Sie haben circa 20 Jahre in Sozietäten gearbeitet, jetzt verantworten Sie ein Legal- und Compliance-Department. Wie kam es nach der langen Zeit zu diesem Schritt?
Sehr geschätzt habe ich das enge und vertrauensvolle Verhältnis, das über viele Jahre zur Mandantschaft entsteht. Das habe ich beim Abschied anhand der Bestürzung über meinen Wechsel gemerkt. Das hat mich auch sehr bewegt, gefreut. Es war aber mein Wunsch, nochmals den Horizont zu erweitern, auch thematisch, und damit eine neue Herausforderung zu suchen. Ich verantworte jetzt den gesamten Legal und Compliance-Bereich und das ist noch einmal mehr beziehungsweise anders gelagert als das M&A-Segment, in dem ich bisher unterwegs war. Dazu kommt, dass ich als externe Anwältin viele Unternehmen kennengelernt habe und es eine enge Zusammenarbeit gab. Es bleibt aber immer eine gewisse Distanz. Mein Wunsch war es immer, näher am Business zu sein. Es ist für mich spannend, mehr in die Tiefe zu gehen und Teil dessen zu sein, was ein Unternehmen ausmacht. Ich schätze es außerdem sehr, hier Managementverantwortung in einem großen Konzern zu haben und meine Skills in diesem Bereich ausbauen zu können. Speziell bei OBI kam der Anreiz dazu, dass das Unternehmen aktuell eine Transformation vollzieht und beispielsweise viel in den Bereich Digitalisierung investiert. Ich habe das Gefühl, hier gemeinsam mit dem Team viel zu bewegen, dabei kommt mir die vorherrschende Hands-on-Mentalität sehr entgegen.
Was würden Sie jungen Juristen empfehlen, die vor der ersten richtungsweisenden Entscheidung stehen – Unternehmen oder Kanzlei?
In der Kanzlei bekommen es Juristen binnen kurzer Zeit mit vielen verschiedenen Mandanten und Sachverhalten zu tun. Dabei geht es nicht nur um Jura, sie tauchen in die jeweilige Branche ein und lernen Geschäftsmodelle und Standards kennen. Sie haben hier die Chance, ihre analytischen und konzeptionellen Fähigkeiten stark auszubauen – zudem werden sie serviceorientiert und fokussieren sich auf Problemlösungen. Für viele ist diese fachliche Orientierung und Ausbildung ein Vorteil. Die Unternehmenswirklichkeit mit ihren vielen Facetten erleben sie aber nur, wenn sie auch in einem tätig sind. Dort verstehen sie besser, worauf es in der Praxis ankommt, wie sich Entscheidungen in der Realität auswirken und wie sie umgesetzt werden können. Sie bekommen es schnell mit vielen verschiedenen Bereichen zu tun und erleben die Mehrdimensionalität. Interdisziplinäres Arbeiten ist sehr gefragt, die Rechtsabteilung agiert an vielen Schnittstellen. Eine Empehlung für das ein oder andere möchte ich gar nicht geben: Es ist natürlich auch eine Typfrage, welche dieser Welten einem eher liegt.
Was ist am Segment M&A und Corporate so faszinierend?
Dazu gekommen bin ich im Studium in einer Berliner Sozietät. Besonders reizvoll empfinde ich die Wirtschaftsnähe. Wir müssen uns eingehend nicht nur mit rechtlichen, sondern auch mit wirtschaftlichen, finanziellen und steuerlichen Zusammenhängen beschäftigen, die Komplexität kommt meinen Interessen sehr entgegen. Ich finde es übrigens sehr schade, dass diesen Zusammenhängen in der juristischen Ausbildung so wenig Raum gegeben wird. Wirtschaftsjuristen sollten beispielsweise einen Jahresabschluss lesen können.
Welche sind aktuell Ihre Kernthemen bei OBI?
Abgesehen von den Managementaufgaben sind sie dreigeteilt. Einerseits beschäftigt mich die Umsetzung der Unternehmensstrategie, das umfasst etwa die Digitalisierung, eine stärkere Ausrichtung auf Franchise und die Internationalisierung des Geschäfts. OBI hat beispielsweise neulich eine Plattform aufgebaut, auf der wir zwischen Handwerkern und Kundeln vermitteln. Der zweite Bereich betrifft die zunehmende Regulierung der Gesetzgeber auf internationaler und nationaler Ebene. Die Herausforderung ist enorm und zeigt, was die Rechtsabteilung eines mittelständischen Unternehmens leisten muss. Es ist häufig praktisch sehr schwierig, diese Aufgaben effizient und nachhaltig outzusourcen. Nicht zuletzt analysiere ich die vorgefundenen Strukturen und nehme Veränderungen im Teamaufbau und bei der Organisation vor. Dazu gehören auch Legal-Operations-Aufgaben. Diesen Spagat gilt es jeden Tag zu bewältigen.
Weil Sie das ansprechen: Wie sehr erschweren die vielen Regulierungsmaßnahmen die Arbeit der Rechtsabteilung?
