Was liegt bei der Director Legal & Compliance von Condor derzeit auf dem Schreitbtisch?
Wenn ich einen Trend benennen müsste, würde ich sagen: Legal Compliance. Die meiste neue Arbeit macht die Regulierung, als Beispiel nenne ich die CSRD und alles, was damit zusammenhängt. Wir beschäftigen uns nach wie vor mit den Lieferketten und der Prüfung möglicher Sanktionen. Eine große Rolle spielen daneben kartellrechtliche Fragestellungen. Wir haben Corona-Beihilfen von Bund und Land erhalten, auch in dem Zusammenhang gibt es Herausforderungen. Dazu kommen neue Regelungen wie NIS-2, wo wir sehen müssen, wie wir die dort niedergelegten Anforderungen umsetzen. Ferner setzen wir uns mit Rechtsstreitigkeiten auseinander, mit Schadenersatzansprüchen und vielen Vorgängen zu Passagierrechten, auch Klagen. Letztlich haben wir natürlich auch mit Vertragsverhandlungen in allen möglichen Bereichen zu tun. Es geht aber auch um Day-to-Day-Business, heute hat etwa ein Hausmeister versehentlich einen Bürostuhl weggeräumt, der betroffene Mitarbeiter dachte, er sei gestohlen – fast wäre die Polizei informiert worden.
Woran, glauben Sie, liegt es, dass europäische und nationale Gesetzgeber derzeit so aktiv sind?
In der Corona-Zeit sind viele Probleme sichtbar geworden, an die wir alle vorher nicht unbedingt gedacht haben. Diese haben Regulierungsnotwendigkeiten offensichtlich gemacht. Der Shift geht dabei in Richtung Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit sowie die Beachtung von Menschenrechten. Die Berichtspflichten haben sich sehr erhöht, was es bisweilen schwierig macht, in der Sache an sich weiterzukommen. Ein einfaches Beispiel aus der Praxis: Wir wenden Teile des Budgets dafür auf, Reportingpflichten nachzukommen, statt am Gebäude Maßnahmen zur Verbesserung der Klimafreundlichkeit vorzunehmen. Die Rechtsabteilung arbeitet sehr eng mit den anderen Departments zusammen, um penibel die Vorschriften einzuhalten. ESG betrifft so gut wie jeden Arbeitsbereich bei Condor, ob wir über Finanzierung sprechen, Passagierrechte oder Vertragsgestaltungen. Wir müssen ständig Standard-Templates und Geschäftsordnungen anpassen, weil es laufend neue gesetzliche Anordnungen gibt.
Wie schätzen Sie die Tätigkeit der Gesetzgeber ein?
Regulierung an sich ist grundsätzlich zu begrüßen, da sie der Wirtschaft gute Ansatzpunkte liefern kann. Der Trend zu mehr rechtmäßigem und compliance-konformem Verhalten von Unternehmen über Ländergrenzen hinweg ist eine sehr gute Entwicklung. Trotzdem lässt sich vieles besser lösen. Auch das Hin und Her, wie wir es aktuell im Zusammenhang mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz erleben, ist nicht förderlich. Unternehmen setzen mit großem Aufwand um und streben danach, Fristen einzuhalten. Dafür wenden wir viele Ressourcen auf, die wir Rückblick gerne an anderer Stelle genutzt hätten. Die Regierung könnte die Wirtschaft mehr einbeziehen und praxisgerechtere Lösungen entwickeln.
Sie sind 2021 in einer sehr bewegten Zeit zu einer Fluggesellschaft gewechselt. Wie haben Sie die Zeit erlebt?
Das war sehr aufregend. Es gab seinerzeit nach dem Aus von Thomas Cook einen Investorenprozess, es war nicht sicher, ob es klappt. Als Insolvenzrechtlerin bin ich solche Phasen zwar gewohnt, aber es macht doch einen großen Unterschied, wenn man selbst im betroffenen Unternehmen arbeitet und Verantwortung für tausende Mitarbeiter trägt.
Was ist am Insolvenzrecht so reizvoll?
Es geht darum, ein Unternehmen als wirtschaftliche Einheit in seinem Bestand zu retten. Als Anwältin lernt man gerade in der Krise Unternehmen sehr gut kennen – und neben rechtlichen Aspekten erfährt man viel über wirtschaftliche Zusammenhänge. Dafür hatte ich immer ein Faible.
Der Gesetzgeber stärkt die Verbraucherrechte. Die Stärkung der Passagierrechte ist sogar Bestandteil des Koalitionsvertrages. Wie gehen Sie damit um?
