt beim Amt vorgenommen wird.“
„Bei kritischen Patenten sollte möglichst schon vorsorglich eine Rechtsbestandsrecherche in Auftrag gegeben werden, um im Falle einer Verletzungsklage schnell reagieren zu können und sich angemessen verteidigen zu können.“
Dr. Sabine Dethof,
Fachanwältin für Gewerblichen Rechtsschutz, Heuking, Kühn, Lüer, Wojtek.
Der Nichtigkeitsangriff
Auch das Übersetzungserfordernis, das von einigen Staaten für die Validierung europäischer Patente auf ihrem Staatsgebiet geltend gemacht wird, entfällt nach einer Übergangsperiode. Dadurch reduziert sich der Verwaltungsaufwand für Patentinhaber erheblich, was sich positiv auf die Gesamtkosten des Einheitspatents niederschlägt. Zudem wird das Online-Register des EPA alle Rechtsstanddaten zu Einheitspatenten enthalten – namentlich zu Lizenzen und Rechtsübergängen, und ebenso zu Gerichtsentscheidungen des Einheitlichen Patentgerichts – auch dies ist eine neue Aufgabe. Neben dem Einheitspatent ist das Europäische Patentgericht der zweite wichtige Aspekt des Einheitspatentpakets. „Das EPG ist in allen Mitgliedsstaaten des EPGÜ sowohl für Verletzungs- als auch für Nichtigkeitsklagen in Bezug auf alle Einheitspatente sowie für alle europäischen Patente grundsätzlich ausschließlich zuständig“, erläutert Dr. Sabine Dethof, Fachanwältin für Gewerblichen Rechtsschutz in der Kanzlei Heuking, Kühn, Lüer, Wojtek in Düsseldorf. Jedoch kann nach Art. 83 (1) EPGÜ für EP-Patente während einer Übergangszeit von sieben Jahren beantragt werden, die Zuständigkeit des EPG auszuschließen; also den„Opt-Out“ zu erklären. Nicht zuständig ist das EPG hingegen für nationale Patente, Patentvindikationsklagen, Vertragsstreitigkeiten.
Über das EPG haben Patentinhaber die Möglichkeit, ihre Erfindung europaweit mit einem einzigen Verfahren durchzusetzen. „In Nichtigkeitsangelegenheiten ist dies ein erheblicher Vorteil gegenüber der bisherigen Situation, die eine Vielzahl paralleler solcher Verfahren vor nationalen Patentgerichten beinhaltet, die oftmals zu unterschiedlichen Ergebnissen führen“, so Berenguer. „Der Nichtigkeitsangriff kann dabei auch als Widerklage im Verletzungsverfahren geltend gemacht werden“, so Dethof. „Dies ist vor allem im Vergleich zu deutschen Verletzungsverfahren aus DE- oder EP-Patenten ein großer Unterschied. Bei Verletzungsverfahren vor deutschen Gerichten kann der Rechtsbestand nicht im Verletzungsverfahren angriffen werden, sondern nur mit einer gesonderten Nichtigkeitsklage beim Bundespatentgericht.“
William Cosnowski, Jr.,
Leitender Syndikus Bereich Geistiges Eigentum (IP), ZF Group.