Das sehe ich differenziert: Generell sehe ich kritisch die schiere Fülle an regulatorischen Maßnahmen. In vielen Fällen sind die Regelungen zudem sehr komplex und umfangreich und daher ressourcenintensiv. Dazu kommen die Umsetzung und das Monitoring. Allein dafür könnte ich zwei Stellen schaffen. Mit Blick auf einzelne Regelungen sind viele davon sinnvoll, etwa im Bereich Künstliche Intelligenz und Compliance. Wir spüren allerdings einen Hang zu immer mehr Bürokratie: Vor allem die umfassenden Berichts- und Dokumentationspflichten machen sehr viel Arbeit und es stellt sich die Frage, ob diese in der Sache spürbaren Mehrwert liefern. Beliebter Kritikpunkt Lieferkettenrichtlinie: Das „Ob“ der Ziele steht für mich dabei nicht zur Debatte. Aber: Hier werden meines Erachtens komplexe weltpolitische Themen auf einzelne Unternehmen abgewälzt, auch in Bereichen, wo durchaus entsprechende Gesetze und zuständige Behörden national und international existieren, oder in solchen, wo auch der staatliche politische Druck nicht funktioniert hat. Trotz Verbandstätigkeit bleiben viele Unternehmen auf sich gestellt. Hier wäre jedenfalls mehr Fokussierung auf wesentliche globale Themen, operative Unterstützung, zum Beispiel durch Teilen von Erkenntnissen staatlicher Stellen und Agenturen sowie eine Reduzierung der Bürokratie – etwa mittels einheitlicher Musterklauseln und Standards die eine Flut von Kodizi verhindern – hilfreich. Manche Ziele der Lieferketten-Gesetzgebung sind bis heute selbst in Deutschland nicht umgesetzt, wie zum Beispiel der Gender-Pay-Gap.
Wie sehr helfen Ihnen Legal Tech und möglicherweise KI bei der Bwältigung Ihrer Aufgaben?
Ich bin überzeugt, dass uns beides in Zukunft noch eine sehr wertvolle Unterstützung bieten wird, beispielsweise was die Recherche angeht oder Auswertungen oder die Verknüpfung von Wissen innerhalb der Organisation. Deshalb beschäftigen wir uns mit den Themen und testen verschiedene Optionen. Was Implementierung und Nutzung von KI angeht, stehen wir noch am Anfang. Das geht aber – glaube ich – vielen Unternehmen so, die nicht per se in technikaffinen Bereichen tätig sind.
Das Gespräch führte Alexander Pradka
EINBLICKE …
Persönliches
War ihr Berufswunsch schon immer Juristin?
Um meine Berufswahl habe ich mir bis zum Ende der Schulzeit kaum Gedanken gemacht, sehr interessiert habe ich mich aber für Chemie und Biologie. Ein Biologiestudium hätte ich mir vorstellen können, habe dann aber festgestellt, dass mich eher die Theorie, das Wissen und die Vielfalt interessiert – Tiere aufzuschneiden oder zu experimentieren war dann weniger meine Sache. Zu Jura bin ich gekommen, weil ich in Frankfurt an der Oder an der Europa-Universität Viadrina mit meinem polnischen Abitur studieren konnte – Deutsch hatte ich bereits in der Schule gelernt. Die Internationalität hat mich begeistert.
Wenn man Sie nicht bei der Arbeit antrifft, wo dann?
Wahrscheinlich im Zug zwischen Köln und Hamburg. Den Rest der Zeit verbringe ich meistens mit meinem Sohn und meinem Lebensgefährten.
Was ist Ihre bevorzugte Literatur?
Ich lese am liebsten Dinge, die mit Fakten zu tun haben, also beispielsweise Dokumentationen oder Reportagen, natürlich auch Zeitungen und Magazine – eben etwas mit Bezug zur realen Welt. Lehrbücher interessieren mich mehr als Romane.
Vom Lesen zum Hören: Was ist Ihr bevorzugter Musikstil?
Früher habe ich alles Mögliche gehört, mittlerweile fokussiere ich mich auf die klassische Musik, beispielsweise Chopin. Ich mag auch Tanz und bewunderte sehr die Arbeit von John Neumeier, dem ehemaligen Direktor der Hamburgischen Staatsoper. Wir wissen, den perfekten Tag gibt es nicht.
Wie sieht denn der fast perfekte Tag aus?
Ich frühstücke mit meinem Sohn, verabschiede ihn zur Schule, am besten ohne Streit (lacht). Dann arbeite ich angemessen viel und erlebe noch etwas Schönes, sehe etwas Neues, das mich anregt. Ich mache Sport. Den Abend verbringe ich mit meinem Sohn, meinem Lebensgefährten, Freunden oder telefoniere mit meiner Familie. Am Ende lese ich noch etwas Interessantes.
Dr. Urszula Nartowska
Dr. Urszula Nartowska hat nach dem Referendariat bei Gleiss Lutz angefangen und arbeitete dort knapp zwölf Jahre, 2019 folgte dann der Wechsel zu Hogan Lovells. In beiden Häusern war sie als Partnerin für den Bereich M&A, Corporate sowie Restructuring and Capital Markets zuständig. Nach weiteren vier Jahren auf Kanzleiebene wagte sie den Sprung ins Unternehmen und leitet seit Dezember 2022 das Legal & Compliance Department bei der OBI Group. Diese umfasst europaweit 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Bereich Compliance ist hier mit eingerechnet. Dazu gehören auch das Beteiligungsmanagement und bestimmte Aspekte der Immobilienvertragsverwaltung. Von jeher faszinierten Nartowska die Schnittstellen zwischen Wirtschaft und Recht und sie meint, jeder Jurist sollte auch ein Grundwissen über wirtschaftliche Zusammenänge haben.
Das Interview führte Alexander Pradka