In meinen Augen sind die Regelungen zu den Passagierrechten reformbedürftig. Dabei geht es weniger darum, ob man Passagierrechte ausweitet oder einschränkt, als vielmehr um eine gerechte Lastenverteilung, um eine bessere Balance. Im Moment ist es sehr schwierig für Airlines nachzuweisen, dass sie etwa für eine Verspätung nicht verantwortlich sind. Das nimmt teilweise absurde Züge an. Das Transportgeschäft ist sehr komplex und es müsste mehr auf die unterschiedlichen Geschäftsmodelle Rücksicht genommen werden. Aus finanzieller Sicht ist die aktuelle Verordnung sehr hart für Fluggesellschaften, und wenn wir dann noch die hohen Gebühren in Deutschland und die Umweltverpflichtungen hinzunehmen, steigen die Flugpreise.
Wie beurteilen Sie es, dass es unter Einsatz von Legal-Tech-Anbietern für Verbraucher noch leichter geworden ist, Ansprüche gegen Airlines geltend zu machen?
Viele Menschen haben heute keine Zeit, sich anders an uns zu wenden oder möchten vielleicht auch kein Online-Formular ausfüllen. Insofern habe ich Verständnis. Aber: Wir beschäftigen damit die Gerichte in einem kaum noch vertretbaren Maß. Daraus ist ein regelrechtes Business geworden, was so sicher nicht vom Gesetzgeber vorgesehen war. Das aggressive Verfolgen von Ansprüchen, mit der Kunden eine Standardquote bekommen, ist schon eine Herausforderung. Umgekehrt haben wir dafür Lösungsansätze, wir setzen auch Legal Tech ein und sind sehr effizient in der Bearbeitung solcher Fälle. Es wäre eine große Chance, die Verordnung so zu ändern, dass sie einfacher wird und die Rechtsprechung klarer, um die Fallzahl stark zu reduzieren.
Einblicke …
War ihr Berufswunsch schon immer Juristin?
Ich habe mich immer auch sehr für Sprachen interessiert und spielte mit dem Gedanken, Englisch und Spanisch zu studieren. Nach dem Abitur habe ich mich aber für Jura interessiert und mich dafür entschieden, weil Studium und Referendariat in einem Beruf münden. Im Studium und Referendariat war ich in verschiedenen Wirtschaftskanzleien tätig. Dort habe ich schnell gemerkt, dass mir der Beruf sehr gefällt.
Wenn man Sie nicht bei der Arbeit antrifft, wo dann?
Sie finden mich beim Hiking oder Spazierengehen im Taunus, allein oder auch mit der ganzen Familie, meinem Mann und meinen zwei Kindern.
Was ist Ihre bevorzugte Literatur?
Vorab: Ich lese wahnsinnig gerne und im Moment bin ich geradezu verliebt in alle Bücher von Ewald Arenz. Aber das Spektrum ist sehr weit und reicht von Tolstoi bis Stephen King. Auch spanische Literatur gefällt mir – etwa die Bücher von Javier Marías. Dazu kommen noch viele Sachbücher. Gerade die anstehende Urlaubszeit bietet sich sehr an, diesem Hobby nachzugehen, darauf freue ich mich.
Vom Lesen zum Hören: Was ist Ihr bevorzugter Musikstil?
Ich höre sehr gerne Musik. Zum einen bin ich eine Freundin der Klassik, aktuell steht der Pianist Sofiane Pamart ganz oben auf der Playlist. Generell höre gerne Elektro, bevorzugt laut im Auto, ich mag aber auch Country-Musik.
Wir wissen, den perfekten Tag gibt es nicht. Wie sieht denn der fast perfekte Tag aus?
Beruflich bin ich sehr zufrieden, wenn ich nach Hause komme und sagen kann, heute habe ich alles erledigt, da ist nichts mehr offengeblieben. Privat beginnt es mit einem großen Frühstück, anschließend kommt viel Zeit draußen, ob nun mit einem Hike oder im Freibad. Ich bin zudem eine große Freundin von Essen und Wein, daher liebe ich es, gemeinsam mit Freunden zu grillen oder sonst ein Abendessen zu genießen.
Kurzvita
Fast 14 Jahre war Isabel Giancristofano bei der Sozietät Noerr und hat ihre Zeit dort insbesondere wegen der „großen Fälle“ sehr genossen. Trotzdem ist sie sehr glücklich über den Wechsel ins Unternehmen. Drei Abteilungen mit insgesamt 20 Mitarbeitenden umfasst das Legal Department – zuständig für die Bereiche Aircraft, Commercial und Compliance. Wie sie sagt, ist sie sehr stolz auf Ihr Team von hochqualifizierten Anwältinnen und Anwälten, die fantastische Arbeit leisten. Der größte Unterschied zur Sozietät: Sie ist hier sehr nah an der Geschäftsleitung, sie kann viele Entscheidungen direkt mitbegleiten. In einer Kanzlei erfahre man eher am Rande, manchmal gar nicht, wie es ausgegangen ist. Wie sie sagt, kann sie in der Rechtsabteilung von Condor jeden Tag „wahnsinnig viel lernen“, nicht nur juristisch, sondern auch wirtschaftlich und menschlich.