Verfahren vor dem EPG
Die erste Instanz des EPG ist in drei verschiedene Kammertypen unterteilt. Es gibt die Lokalkammern (davon vier in Deutschland) und die Regionalkammern (zuständig für mehr als ein Land, bislang nur in Stockholm geplant) sowie die Zentralkammer (mit Sitz in Paris und einer Abteilung in München). Das Berufungsgericht befindet sich in Luxemburg. Auf Seiten der Unternehmen ergeben sich einige wichtige Veränderungen. „Für die Erfinder beziehungsweise Patentanmelder wird der Zugang zu breitflächigem Patentschutz in Europa verfahrensmäßig deutlich einfacher, attraktiver und finanziell erheblich günstiger, vor allem, was die Aufrechterhaltung des Patents anbelangt“, unterstreicht Berenguer. So belaufen sich die Kosten für die Aufrechterhaltung eines Einheitspatents in den ersten zehn Jahren – der durchschnittlichen Lebensdauer eines europäischen Patents – auf insgesamt weniger als 5.000 Euro – ein Mehrfaches geringer als die Kosten für ein entsprechendes klassisches europäisches Patent, das in denselben Staaten validiert wird. Insgesamt ließen sich im Vergleich zur bisherigen Situation 70 Prozent der Gesamtkosten einsparen. „Beim Einheitspatent bekommt man Patentschutz in 17 Länder zum Preis von vier Ländern beim EP-Patent“, erläutert Dethof. Dies dürfte KMU, Universitäten und Forschungszentren den Zugang zum europäischen Markt erleichtern und laut einer Studie des EPA zum Entstehen eines barrierefreien europäischen Technologiemarktes und zu mehr ausländischen Direktinvestitionen sowie einer beschleunigten Verbreitung neuer Technologien innerhalb Europas beitragen. Tendenziell teurer dürfte nach Einschätzung von Dethof hingegen das Verletzungsverfahren vor dem EPG im Vergleich zu dem vor deutschen Gerichten werden. Es sei dafür aber auch effizienter.
Wichtig ist, dass Einheitspatente eine zusätzliche Schutzoption für den Anmelder zu den klassischen europäischen und den nationalen Patenten bieten und diese nicht ersetzen. „So ist es für Unternehmen auch möglich, die verschiedenen Schutzrechte strategisch miteinander zu kombinieren, etwa um Patentschutz in einer Vielzahl von Mitgliedstaaten zu erlangen, da das Einheitspatent vorerst nur für 17 EU-Mitgliedstaaten gelten wird“, erläutert Berenguer. Was aber sollte künftig konkret beachtet werden? „Als Pateninhaber müssen Unternehmen entscheiden, ob sie ihre bereits erteilten EP-Patente durch eine Opt-Out Erklärung der Zuständigkeit des EPG entziehen wollen“, erläutert Dethof. „Auf der potenziellen Verletzerseite ist die Vorbereitung auf eventuelle Verfahren essenziell. Für Beklagte ist durch die kurzen Fristen der Zeitdruck insbesondere für den Rechtsbestandsangriff sehr hoch, Verfahren vor dem EPG verlangen eine schnelle Reaktion.
Freedom-to-Operate-Analyse
Auch die Patentsituation müssen Unternehmen künftig noch besser im Blick haben. Dazu gehöre, die Patentanmeldungen von Wettbewerbern zu überwachen und für neue Produkte Freedom-to-Operate Analysen durchzuführen. „Bei kritischen Patenten sollte möglichst schon vorsorglich eine Rechtsbestandsrecherche in Auftrag gegeben werden, um im Falle einer Verletzungsklage schnell reagieren zu können und sich angemessen verteidigen zu können“, rät Dethof. Möchte der Patentinhaber sein Einheitspatent durchsetzen, muss er entscheiden, vor welcher Lokal- oder Regionalkammer er die Verletzungsklage erhebt und eventuell auch in welcher Verfahrenssprache.
In Bezug auf das neue Regime gibt es naturgemäß auch noch einige Unklarheiten vor allem hinsichtlich der Rechtsprechung. „Da die Richter und Richterinnen des EPG nicht an die bisherige Rechtsprechung der nationalen Gerichte gebunden sind, lassen sich zu einzelnen Rechtsfragen noch keine Vorhersagen treffen“, sagt Dethof. Hierin liege aber auch eine Chance: „Es gibt wieder neuen Spielraum, den Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen vor allem in der Anfangszeit kreativ nutzen können um die Rechtsprechung des EPG mitzugestalten.“ So ist beispielsweise noch unklar, ob die uns bekannten Beweismittel genügen, etwa bei Vorgängen im Internet. „In Deutschland hat bislang in der Regel ein bloßer Screenshot der entsprechenden Internetseite genügt“, berichtet Dethof. Es sei durchaus möglich, dass die Beweisanforderungen beim EPG höher und formaler werden, wie man es schon aus dem Ausland kennt. „Hier sind Kanzleien im Vorteil, die entsprechende Tools nutzen, beispielsweise den Anbieter ‚Netzbeweis‘.“ Patentanmeldungen in Deutschland kommen überwiegend aus führenden Unternehmen in der Automobil- und Elektroindustrie sowie dem Maschinenbau. Mit knapp 4.000 Anmeldungen reichte im Jahr 2022 nach Erhebungen des Bundesamts für Statistik kein Unternehmen in Deutschland so viele Patente ein, wie Robert Bosch. Hier stößt das neue Regime insgesamt auf Zustimmung: „Bosch sieht es als globales Technologieunternehmen grundsätzlich positiv, wenn sich der gesetzliche Rahmen für den Patentschutz weiterentwickelt“, sagt Peter Svejkovsky, Leiter Intellectual Property. „Mit Inkrafttreten des erweiterten Patentschutzes in der EU erwarten wir eine Stärkung der Innovationtätigkeit in Europa. Vor allem das neu etablierte Patentgericht erleichtert vielen Patentinhabern die Durchsetzung von rechtlichen Ansprüchen. Zugleich ist es ein wichtiger Schritt, um das Patentrecht in Europa zu harmonisieren.“ Ähnlich ist es bei ZF Friedrichshafen, das nach BMW mit knapp 1.400 eingereichten Patentanmeldungen im vergangenen Jahr an dritter Stelle lag. Begrüßenswert sei beispielsweise die vereinfachte Antragstellung für viele Staaten Europas, da das Europäische Patentamt der einzige Ansprechpartner ist, und die Kommunikation mit den nationalen Patentämtern reduziert wird, was zu Kosteneinsparungen führen wird. Zunächst sei es für die Übergangszeit entscheidend, diejenigen EP-Patente der ZF Group zu identifizieren, für welche ein Opt-Out erklärt werden soll. „Insbesondere die Vulnerabilität und die strategische Relevanz des jeweiligen Patents ist für die Entscheidung relevant“, so William Cosnowski, Jr., Chief Intellectual Property (IP) Counsel und Head of Intellectual Property bei der ZF Gruppe.
Vorsicht Patent-Trolle
Die Vielzahl der angemeldeten Patente der ZF Group werde allerdings bisher in weniger als vier europäischen Ländern angemeldet, weshalb für diese Patente das bekannte Europäische Patent (“Bündel nationaler Patente”) die kostengünstigere Alternative bleibe. „Dies spielt insbesondere in der krisengebeutelten Automobilindustrie eine wesentliche Rolle“, so Cosnowski weiter. Das Einheitspatent erscheint indes attraktiv für innovative Produkte der ZF Group im Bereich künstliche Intelligenz, Software dominierte Produkte und Vernetzung, da keine physischen Grenzen für diese Produkte bestehen und durch das Einheitspatent die Möglichkeit geboten wird, diese Innovationen in vielen Ländern kostenreduziert zu schützen. Auch eine Durchsetzung der entstandenen Patentrechte werde hierdurch vereinfacht. Eine attraktive, neue Schutzstrategie könne sich durch den „Wegfall des Doppelpatentierungsverbots“ ergeben, wobei dem Anmelder eine Kombination von Einheitspatent mit einem nationalen Patent mit identischem Schutzumfang und gleichem Zeitrang ermöglicht wird. „Dieser Doppelschutz kann im Falle eines Rechtsstreits Vorteile bieten. Diese Option wird – nicht zuletzt aufgrund der zusätzlichen Kosten – jedoch nur für einzelne Schutzrechte angedacht“, so Cosnowski. Vom Einheitspatent als homogenisierte und potenziell kosteneffiziente Ergänzung zum bestehenden System profitieren insbesondere Unternehmen, die europaweit vertreiben beziehungsweise produzieren, da das Anmeldeverfahren und die Rechtsdurchsetzung vereinfacht werden. „Der Schutzbereich des Einheitspatents würde sich vergrößern, wenn die Anzahl von Mitgliedsstaaten wachsen würde, insbesondere Großbritannien und Spanien sind als große Wirtschaftsstandorte für die Automobilindustrie interessant“, so Cosnowski. Inwiefern die Zukunftsfähigkeit und Innovationskraft in Deutschland und Europa von dem EP und dem EPG profitieren, könne zum jetzigen Zeitpunkt, vor Einführung des neuen Systems noch nicht abschließend beurteilt werden. „Es erscheint naheliegend, dass insbesondere Firmen, die ihre Produkte direkt an Endkunden – also B2C – vertreiben, Vorteile aus der Einführung des Einheitspatents ziehen werden“, erwartet Cosnowski. „Bei Firmen, die in einer klar strukturierten Vertriebskette, – also B2B – eingebunden sind, mag sich die Frage stellen, in welchen Fällen sie einen derart großen territorialen Schutzbereich, wie ihn das Einheitspatent bietet, tatsächlich benötigen. Die Erfahrung zeigt, dass ein hoher Anteil Europäischer Patente – zumindest bislang – nur in ein bis drei Ländern validiert wird.“ Positiv sei, dass es potenziellen Patentverletzern erschwert werde, Patentrechte zu umschiffen, sofern sie bisher in Ländern produziert haben, in welchen der Patentinhaber keinen Patentschutz erlangt hat. Es bestehe jedoch auch die Befürchtung, dass nicht produzierende Firmen beziehungsweise Patentverwerter – auch Patent-Trolle genannt – die neue Situation ausnutzen könnten, um ihre Ansprüche leichter und schneller für einen wesentlich größeren Teil des europäischen Gebietes geltend zu machen. Durch das Einheitspatent könnten von den Patentinhabern nun andererseits auch Länder mit einem Patentschutz bedacht werden, die – aus Kostengründen – im herkömmlichen europäischen Patentsystem nicht zu den üblichen Schutzländern gezählt wurden.
Claudia Behrend
Der Verfahrensablauf
Der Verfahrensablauf gliedert sich in schriftliches Verfahren, Zwischenverfahren sowie mündliches Verfahren und ist relativ strikt vorgegeben. „Im schriftlichen Verfahren muss der Beklagten innerhalb von drei Monaten nach Klagezustellung auf die Klage erwidern und gegebenenfalls Nichtigkeitswiderklage erheben“, sagt Dr. Sabine Dethof, Fachanwältin für Gewerblichen Rechtsschutz in der Kanzlei Heuking, Kühn, Lüer, Wojtek in Düsseldorf. „Der Kläger hat dann wieder zwei Monate zur Erwiderung Zeit. Anschließend kann der Beklagte innerhalb von einem Monat eine Duplik einreichen.“ Während des schriftlichen Verfahrens ist auch über die Hinzuziehung eines technischen Richters zu entscheiden. Dies kann sowohl eine Partei als auch die Kammer anregen. Im Zwischenverfahren trifft der Berichterstatter alle notwendigen Vorbereitungen für die mündliche Verhandlung. Er kann insbesondere auch eine Zwischenanhörung anberaumen und/oder die Parteien auffordern, bestimmte Punkte weiter zu präzisieren, konkrete Fragen zu beantworten oder Beweismittel vorzulegen. Mit der mündlichen Verhandlung, die höchstens einen Tag dauern soll, endet das Verfahren. Die Entscheidung fällt am Ende der mündlichen Verhandlung. Das schriftliche Urteil soll innerhalb von sechs Wochen übermittelt werden. Die angestrebte Dauer erstinstanzlicher Verfahren beträgt neun bis zwölf Monate. Das Berufungsverfahren soll ebenfalls maximal zwölf Monate dauern. Bei Verfahren vor dem EPG soll somit nach circa zwei Jahren eine rechtskräftige Entscheidung über die Verletzung und den Rechtsbestand vorliegen, die in allen Mitgliedsstaaten gilt.